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Zwischenstand zur Halbzeitpause

Am Dienstag stimmen die USA über die Zusammensetzung ihres Kongresses ab – und indirekt darüber, wie zufrieden sie mit der Arbeit ihres Präsidenten sind. Über ein gespaltenes Verhältnis

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Midterms

Seit Wochen schon schielen die USA auf den 6. November 2018. Es wird wieder gewählt. Nein, kein neuer Präsident, obwohl man genau das glauben könnte. Viele hatten am 8. November 2016 das amtliche Wahlergebnis ungläubig zur Kenntnis genommen: Donald J. Trump war zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Eigentlich war seine Gegnerin Hillary Clinton als Favoritin in die Wahl gegangen, doch es kam anders. Seit diesem Tag ist Amerika vorsichtig geworden mit politischen Vorhersagen. 

Wer oder was wird bei den „Midterm Elections“ in den USA eigentlich gewählt? Ein FAQ

Durch die „Midterm Elections“ wird zwei Jahre nach der Präsidentschaftswahl das Repräsentantenhaus neu zusammengesetzt. Außerdem werden die Gouverneure von drei Dutzend Staaten und ein Drittel des Senats neu gewählt. Die Wahlen gelten als Referendum über seine Arbeit. Trump müsse deshalb mit einem Denkzettel rechnen, sind sich die Expertinnen und Experten in den liberalen Medien des Landes einig. Trumps kalkulierte Brüche mit so ziemlich allen politischen Normen haben den Effekt, dass es oft mehr um Stil als um Inhalte zu gehen scheint. Die Medien in Washington echauffieren sich eifrig darüber, was der Präsident in den frühen Morgenstunden twittert, während die Sachthemen offenbar in den Hintergrund rücken. 

 

Doch nicht überall ist das so. Fairfax County in Virginia, eine Woche vor dem eigentlichen Wahltag. Wer am 6. November verhindert ist, konnte hier vorab sein Kreuz machen, wie auch Rachel Cronin, 26. Kongresswahlen haben normalerweise eine geringere Wahlbeteiligung als Präsidentschaftswahlen, in diesem Jahr sei das Interesse aber vergleichsweise hoch gewesen, sagte der Wahlleiter des Bezirks. Cronin ist Lehrerin und in ihrer Mittagspause hier, um abzustimmen. Sie sagt, die Wahl sei schließlich wichtig. Auf die Frage, welche Themen ihre Entscheidung beeinflussen, fängt die junge Frau an, von Steuern und Ausgaben und Schulbudgets zu erzählen, die in Virginia zur Debatte stehen. Sie redet nicht von Trump, sondern über Lokalpolitik. 

Erhitzt die Gemüter: die Gesundheitsreform

„Unter Präsident Obama habe ich 303 Dollar im Monat für meine Krankenversicherung bezahlt“, erzählt John Curtin. „Dann hat er den ‚Affordable Care Act‘ eingeführt. Seitdem ist meine monatliche Zahlung auf knapp 1.300 Dollar angestiegen.“ Cortin besuchte das Wahllokal in Fairfax County am selben Tag wie Rachel Cronin, die junge Lehrerin. Nur gab er im Gegensatz zu ihr den Republikanern seine Stimme. Obamas Gesundheitsreform würde er gern rückgängig machen, so wie Trump. „Für mich sind wirtschaftliche Themen ausschlaggebend“, sagt der Anwalt. „Ich wähle nach meinem Geldbeutel.“

„Es gibt über Obama keins dieser reißerischen Bücher, weil er seine Angestellten respektiert hat“

Anfang Oktober. In Pennsylvania genoss Beck Dorey-Stein einen der letzten prallen Sommertage. Sie ist eine Frau Anfang 30, die gern bunte Kleider trägt und ein ansteckendes Lachen hat. Sechs Jahre lang hat sie den mächtigsten Mann der Welt auf Schritt und Tritt begleitet. Bis Anfang 2017 war sie Stenografin im Weißen Haus. Nach drei Monaten Zusammenarbeit mit Trump kündigte sie. „Es ist sehr leicht, als Präsident den Blick auf die Realität zu verlieren, wenn man sich mit Leuten umgibt, die einem ständig sagen, dass alles super läuft“, sagt Dorey-Stein.

