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Nicht ganz sauber

Drohungen statt Gehalt: Wer wie Sara schwarzarbeitet wird oft ausgebeutet. Wie ließe sich „undokumentierte Arbeit“ verhindern?

Imbissbude

Wenn Sara um Punkt elf Uhr nachts in der Imbissbude ankam, hing das Fett des Tages an den Wänden. Wenn Sara die Imbissbude um fünf Uhr morgens verließ, war alles sauber. Was in der Zwischenzeit passierte, Nacht für Nacht, ist nirgendwo dokumentiert: Sara arbeitete ohne Vertrag, ohne Versicherung, ohne Arbeitserlaubnis und am Ende auch ohne Bezahlung. 192 Stunden Arbeit ohne Lohn, damit begann Saras Kampf für ihre Rechte.

Quer durch alle Branchen arbeiten Menschen in Deutschland „undokumentiert“: Sie wischen Böden, pflegen Menschen, bauen Häuser. Undokumentiert arbeitet, wer keine Aufenthaltspapiere oder Arbeitserlaubnis hat; wer eigentlich nicht arbeiten darf, aber arbeiten geht, zum Beispiel weil sonst das Geld fehlt, um über den Monat zu kommen oder Schulden abzuzahlen.

Undokumentierte Arbeit oder Schwarzarbeit?

„Undokumentiert“ arbeiten Menschen, die wegen gesetzlicher Beschränkungen nicht legal arbeiten dürfen. Damit fällt undokumentierte Arbeit unter den gängigen Begriff der „Schwarzarbeit“, wobei der Begriff den Fokus auf die Migrations- und Beschäftigungsgesetze legt, die Migrant:innen den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehren. Mit „undokumentierter Arbeit“ gehen häufig ausbeuterische Verhältnisse einher, etwa 16-Stunden-Tage, Hungerlöhne oder mangelnder Arbeitsschutz.

Wer mit Arbeitskräften Profite macht, ohne sie behördlich anzumelden, geht ein strafrechtliches Risiko ein: Für Verstöße gegen die Meldepflicht zur Sozialversicherung droht eine Geldstrafe von bis zu 25.000 Euro. Das Vorhalten von Sozialversicherungsbeiträgen kann sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren geahndet werden. 2020 wurde allerdings nur ein Prozent der Arbeitgeber:innen in Deutschland auf sogenannte Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung überprüft.

Fünf Wochen hat Sara, die eigentlich anders heißt, die Imbissbude am S-Bahnhof Köpenick in Berlin geputzt. Alles habe, so erzählt es Sara, mit einem Jobangebot begonnen, das sie über Facebook zugeschickt bekam. „Ich kenne jemanden, der eine Putzfrau sucht“, schreibt der Mann. Sara kennt ihn nicht. Laut seinem Facebook-Profil kommt er auch aus Afghanistan, sogar aus demselben Dorf wie Sara, lebt aber schon länger in Berlin. Er wolle helfen, schreibt er aus dem Nichts – und schickt ihr das Jobangebot. Wenn sie gut arbeite, sei ein Arbeitsvertrag drin.

Sara war damals in Deutschland nur geduldet. Sie durfte also nicht dauerhaft in Deutschland bleiben, ihre Abschiebung war aber vorübergehend ausgesetzt. Sara lebte in einer Unterkunft für Geflüchtete in Berlin-Spandau. „Was er mir versprochen hat, hatte mit der Realität nichts zu tun“, sagt sie fast zwei Jahre später. Auf ihre Nachrichten habe der Mann später nicht reagiert, sein Facebook-Profil sei mittlerweile gelöscht.

Geduldete wie Sara dürfen in der Regel arbeiten. Aber erst drei Monate nachdem ihnen die Duldung erteilt wurde und nur dann, wenn es die Ausländerbehörde erlaubt. Als sie den Job annahm, war Sara erst seit wenigen Wochen in Deutschland, erzählt sie. Ihre Arbeitserlaubnis hatte sie noch nicht. Sara durfte also nicht arbeiten, trotzdem musste sie, weil sie das Geld brauchte und es nicht anders ging.

Diese Regelung des Aufenthaltsgesetzes, sagen Asylrechtler:innen, begünstige undokumentierte Arbeit. Wie viele Menschen undokumentiert arbeiten, ist kaum einzuschätzen. Nicht für die Bundesagentur für Arbeit, nicht für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, nicht für die Statistikdienste. Und auch der Zoll hat keine genauen Zahlen.

800 Euro wollte Hamit Şahin*, der sich Sara als ihr Vorgesetzter vorstellte, für ihre Arbeit zahlen. Am Ende des Monats bar auf die Hand, das war der Deal. Bis Sara eines Abends ein fremder Mann in der Imbissbude gegenübersteht. Er stellt sich als neuer Inhaber vor. Er sagt, er brauche sie als Putzkraft nicht mehr. Den Lohn für ihre Arbeit wollte er ihr nicht zahlen. Sara will Hamit Şahin zur Rede stellen. Der hat ihre Handynummer längst gesperrt. Aus Verzweiflung kontaktiert Sara seine Tochter, versucht, sie via Facebook-Messenger anzurufen, schreibt ihr eine Nachricht. Sie antwortet: „Wo sind deine Papiere, wo du gearbeitet hast? Du hast keine Papiere. Ich gehe zur Polizei und dann musst du Geld zahlen.“

„Die meisten Betroffenen bleiben aus Angst unsichtbar“

Solche Drohungen seien Alltag, sagt Anja Smasal vom Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit (BEMA). Das berät Migrant:innen und Geflüchtete, die von Arbeitsausbeutung betroffen sind, und hilft ihnen, ihre Rechte einzufordern. Anlaufstellen dieser Art wie das BEMA, Arbeit und Leben Hamburg oder die gewerkschaftsnahe Faire Mobilität gibt es mittlerweile bundesweit. Denn Arbeitsrechte gelten für alle Arbeitnehmer:innen – auch für die, die nicht arbeiten dürfen.

