Lea, 26 Jahre
„Da ist Ihr Kind“, sagte meine Ärztin und zeigte mir das Ultraschallbild. Ich hätte es lieber nicht gesehen. Für mich war da auch kein Kind, sondern nur ein schwarzer Punkt. Ich war 24 Jahre alt, in der letzten Phase meines Bachelor-Studiums und hatte eine kleine Romanze mit einem Bekannten von früher. Er lebte am anderen Ende Deutschlands, wir hatten uns erst ein paarmal gesehen. Uns war einmal ein Kondom gerissen, ich hatte jedoch die Pille danach genommen. Deswegen war ich sehr überrascht, schwanger zu sein. Und mir war sofort hundert Prozent klar, dass ich abtreiben werde.
Als ich meiner Romanze sagte, dass ich schwanger bin und abtreiben will, war er erst verständnisvoll. Doch dann rief er immer und immer wieder an und bat mich, das Baby doch zu bekommen. Er war der Auffassung: Mit der Abtreibung töte ich sein Kind. Er sprach auf einmal über Zusammenziehen, eine gemeinsame Zukunft. Ich hatte den Eindruck, das hatte auch damit zu tun, dass er seinen Vater früh verloren hat. Irgendwann eskalierte die Situation, er beschimpfte mich richtig.
„Mir ist in diesen Tagen bewusst geworden, dass ich mich gar nicht mit einem Kind sehe“
Irgendwann stand er nachts auf meinem Balkon. Ich habe ihn reingelassen und musste ihn auch noch trösten. An meiner Entscheidung, die Schwangerschaft zu beenden, hat das aber nichts geändert. Mir ist in diesen Tagen bewusst geworden, dass ich mich gar nicht mit einem Kind sehe.
Meine Freundinnen haben mich unterstützt und schließlich bei dem Abbruch begleitet. Überrascht hat mich auch die Reaktion meiner Mutter. Als ich ihr erzählte, dass ich abtreiben will, hat sie mir verraten, dass sie in meinem Alter auch schon eine Abtreibung hatte. Obwohl sie damals schon mit meinem Vater zusammen war. Meine Romanze habe ich noch ein- oder zweimal gesehen. Aber von seiner Seite kamen immer wieder Vorwürfe. Da habe ich den Kontakt abgebrochen. Den Schwangerschaftsabbruch habe ich nie bereut.
Janina (Name geändert), 28 Jahre
Meine Mutter hat mich bekommen, als sie 22 Jahre alt war. Sie war alleinerziehend und auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Das wollte ich nie. Ich war deswegen immer sehr verantwortungsbewusst, was Verhütung angeht.
Bis auf diese eine Nacht vor mittlerweile zwei Jahren. Ich war damals gerade mit meinem Studium fertig, hatte noch keinen Job und war in ganz Deutschland zu Vorstellungsgesprächen unterwegs. Einmal übernachtete ich in einer befreundeten WG in Köln und lernte einen Mann kennen. Es war das erste Mal seit langem, dass ich so richtig Schmetterlinge im Bauch hatte. Wir haben zusammen gekifft, hatten Sex. Erst benutzte er ein Kondom, irgendwann hat er es abgenommen. Warum ich da nicht widersprochen habe? Ich kann mir das im Nachhinein nur dadurch erklären, dass ich die Situation nicht zerstören wollte.
„Ich habe ja nicht nur für mich eine Entscheidung getroffen, sondern auch für das sich entwickelnde Leben: Du darfst nicht sein“
Zwei Wochen später merkte ich, dass ich schwanger bin. Ich war völlig aufgelöst und rief den Mann jener Nacht an. Da hat er mir gesagt, dass er eigentlich in einer festen Beziehung ist und kein Baby mit mir will. Für mich war dann klar, dass ich abtreiben werde. Trotzdem ist es mir unheimlich schwergefallen. Denn ich habe ja nicht nur für mich eine Entscheidung getroffen, sondern auch für das sich entwickelnde Leben: Du darfst nicht sein. Vielleicht hätte es aber gern gelebt?
