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Fünf Frauen gegen den Rest der Welt

In ihrer Graphic Novel „Radium Girls – Ihr Kampf um Gerechtigkeit“ erzählt die französische Zeichnerin Cy die wahre Geschichte eines spektakulären Rechtsstreits

  • 4 Min.
Radium Girls

Worum geht’s?

Um fünf junge Frauen, die 1920 in einer Fabrik in New Jersey die Zifferblätter von Uhren mit radioaktiver Leuchtfarbe bemalen. Um dabei schneller die feinen Linien zu ziehen, wird ihnen von ihren Vorgesetzten empfohlen, den Pinsel immer wieder mit dem Mund zu befeuchten. Weil die Farbe nachts leuchtet, bemalen sie sich aus Spaß auch immer wieder ihre Fingernägel und Zähne. Was die Frauen nicht wissen: Die Farbe ist lebensgefährlich, sie führt zu Krebserkrankungen. Als immer mehr Arbeiterinnen sterben und die Firma versucht, die Fälle zu vertuschen, entscheiden sich die Protagonistinnen, selbst schon schwer krank, ihren Arbeitgeber zu verklagen.

Worum geht’s wirklich?

Neben dem juristischen Kampf um Arbeitsschutz erzählt „Radium Girls“ auch vom Kampf um Frauenrechte zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Es geht um das Frauenwahlrecht, Beziehungsgewalt und Diskriminierung bei der Arbeit: Während die männlichen Arbeiter der U.S. Radium Corporation sich der radioaktiven Farbe zum Beispiel nur in Schutzkleidung nähern, hat das Unternehmen keine Skrupel, die eigenen Arbeitnehmerinnen täglich mehrere Stunden pures Gift ablecken zu lassen.

Was steckt dahinter?

Die „Radium Girls“ gab es tatsächlich. In den 1920er-Jahren erkrankten in den USA zahlreiche Arbeiterinnen in Radiumfabriken auf zunächst unerklärliche Weise: Ihre Knochen brachen, sie verloren ihre Zähne, entwickelten Tumore oder verbluteten. Als klar wurde, dass die Frauen durch die Radiumfarbe vergiftet worden waren, verklagte die damals 28-jährige Grace Fryer 1927 zusammen mit ihren Kolleginnen Katherine Schaub, Edna Hussman, Quinta McDonald und Albina Larice den ehemaligen Arbeitgeber, die U.S. Radium Corporation, auf Schadensersatz. Weil die Firma den nicht zahlen wollte, gab sie immer weitere Studien in Auftrag – im Wissen, dass die Klägerinnen nicht mehr lange leben würden. 1928 akzeptierten die Frauen einen Vergleich, aber nach und nach folgten Prozesse weiterer Betroffener gegen Radiumunternehmen und 1939 wies der Oberste Gerichtshof die letzte Berufung von deren Arbeitgebern zurück. Am Ende schrieben die „Radium Girls“ durch ihr Aufbegehren Justizgeschichte: Arbeitnehmer:innen in den USA erhielten von nun an das Recht, ihren Arbeitgeber zu verklagen, wenn sie durch die Arbeit zu Schaden gekommen waren. Außerdem etablierten sich erstmals Arbeitsschutzregeln, die zum Beispiel vorschrieben, dass die Arbeiterinnen in den Radiumfabriken Schutzkleidung tragen mussten.

Wie wird es erzählt?

Sehr düster und beklemmend. Die französische Zeichnerin Cy hat sich auf wenige dunkle Farben konzentriert und nur acht Stifte beim Malen benutzt. Die Farbpalette beinhaltet hauptsächlich unterschiedliche Violett-, Blau- und Grautöne. Die einzige Farbe, die sich im Buch vom sonst so dunklen Stil abgrenzt, ist das Radiumgrün, das tatsächlich – genau wie die Heldinnen der Geschichte – im Dunkeln leuchtet. Cys Zeichenstil kommt skizzenartig und einfach daher, manchmal auch ein bisschen zu einfach: Drei der fünf Frauen ähneln sich abgesehen von ihrer Körpergröße so sehr, dass man sie mitunter schlecht auseinanderhalten kann.

Radium Girls

Bester Satz:

Nachdem ein Doktor der Arbeiterin Mollie empfiehlt, den Pinsel mit der Farbe nicht mehr in den Mund zu nehmen, bespricht die Clique die Arbeit in der Fabrik. Während die anderen Frauen kein Problem sehen, entscheidet sich Mollie dazu, eine Vorarbeiterin zu fragen, ob die Farbe gefährlich sei. Die Vorarbeiterin antwortet daraufhin: „Glauben Sie wirklich, wir würden das tun, wenn wir den geringsten Zweifel hätten?“

Ginge besser:

„Radium Girls“ zeigt eindrucksvoll, wie prekär die Situation für Frauen in den USA noch vor hundert Jahren war und wie wichtig der Zusammenhalt unter Beschäftigten sein kann. Allerdings reißt Cy viele Themen, die auch heute noch von Bedeutung sind, nur kurz an. Statt so viel Zeit auf die Vorgeschichte ihrer Protagonistinnen zu verwenden, wäre es interessanter gewesen, von den Folgen des Rechtsstreits zu erzählen – schließlich prägt der die Rechte US-amerikanischer Arbeitnehmer:innen bis heute.

„Radium Girls – Ihr Kampf um Gerechtigkeit“ von Cy ist im Carlsen Verlag erschienen.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.