Wer arbeitet, geht automatisch einen Vertrag ein, ob schriftlich, mündlich oder stillschweigend. Wer arbeitet, hat gegenüber den Arbeitgeber:innen dieselben grundlegenden Ansprüche wie nach der Unterzeichnung eines gültigen Arbeitsvertrages – und kann sie auch vor einem Arbeitsgericht geltend machen. Aber viele Betroffene wie Sara kennen ihre Rechte nicht. Oder trauen sich nicht, bei der Polizei auszusagen, weil sie Angst haben, etwas falsch gemacht zu haben. Oft sei die erste Frage: Habe ich mich strafbar gemacht, wenn ich undokumentiert arbeite?

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„Erst mal ja“, sagt Anja Smasal. Wer ohne erforderlichen Aufenthaltstitel oder Arbeitsgenehmigung arbeitet, handelt gesetzeswidrig. Es drohen Geldstrafen von bis zu 5.000 Euro oder – wenn jemand mehrfach ohne Erlaubnis arbeitet – sogar Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr. Theoretisch, betont Smasal. Denn vor Gericht werde dieser Gesetzesverstoß oft fallen gelassen. Schwerer wiegt dann die Schuld der Arbeitgeber:innen, die Menschen undokumentiert beschäftigen und ausbeuten. Sie verstoßen gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz. Vor Gericht müssten sie sich allerdings selten verantworten, sagt Smasal. Bei Menschen, die undokumentiert arbeiten, weil ihnen die Papiere fehlen, überwiege oft die Angst, vom Arbeitsgericht gemeldet zu werden. Dabei gebe es gar keinen direkten Draht zwischen Arbeitsgericht und Ausländerbehörde, erzählt Smasal. „Die meisten Betroffenen bleiben aus Angst unsichtbar.“

Immer wieder fordern Organisationen und Geflüchtetenhelfer:innen, dass Asylbewerber:innen und Migrant:innen schneller und unbürokratischer Arbeit finden können. Das würde nicht zuletzt auch undokumentierte Arbeit eingrenzen. Ein Ziel, das auch die Bundesregierung hat: Jede illegale Beschäftigung kostet legale Arbeitsplätze, könnte also tendenziell die Arbeitslosigkeit erhöhen und den Staat Steuern und Abgaben kosten, heißt es in einem Bericht. Nur wählt die Bundesregierung andere Mittel als Geflüchtetenvertretungen; sie regt schärfere Kontrollen bei Arbeitgeber:innen an, Ermittlungsverfahren, höhere Geldbußen durch den Zoll, die Polizei und die Finanzbehörden.

Anja Smasal sieht nur einen Ausweg aus diesen Strukturen: eine Neuregelung des Aufenthaltsrechts: „Undokumentiert Arbeitende brauchen einen Status, mit dem sie vor Gericht in Ruhe gegen ihre Arbeitgeber:innen aussagen können.“ Also ohne Nachteile für ihren Asylprozess oder Aufenthaltsstatus fürchten zu müssen. Ohne diesen Status verharrt ein Großteil der Betroffenen in Angst. Und Smasal und ihre Kolleg:innen vom BEMA müssen den Kampf gegen Arbeitsausbeutung fern der Gerichtssäle führen – mit einem Brief, den sie an die Arbeitgeber:innen schicken.

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Die sogenannte Geltendmachung listet alle Formen der Ausbeutung mit Beweisen auf, die das BEMA und Betroffene gesammelt haben, und fordert, was den Arbeitenden zusteht: ihren Lohn. Meist hätten sie damit Erfolg, sagt Smasal. Bei Sara nicht.

Saras Vorarbeiter Hamit Şahin blieb wie vom Erdboden verschluckt. Und Stefan Arme*, der im Gewerberegister eingetragene Inhaber der Imbissbude, will von alldem nichts gewusst haben. Er reagiert nicht auf die Geltendmachung und weist am Telefon alle Vorwürfe aggressiv von sich, erzählt Anja Smasal.

Nun, zwei Jahre später, blickt Sara ihrem Ausbeuter doch ins Gesicht. Sie sitzen sich wie in einem Gerichtssaal gegenüber. Zwischen ihnen Anja Smasal, die vermitteln soll. Am Ende werden Stefan Arme die prekären Arbeitsverhältnisse in seinem Imbiss zum Verhängnis: Das BEMA konnte aufdecken, dass Sara nicht die Einzige war, die ohne Nachweis für Stefan Arme gearbeitet hat. Ein ehemaliger Kollege kann Saras Tätigkeit bezeugen, sie sind sich häufiger beim Schichtwechsel begegnet. Stefan Arme zahlt Sara den ausstehenden Lohn. Der Kampf für ihre Rechte findet hier sein Ende, die Ausbeutung unangemeldeter Arbeitskräfte nicht.

* Namen geändert

Illustration: Gregory Gilbert-Lodge

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.