Meiner Mutter habe ich erst hinterher von dem Abbruch erzählt, sie war sehr traurig.
Aber eine Freundin hat mir sehr geholfen. Sie war dabei, als ich die Medikamente für den Abbruch genommen habe. Und sie hat gesagt: Sieh es doch als Chance, darüber nachzudenken, unter welchen Umständen du wirklich Kinder haben willst.
Das habe ich getan. Ich war ein Jahr lang in Therapie und habe schnell gemerkt, dass ich eine Familie will. Im Januar 2017 kam ich mit meinem jetzigen Freund zusammen. Ich habe inzwischen eine feste Stelle, also die finanzielle Sicherheit, die ich mir immer für eine Familie gewünscht habe. In einem Monat kommt unser Kind zur Welt. Mein Freund steht mir bei allem zur Seite und freut sich sehr. Dass er Elternzeit nehmen wird, war für ihn selbstverständlich. Das versöhnt mich mit dem Abbruch. Denn einen Vater, der so für mich und das Baby da ist, hätte ich meinem Kind vor zwei Jahren nicht bieten können.
Monja, 25 Jahre
„Das kann nicht sein“ war mein erster Gedanke, als ich mit 18 Jahren erfuhr, dass ich schwanger bin. Ich hatte damals schon drei Ausbildungen abgebrochen, mein Realschulabschluss war sehr schlecht, und ich war mit meinem Freund erst seit vier Monaten zusammen. Für mich war klar: Ich muss abtreiben. Genauso ging es meinem Freund. Er sagte: „Wenn du dieses Kind bekommst, bin ich weg.“
Also bin ich zu Pro Familia gegangen und habe mir einen Beratungsschein besorgt. Viel wichtiger für mich war aber der Austausch mit meinen Freundinnen. Die haben sich alle sehr über das Baby gefreut und sagten: „Du schaffst das.“ Da habe ich angefangen zu zweifeln. Ich habe sogar einen Brief an mein ungeborenes Kind geschrieben und gemerkt, dass mein Herz schon eine Verbindung zu ihm hat. Aber ich hatte eben große Angst.
„Inzwischen sagt er auch: Danke, dass du sie nicht abgetrieben hast“
Tja, und die Schwangerschaft schritt immer weiter voran. Ich habe mich weder um Ärzte gekümmert noch Termine vereinbart. Ich habe es einfach laufen lassen. Als dann die zwölfte Woche kam, habe ich meinen Freund angelogen und gesagt, dass ich jetzt zur Klinik fahre. Und hinterher sagte ich: Die haben sich verrechnet. Ich bin schon viel weiter, eine Abtreibung geht jetzt nicht mehr. Er war sehr sauer, wir haben viel gestritten.
Im November kam dann meine Tochter zur Welt. Kurz darauf war ich auf der Abiturfeier meiner Schwester und dachte, als ich sie stolz auf der Bühne stehen sah: Du musst dein Leben ändern. Ich habe einen neuen Realschulabschluss gemacht, diesmal habe ich mit 1,0 bestanden. Danach war ich vier Jahre lang auf dem Abendgymnasium. Im Herbst 2017 habe ich angefangen zu studieren. Heute finde ich, dass die Schwangerschaft das Beste war, was mir passieren konnte. Wer weiß, ob ich sonst mein Leben so gut in den Griff gekriegt hätte. Im Herbst kommt meine Tochter in die Schule, sie freut sich schon sehr – weil ja auch die Mama immer in der Schule war.
Der Vater meiner Tochter und ich haben uns schon getrennt, als sie ein halbes Jahr alt war. Aber die beiden haben ein gutes Verhältnis und regelmäßig Kontakt. Inzwischen sagt er auch: Danke, dass du sie nicht abgetrieben hast.
Martina (Name geändert), 34 Jahre
In den vergangenen Jahren habe ich schon hin und wieder daran gedacht, wie alt mein Kind heute wäre. Gleich danach denke ich aber: Wie gut, dass ich es nicht bekommen habe. Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen, meine Mutter hat mich nie gewollt. Ich habe ziemlich viele Probleme und finde: Ein solches Leben sollte man einem Kind nicht zumuten.
