Close Up von Donald Trumps Augen

„Die USA bewegen sich in Richtung einer Autokratie“

Die zweite Präsidentschaft von Donald Trump ist geprägt von Angriffen auf die Demokratie. Kann sie ihnen standhalten? Das haben wir die Politikwissenschaftlerin Julia Simon gefragt

Interview: Mirjam Ratmann
Thema: Demokratie
4. Juni 2025

fluter.de: Es gibt derzeit Beobachter:innen, die sagen: Wir erleben den Anfang vom Ende der US-amerikanischen Demokratie. Wie sehen Sie das?

Julia Simon: Es passiert gerade etwas, das wir noch nie in den USA gesehen haben: Das Land bewegt sich in Richtung einer Autokratie, manche Entwicklungen weisen sogar faschistische Züge auf. Die freie, liberale, rechtsstaatliche Ordnung wird massiv angegriffen. 

Woran macht sich das fest?

Das sehen wir beispielsweise am Umgang der Regierung mit der Gewaltenteilung, der Rechtsstaatlichkeit oder der Unabhängigkeit der Justiz. Die Regierung attackiert Richter verbal, diffamiert sie und setzt sich de facto schon über Gerichtsurteile hinweg. Außerdem werden die Wissenschafts- und die Meinungsfreiheit angegriffen. Ende März wurde eine ausländische Doktorandin auf der Straße verhaftet, weil sie einen israelkritischen Beitrag in einer Studentenzeitung geschrieben hatte. Man entzog ihr das Visum, ohne ihr das mitzuteilen, und hielt sie dann sechs Wochen lang fest. 

In der US-Demokratie sollen sich verschiedene Institutionen gegenseitig kontrollieren. Eine davon ist der Kongress. Könnte er Trump ausbremsen?

Der Kongress hat neben der Aufgabe, die Exekutive zu kontrollieren und Gesetze zu erlassen, vor allem finanzielle Macht. Wenn Trump zum Beispiel Steuererleichterungen beschließen oder Behörden Geld entziehen will, braucht er dafür eigentlich die Zustimmung des Kongresses. Der Kongress kann theoretisch auch Untersuchungsausschüsse anstoßen oder ein Amtsenthebungsverfahren einleiten. Solange jedoch die Republikaner die Mehrheit haben, ist das unrealistisch. Denn die republikanischen Abgeordneten stehen aktuell geschlossen hinter Trump. Manche haben Angst vor Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie Widerspruch äußern.

„Es ist nicht sicher, ob sich die Trump-Regierung künftig noch an Gerichtsurteile halten wird. Damit würde sie die rechtsstaatliche verfassungsmäßige Ordnung und das grundlegende Prinzip der „Checks and Balances“ vollständig kippen“

Am liebsten arbeitet Trump derzeit sowieso mit „Executive Orders“. Von diesen Dekreten hat Trump bereits mehr als 150 unterzeichnet. Sie müssen nicht vom Kongress bestätigt werden.

Dieses Instrument wurde auch schon von anderen Präsidenten zum Teil stark genutzt. Aber schon lange nicht mehr in diesem Umfang. Problematisch ist vor allem, dass einige Executive Orders als verfassungswidrig eingestuft werden. Zum Beispiel wollte Trump das Recht auf die US-Staatsbürgerschaft qua Geburt aufheben. Verheerend ist auch, dass er per Dekret in die Organisation und rechtlichen Grundlagen von Wahlen eingreifen möchte, obwohl das im Aufgabenbereich der Bundesstaaten und des Kongresses liegt. 19 Staaten haben bereits dagegen geklagt. Doch selbst wenn Gerichte diese Dekrete vorerst stoppen wie etwa im Fall der Staatsbürgerschaft, zeigen sie ganz klar, wie Trump die USA grundlegend politisch verändern möchte, und haben Signalwirkung an diejenigen, die seine Ziele teilen. 

Sie haben die Gerichte erwähnt: Bundesgerichte und das oberste Gericht, der Supreme Court, haben ja das Recht, den Präsidenten zu stoppen, sollte er unrechtmäßig regieren. Funktioniert das noch?

Derzeit gehen viele Klagen gegen Trumps Maßnahmen ein. Diese Verfahren dauern oft lange. Das rechtsstaatliche System ist nicht darauf ausgelegt, dass jemand in diesem Tempo mutwillig die Verfassung bricht. Zugleich gibt es im Supreme Court eine konservative Mehrheit, und der oberste Gerichtshof hat bereits Urteile, die Bundesrichter gegen Trumps Vorgehen ausgesprochen haben, wieder einkassiert. Es ist aber ohnehin nicht sicher, ob sich die Trump-Regierung künftig noch an Gerichtsurteile halten wird. Damit würde sie die rechtsstaatliche verfassungsmäßige Ordnung und das grundlegende Prinzip der „Checks and Balances“ in den USA vollständig kippen.

Portrait von Julia Simon

Julia Simon ist promovierte Politikwissenschaftlerin und derzeit Postdoktorandin an der Universität Bremen. Von Oktober 2024 bis März 2025 vertrat sie eine an der Freien Universität Berlin. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem auf der Autokratisierung von Demokratien.

Foto: privat

Welchen Einfluss können die Bundesstaaten ausüben?

Die föderale Struktur in den USA ermöglicht den Bundesstaaten viel Eigenständigkeit. Doch Trump hat in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich versucht, „seine Partei“ auf Linie zu bringen. Das heißt, dass in den republikanisch regierten Bundesstaaten mehrheitlich Loyalisten an der Macht sind, die hinter Trumps Agenda stehen. In den demokratisch regierten Bundesstaaten gibt es zum Teil Widerstand. So will zum Beispiel Kalifornien Trumps umstrittene Zollpolitik nicht mittragen.

Dann gibt es also schon noch die Möglichkeit, die aktuellen Entwicklungen umzukehren?

Die Zwischenwahlen zum US-Kongress, die sogenannten „Midterms“, im Herbst 2026 werden richtungweisend sein, je nachdem, wer die Mehrheit bekommen wird, die Republikaner oder die Demokraten. Bei den Demokraten regt sich langsam Widerstand, zum Beispiel in Person des US-Senators Cory Booker, der eine 25-stündige Rede im Senat gehalten hat, um gegen Trumps Politik zu protestieren. Da einige der aktuellen Maßnahmen aber auch die Organisation und Durchführung von sicheren und fairen Wahlen gefährden, machen sich viele Menschen Sorgen, ob die Demokratie die nächsten Jahre überstehen wird.

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Titelbild: Mark Peterson/Redux/laif