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Droht ein absolutes Abtreibungsverbot?

Mehrere US-Bundesstaaten haben in den vergangenen Wochen strikte Anti-Abtreibungsgesetze verabschiedet. Sie könnten in Zukunft im ganzen Land gelten

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Was würden wir über die Situation von Frauenrechten in Deutschland sagen, wenn es im ganzen Land nur noch eine Klinik gäbe, die Abtreibungen anbietet? In insgesamt sechs US-Bundesstaaten (Kentucky, Missouri, Mississippi, North Dakota, South Dakota und West Virginia) ist das der Fall: Hier führt nur noch jeweils eine Klinik Schwangerschaftsabbrüche durch. Momentan kämpft das letzte Krankenhaus in Missouris Hauptstadt St. Louis vor Gericht gegen seine Schließung. Sollten sich die Abtreibungsgegner durchsetzen, wäre Missouri der erste von 50 US-Bundesstaaten, in dem überhaupt keine Abtreibungen mehr möglich sind. Die Logik dahinter ist so schlicht wie effektiv: Wo nicht angeboten wird, muss gar nicht erst verboten werden.

Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ist seit 1973 in der amerikanischen Verfassung verankert. Damals klagte sich eine junge Frau aus Texas, wo Abtreibungen verboten waren, bis zum Obersten Gericht durch. Sie verwendete das Pseudonym „Jane Roe“ und gewann gegen den texanischen Staatsanwalt Henry Wade. Das Urteil im Fall „Roe gegen Wade“ ging als eines der gesellschaftlich strittigsten in die Geschichte ein. Seither versuchen Evangelikale und streng Konservative, diese Grundsatzentscheidung zu kippen und Abtreibungen gänzlich zu verbieten. Fast 50 Jahre nach dem Urteilsspruch stehen die Chancen dafür offenbar gut.

Ein neues Gesetz in Alabama verbietet Abtreibung sogar bei Inzest oder Vergewaltigung

Mehrere konservative Bundesstaaten haben in den vergangenen Monaten ihr Abtreibungsrecht massiv verschärft, etwa mit der Verabschiedung eines sogenannten Herzschlag-Gesetzes. Abtreiben ist demnach illegal, sobald beim Fötus Herztöne erkannt werden können; das ist in der Regel sechs Wochen nach Beginn der Schwangerschaft der Fall – ein Zeitpunkt, zu dem manche Frauen noch nicht einmal wissen, dass sie schwanger sind.

Doch vorerst hängen die Gesetze in der Schwebe. „Abtreibungen sind immer noch legal in Amerika, und zwar in allen 50 Staaten“, sagt Rachel Johnson-Farias, Direktorin des Center on Reproductive Rights and Justice an der University of California in Berkeley. In den USA geht das Bundesrecht dem Landesrecht der Bundesstaaten vor. „Die Abgeordneten wissen, dass diese Gesetze nicht geltendem Verfassungsrecht entsprechen. In fast allen Fällen beantragen Bürgerrechtsorganisationen vor Gericht einstweilige Verfügungen gegen diese Beschlüsse.“ Dass gerade in jüngster Zeit mehrere konservative Bundesstaaten aus der Deckung kommen, überrascht Johnson-Farias nicht. Es sei taktisches Kalkül.

Die verfassungswidrigen Verbote müssen vor dem Obersten Gericht verhandelt werden

Im Wahlkampf hatte Donald Trump versprochen, als Präsident für den Supreme Court Richter zu nominieren, die sich klar für die Lebensrechte des Embryos einsetzen werden. In weniger als zwei Amtsjahren installierte der neue Präsident mit Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh gleich zwei solche Juristen am Obersten Gericht des Landes – einer seiner größten Erfolge im Weißen Haus. Somit hat das Gericht einen Überhang an als konservativ geltenden Richtern. Einige republikanische Gouverneure fühlen sich daher ermutigt, Gesetze in ihren Bundesstaaten durchzubringen, die nicht verfassungskonform sind. Die Folge: Diese Abtreibungsverbote müssten irgendwann vor dem Obersten Gericht in Washington verhandelt werden.

Die Abgeordneten in Alabama verabschiedeten Ende Mai ein Gesetz, das jegliche Form von Abtreibung verbietet, auch im Fall von Inzest oder Vergewaltigung. Einzige Ausnahme: wenn das Leben der Mutter gefährdet ist. Wer als Arzt dem Gesetz zuwiderhandelt und Eingriffe vornimmt, dem droht eine Haftstrafe von bis zu 99 Jahren. Dass die republikanischen Abgeordneten im Senat von Alabama allesamt weiß und männlich sind, halten viele (zum Beispiel Rihanna, Diddy und Hilary Duff) für bezeichnend. Tatsächlich lässt sich beobachten: Je schlechter Frauen in der Politik eines Bundesstaates vertreten sind, desto strenger die Abtreibungsgesetze.

 

Führen solche Fälle wie aus Alabama tatsächlich dazu, dass das „Roe gegen Wade“-Urteil – damals ein Meilenstein der Frauenrechtsbewegung – gekippt wird? „Selbst wenn wir es jetzt mit einem konservativen Supreme Court zu tun haben, gibt es keine Anzeichen dafür, dass sie das Roe-Urteil demnächst aufheben“, sagt Mary Ziegler, Professorin an der Florida State University. Die Juristin hat mehrere Bücher über den Fall von 1973 geschrieben.

Selbst Donald Trump ist das Gesetz aus Alabama zu radikal

Erst kürzlich habe das Gericht ein weitaus weniger drastisches Gesetz aus Indiana vorgelegt bekommen und es bei der Entscheidung des Berufungsgerichtes belassen. Dem Gericht einen Extremfall aufzudrücken könnte, so Ziegler, den umgekehrten Effekt haben: Der Supreme Court ignoriert ihn. Wohl auch deswegen distanzierten sich Donald Trump und andere Republikaner von dem Gesetz in Alabama und bezeichneten es als zu radikal.

Laut Ziegler hätten die Abtreibungsgegner aus Alabama größere Chancen, wenn sie zeigen würden, warum „Roe gegen Wade“ überhaupt juristisch untragbar ist. Dem Supreme Court genügten die rein taktischen Überlegungen der Abtreibungsgegner nicht. „Wenn die Richter sich jetzt hinstellen und das Gesetz aus Alabama stützen, macht das einen schlechten Eindruck. Es lässt sie wie Parteigenossen aussehen, nicht wie unabhängige Richter“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich glaube, dass es noch ein paar Jahre dauern wird, bis sie das Urteil kippen könnten.“ Noch ein paar Jahre. Für viele von Amerikas Frauen klingt das wenig beruhigend.


 

Titelbild: Ronen Tivony/SOPA Images/LightRocket via Getty Images

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