Thema – Reichtum

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Our House

Ohne Geld ein Haus kaufen: Klingt kompliziert, ist aber machbar. Dieser Verein zeigt, wie es geht

Our House

Florian steht in seinem Zimmer und streift sich einen quietschgelben Pullover über. Durch die zwei Holzfenster hinter ihm fällt das schwache Licht der Wintersonne. Die Wände sind unverputzt, der Boden besteht aus abgeschliffenen alten Dielen. Der 33-Jährige hat einen Zottelbart und Zöpfchen, drei Kinder und ist, wenn man so will, Eigentümer von vier millionenschweren Häusern.

Es war im Sommer 2014, als klar wurde: Das ist es jetzt. Das muss es werden. Bei der ersten „Besichtigung“ des leer stehenden Häuserblocks im Leipziger Osten am Ende der Eisenbahnstraße mussten Flo und ein paar Freunde von der Uni erst mal verrammelte Türen öffnen und über einen Balkon im Hinterhof klettern, um die Häuser mit den Hausnummern 176, 178, 180 und 182 in Augenschein nehmen zu können.

Bei der offiziellen Besichtigung gesellten sich dann zu der Studentengruppe noch ein Vertreter der Bank und jemand von der Stiftung Edith Maryon – die den gemeinnützigen Umgang mit Grund und Boden fördert. In manchen Zimmern bröselte der Putz von der Wand, in anderen fehlten Fenster. Die Besuchergruppe stieg über tote Tauben, es regnete durchs Dach. Die vier Häuser hatten weder Heizung noch Strom noch fließend Wasser. Der Mann von der Stiftung schätzte die Kosten für eine Sanierung auf 700 Euro pro Quadratmeter, der Banker kam auf 2.500 Euro und insgesamt 5,5 Millionen für die Sanierung plus eine Million für den Kauf. Flo und seine Freunde lachten nervös. Das waren Summen, die sich keiner auch nur ansatzweise vorstellen konnte.

99 Jahre Pacht – damit das Haus für immer und ewig der Gemeinschaft gehört

Die Fragen, die sie hatten, beschäftigen Menschen seit Langem: Wie kann man zusammen ein Haus kaufen, um in Zukunft ohne Angst vor Kündigung, steigenden Mieten oder Gentrifizierung zu leben? Und wie kann man dafür sorgen, dass so etwas Existenzielles wie Wohnraum nicht zum bloßen Spekulationsobjekt verkommt? Diese Fragen stellten sich auch die Gründer des sogenannten Mietshäuser Syndikats, dessen Anfänge 1983 in Freiburg liegen, und das Menschen hilft, Häuser gemeinsam zu erwerben – zum Wohnen, nicht zum Spekulieren. Über 150 Projekte unterstützt das Mietshäuser Syndikat in Deutschland, darunter auch Flo und seine Freunde.

Dass sie die Häuser tatsächlich kaufen konnten, verdanken sie einem ziemlich komplexen Konstrukt: Offiziell gehört das Haus der „SchönerHausen GmbH“, die die Gruppe damals gründete. Die GmbH macht Steuererklärungen und muss Buchhaltung führen. Alleinige Gesellschafter der GmbH sind zum einen die Bewohner des Hauses in Form eines Vereins, zum anderen das Mietshäuser Syndikat. Das Grundstück wiederum gehört der Stiftung, die damals auch bei der Besichtigung dabei war. Dass sie es auf 99 Jahre an die SchönerHausen GmbH verpachtet, macht das Ganze zwar noch komplizierter, hat aber neben der Geldersparnis für den Verein einen weiteren Zweck: Die Häuser sollen auf immer und ewig nur der Gemeinschaft gehören. Am Ende haben Kauf und Sanierung rund drei Millionen gekostet, genau kann das keiner wirklich sagen. Nur so viel: Mit der Miete, die alle zahlen, werden die Kredite getilgt.

„Es gibt unter Hausprojektlern ein Sprichwort: Eine Gruppe kauft, eine baut und eine andere wohnt“

 

Und es kommt ja einiges an Miete zusammen: Über 80 Menschen leben nun in den Häusern, wobei die Mischung recht bunt ist: Manche gehen 40 Stunden in der Woche arbeiten, andere leben von Hartz IV oder studieren.

