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So ist es, ich zu sein: Lkw-Fahrer

Jörg Schwerdtfeger (58) ist 17 Jahre mit dem Lkw durch Europa gefahren. Er weiß, wie es ist, wochenlang von seiner Familie getrennt zu sein. Wer will so einen Job heute noch machen?

LKW Fahrer

Manchmal frag’ ich mich wirklich, wer den Beruf noch freiwillig macht, statt irgendwo in der Industrie zu arbeiten. So lange von zu Hause weg, die Raststätten, der Bewegungsmangel. Außer ein paar Facetime-Anrufen bist du unterwegs sozial völlig abgekapselt. Weihnachten, Geburtstage und Feiertage spielen für mich nicht so die Rolle. Ich lieb’ meine Kinder und meine Partnerin an jedem Tag im Jahr. Aber bei einem meiner vier Kinder habe ich wegen dem Job die Geburt verpasst. Einsam habe ich mich nur dann gefühlt, wenn etwas zu Hause nicht stimmte, wenn es Streit gab und du diesen Scheiß dann die ganze Zeit mit dir rumfahren musst.

Ich bin 17 Jahre im europäischen Ausland gefahren: Paris, Wien, Thessaloniki, Barcelona, Warschau. Von der Straße aus habe ich viele verschiedene Regionen gesehen und Leute aus anderen Ländern kennengelernt, mich mit Händen und Füßen verständigt. Dann bin ich ins Büro gewechselt als Disponent, und jetzt arbeite ich als Personalscout und Trainer für den Nachwuchs. Ich betreue 143 Fahrer und bin nah an deren Alltag dran. 

Als ich in den 80er-Jahren angefangen habe, waren die Bedingungen noch völlig andere. Körperlich war es beschwerlicher, du musstest beim Abladen mehr anpacken, Reifen selbst wechseln, wenn du unterwegs einen Platten hattest, und beim Fahren half dir noch nicht die ganze Automatik. Aber du wurdest besser behandelt. Es gab nicht diesen enormen Zeitdruck, und an den Rasthöfen hast du ein anständiges Menü zu fairen Preisen bekommen. 

„Das hört sich jetzt viel nach ‚Früher war alles besser‘ an, aber für unseren Berufsstand sind das Tatsachen“

Auch unter den Fahrern war es ein anderes Miteinander. Da hast du angehalten, wenn vor dir einer eine Panne hatte. Du konntest über den CB-Funk in der Kabine einen anderen Lkw in der Nähe anfunken. Da hast du im Hauptkanal gefragt, ob der Kollege von der Spedition Meier auf Sendung ist. Wenn eine Antwort kam, konnte man zum Quatschen auf eine leere Frequenz wechseln. Wenn dich ein anderer Lkw überholt, blendest du eigentlich zweifach auf, um zu zeigen, dass er jetzt vorbei ist und wieder einscheren kann. Normalerweise bedankt sich der Kollege dann mit Blinker links-rechts-links. Aber das sieht man heute immer seltener. 

Das hört sich jetzt viel nach „Früher war alles besser“ an, aber für unseren Berufsstand sind das Tatsachen. Greifbar wird das bei der Infrastruktur an der Autobahn und auf den Rasthöfen, die ist eine Katastrophe. Deutschland ist mit seiner Lage das am stärksten befahrene Transitland der EU: Bis zu 750.000 Lkw sind hier täglich auf den Straßen unterwegs. Die Autohöfe sind proppenvoll, teilweise hast du keine Chance, einen freien Platz zu finden. Wenn du Pech hast, verbringst du die Ruhezeit auf einem Autobahnrastplatz, das sind die mit den versifften Toiletten irgendwo im Nichts. Du kannst nach so vielen Stunden hinterm Steuer nicht duschen, und zu essen bleibt dir nur, was der Lkw-Kühlschrank noch hergibt.

Doch die Autohöfe sind nicht viel besser. Das ist heute nur noch Abzocke, alles ist durchkommerzialisiert. Sogar das Pinkeln kostet einen Euro, und für einen schlechten Automatenkaffee zahlst du vier Euro. Und das dann über Wochen. Die Speditionen können neben dem Lohn steuerfrei Spesen bezahlen. Wenn du länger als 24 Stunden in Deutschland unterwegs bist, 30 Euro pro Tag. Aber sie müssen nicht, dementsprechend zahlen viele die teuren Raststätten-Preise aus eigener Tasche. 

„Der Lohn an sich ist die größte Baustelle in der Branche. Du schlägst die Hände über dem Kopf zusammen“

Berufskraftfahrer arbeiten in einer Fünftagewoche: neun Stunden Fahrzeit pro Tag, aber zweimal in der Woche dürfen zehn Stunden gefahren werden. Jeweils nach 4,5 Stunden ist der Fahrer verpflichtet, 45 Minuten Pause zu machen. Schon 2017 hat der Europäische Gerichtshof zum Schutz der Fahrer geurteilt, dass die vorgeschriebene wöchentliche Ruhezeit von mindestens 45 Stunden nicht in der Kabine verbracht werden darf. Ich bin immer noch ständig auf Rasthöfen unterwegs, und da siehst du: Daran hält sich kaum einer. 

Die Arbeitgeber können sich zu leicht darum drücken, die Fahrer in Hotels unterzubringen. Denn wenn ein Fahrer in der Pause auf dem Rastplatz steht, dürfen die Kontrolleure von ihm nur die Tagesauswertung vom Fahrtenschreiber verlangen. Für das Gesamtprotokoll müssten sie nach der Pause wiederkommen, weil das Arbeitszeit ist – das ist komplett realitätsfern. Für die Fahrer hat sich nichts verbessert. 

Der Lohn an sich ist die größte Baustelle in der Branche. Du schlägst die Hände über dem Kopf zusammen, wenn du siehst, was Fahrer in Polen, Bulgarien oder Rumänien verdienen. Das sind wahrscheinlich 600 bis 800 Euro brutto. Wer in Deutschland angestellt ist, verdient brutto dagegen etwa 2.500 bis 2.600 Euro, rund 400 Euro über dem Mindestlohn. 

Ich kann mit dem Gerede von „kritischer Infrastruktur“ und „systemrelevant“ wenig anfangen. Jeder Beruf ist wichtig. Mir geht es darum, dass du als Fahrer deine Familie ernähren und einmal im Jahr normal in den Urlaub fahren kannst. Aber Fahrer haben wenig Möglichkeiten, für bessere Löhne zu streiken. Schätzungsweise sind weniger als 80 Prozent der Fahrer organisiert. Das liegt daran, dass sich Gewerkschaften lange nicht um den Berufsstand gekümmert haben. Mittlerweile ist Verdi da mehr hinterher. Ich bin in der Gewerkschaft und kann es nur jedem empfehlen, vor allem wegen der Rechtsberatung, die dir zusteht, wenn du gegen Arbeitsbedingungen in der eigenen Firma vorgehen willst.

Illustration: Gregory Gilbert-Lodge

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.