Ich war 18 Jahre alt, als ich schwanger wurde, ein klassischer Verhütungsfehler: Kondom geplatzt. Mir war sofort klar, dass ich das Kind nicht bekommen werde. Auch mein damaliger Freund wollte das Kind nicht und hat mich in meiner Entscheidung unterstützt. Gott sei Dank hat auch meine Frauenärztin mich darauf hingewiesen, dass eine Abtreibung möglich ist. Damals gab es gerade eine neue Abtreibungspille – und so habe ich mir dann bei Pro Familia einen Beratungsschein geholt und die Schwangerschaft beendet.
„Deswegen werden ihre Rechte für mich immer schwerer wiegen als die des Fötus in ihrem Körper“
Nach dem Abbruch war ich enorm erleichtert. Ich will übrigens immer noch keine Kinder, mein Ehemann auch nicht.
Die aktuelle Debatte um Schwangerschaftsabbrüche in Irland macht mich fassungslos. Ich verstehe nicht, wie sich Leute anmaßen können, über den Körper einer Frau zu entscheiden.
Klar, ein Fötus hat einen Herzschlag. Aber er denkt nicht, er fühlt nicht, er weiß nicht, dass er existiert. Die Frau aber fühlt und denkt. Deswegen werden ihre Rechte für mich immer schwerer wiegen als die des Fötus in ihrem Körper.
Ein Schwangerschaftsabbruch, auch Abtreibung genannt, ist ein medizinischer Eingriff, der zum vorzeitigen Beenden einer Schwangerschaft führt. Ein Abbruch ist nach § 218 Strafgesetzbuch (StGB) erst mal grundsätzlich strafbar. Aber: Unter der Bedingung der Beratungsregelungen bleibt er bis zur 14. Schwangerschaftswoche (Rechnung ab dem ersten Tag der letzten Regelblutung) straffrei.
Die Beratungsregelung legt fest, dass eine Schwangere den Abbruch selbst verlangen muss. Laut § 218a StGB liegt es allein bei der Frau, ob sie die Schwangerschaft austragen will oder nicht. Niemand kann oder darf diese Entscheidung für sie treffen oder sie unter Druck setzen. Möchte eine Frau einen Abbruch vornehmen, so muss sie zunächst eine Beratung wahrnehmen. Die beratenden Ärzte müssen sich in diesem Gespräch laut § 219 StGB darum bemühen, „die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen; sie sollen ihr helfen, eine verantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Dabei muss der Frau bewusst sein, dass das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat …“ Erst nachdem mindestens drei Tage Bedenkzeit vergangen sind, kann ein Abbruch von einem anderen Arzt durchgeführt werden.
Außerdem ist ein Schwangerschaftsabbruch auf Grundlage einer medizinischen Indikation möglich, das heißt, wenn bei dem Fötus oder bei der Frau gesundheitliche Probleme diagnostiziert werden. Auch bei einer kriminologischen Indikation ist der Schwangerschaftsabbruch nicht strafbar, wenn die Schwangerschaft beispielsweise die Folge einer Vergewaltigung ist. Im Widerstreit stehen in Diskussionen um einen Abbruch oft religiöse oder ethische Argumente gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Der psychische Risikofaktor nach einem Schwangerschaftsabbruch ist nicht der Eingriff selbst, sondern die wahrgenommene Stigmatisierung, oftmals der empfundene Druck, den Schwangerschaftsabbruch geheim halten zu müssen. Weitere Faktoren können mangelnde Unterstützung für die Entscheidung aus dem sozialen Umfeld, ein niedriges Selbstwertgefühl oder verleugnende und vermeidende Bewältigungsstrategien sein.
In der politischen Diskussion ist momentan insbesondere der § 219a StGB, der ein öffentliches Bewerben und Hinweise auf Abtreibungsdienste unter Strafe stellt.
Titelbild: Melissa Golden/Redux/laif