Sie wundert sich nicht, dass unter Trump derart viele peinliche Geschichten aus dem Oval Office in die Öffentlichkeit gelangen. „Es ist schwierig, Loyalität einzufordern, wenn man selbst keinen Sinn dafür hat. Es gibt über Obama keins dieser reißerischen Bücher, weil er seine Angestellten respektiert hat und die ihn, von Tag eins an. Trump schmeißt die Leute raus und twittert anschließend noch abfällig über sie.“

Der Präsident hat die Republikaner zu seiner Partei geformt und beide Parteienlager ideologisch noch weiter auseinandergetrieben. Seine Stammwählerschaft hat er dabei umgarnt wie sonst niemanden. „Die meisten Politiker hätten nicht getan, was Trump getan hat. Man kann das durchaus ein großes politisches Wagnis nennen“, sagt Dan Balz, der seit 1978 für die „Washington Post“ über Politik berichtet.

„Wir befinden uns in einer Zeit, in der Intensität alles ist“

Er sitzt wenige Tage vor der Wahl in einem Café gegenüber von seinem Büro und erklärt, wie Trump die Republikaner dazu gebracht hat, mit ihm zusammenzuarbeiten: „Er hat es geschafft, diesen Zusammenschluss aus Konservativen um sich zu scharen. Leute, die ihn anfangs nicht mochten, jetzt aber die Agenda bekommen, die ihnen gefällt.“

Starke Präsidenten, sagt Balz, hätten die Gabe, ihre Partei zu formen. Wie Bill Clinton 1992, George W. Bush 2001 und eben Trump jetzt. „Er hätte natürlich die Hand ausstrecken können, um neue Wähler zu gewinnen. Aber wir befinden uns in einer Zeit, in der Intensität alles ist. Also setzt er voll auf Konfrontation statt auf Versöhnung.“ 

„I believe the victims“ – die Sache mit Richter Kavanaugh

50 zu 48 Stimmen reichten Brett Kavanaugh Anfang Oktober, um vom Senat als Richter am Supreme Court of the United States (Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten) bestätigt zu werden. Die Anschuldigungen durch Christine Blasey Ford wegen sexueller Belästigung stehen nach wie vor im Raum. Präsident Trump scheint das wenig zu stören – im Gegenteil, er entschuldigte sich bei einer Zeremonie im Weißen Haus noch einmal ausdrücklich bei Kavanaugh für das, was er in den vergangenen Wochen durchgemacht habe. 

„Armer weißer Mann, der jetzt auf Lebzeiten eine Stelle am obersten Gerichtshof des Landes innehat“

Armer weißer Mann, der jetzt auf Lebzeiten eine Stelle am obersten Gerichtshof des Landes innehat! Das denken sich Linda, Camille und Sue, die wie Hunderte andere Frauen kurz nach seiner Bestätigung vorm Senatsgebäude die Woche damit verbrachten, gegen Kavanaughs Ernennung zu protestieren. Die drei Endfünfzigerinnen trugen selbst gebastelte Schilder, auf ihren T-Shirts stand „I believe the victims“, Ich glaube den Opfern.

Christine Blasey Fords emotionale Aussage vor dem Justizausschuss hatte ihr Ziel verfehlt, aber statt niedergeschlagen zu sein, versprühen die drei Frauen Tatendrang. „Das ist nicht das Ende unseres Kampfes, im Gegenteil, das ist erst der Anfang“, sagt Sue. Falls die Republikaner bei den Kongresswahlen tatsächlich ein Debakel erleben sollten, dann wohl auch wegen Frauen wie Sue. Und die will dafür sorgen, dass all ihre Töchter und Freundinnen am 6. November ebenso wählen gehen.

Titelbild: Sarah Silbiger

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