Mit seinen 64 Jahren ist Frank der älteste Bewohner und so etwas wie der Hausmeister. Damit stockt er seine 650 Euro Rente auf. Frank ist irgendwann nach dem Kauf zu dem Hausprojekt dazugestoßen, so genau hat hier keiner mehr die Jahreszahlen im Kopf. Da gab es die zähe Sanierungsphase vor dem Einzug 2017, und der damals arbeitslose Elektriker hatte einfach Lust, mit anzupacken. Er kannte sich aus, weil er früher, als er noch mit seiner Familie zusammenlebte, schon einmal ein Fachwerkhaus saniert hatte. Heute ist dieses Haus für ihn Geschichte, von seiner Frau lebt er getrennt, und die Kinder sind längst weggezogen. Familie, das sei für ihn inzwischen dieses Hausprojekt hier. Als er das sagt, sitzt Frank in der 180 bei der 31-jährigen Anne auf dem Sofa und zieht an seiner E-Zigarette. In einem gewöhnlichen Mietshaus wären die beiden einfach Nachbarn und würden sich im Flur vielleicht mal „Hallo“ sagen. Im SchönerHausen aber sind sie Mitbewohner. Wenn Annes Tochter mit ihrer besten Freundin spielen will, geht sie raus aus der Küche über den Balkon und läuft einmal quer durch Franks Wohnung.

Aus den Anfängen ist kaum noch jemand dabei

Dann erzählt Frank von seinem Sohn. Der lebe in der Start-up-Wolke in Berlin für Tausende Euro Miete, fahre einen Tesla und begreife nicht, was sein Vater hier mache. Warum er sich das antue. Auch Annes Eltern hatten zunächst wenig Verständnis, erzählt sie. Diese riesige Bauruine und die viele Arbeit, nur um am Ende ein Haus zu besitzen, das immer nur der Gemeinschaft gehört. „Bist du dir da auch ganz sicher?“, hatten sie damals ungläubig gefragt.

„Vielleicht auch zu Recht“, sagt Anne lachend. „Niemand hat damals auch nur im Ansatz begriffen, was das hier für eine krasse Aufgabe sein wird.“ Drei Jahre lang haben sie gearbeitet, teils im Schichtbetrieb, teils mit Dutzenden Handwerkern gleichzeitig. Sie haben Wände herausgerissen (manchmal auch die falschen) und andere eingezogen, haben Stromleitungen und Wasserrohre verlegt, haben von einem Berliner Kollektiv gelernt, eine Heizung einzubauen, und es nach dem zweiten Haus dann doch lieber richtigen Handwerkern überlassen. Wände mussten trockengelegt, alte Fenster und Türen repariert, Böden gefliest, Steinmauern verputzt, Pilzbefall entfernt werden. Das Dach wurde neu gedeckt und die Fassade gestrichen. Es war eine riesige Baustelle mit Kran, Gerüst und Schuttberg.

In den letzten Jahren gab es auch innerhalb der Hausgemeinschaft viele Umbauten. Aus den Anfängen von SchönerHausen ist kaum noch jemand dabei. So gibt es denn unter Hausprojektlern auch ein Sprichwort: Eine Gruppe kauft, eine baut und eine andere wohnt. „Das sind alles krasse Prozesse“, sagt Flo. Beim Kauf habe er sich oft mit den Schulden allein und überfordert gefühlt, in der Bauphase wiederum zehrte das tägliche Arbeiten am Haus an allen. Nicht jeder hatte Zeit und Lust dazu. Und so kommt es, dass Flo heute einer der wenigen ist, die seit dem Kauf vor gut fünf Jahren immer noch dabei sind, der übrig ist aus der Gruppe der Initiatoren.

Aber wenn er so in Bademantel und Schlappen, das Babyfon in der Tasche, einmal quer durch den Garten schlurft, um mit seinen Mitbewohnern in der Wagensauna zu schwitzen, dann bereut er das nicht.

Titelbild: Annette Kammerer 

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