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„Hipster übernehmen Trends eher aus Prestige als aus Überzeugung“

Hipster gelten als progressiv, weltoffen, kulturaffin. Grégory Pierrot fordert in seinem neuen Buch dennoch, sie zu dekolonisieren

  • 5 Min.
Daluma

Hipster sind keine moderne Erscheinung: Zwischen den 1940er- und 60er-Jahren imitierten Weiße in den USA Schwarze* Jazzmusiker – die ersten Hipster waren geboren und stilisierten sich als eine Subkultur von Außenseitern. Die Hipster von heute ahmen diese Imitatoren nach und verkaufen das als Innovation, findet Grégory Pierrot. Damit würden sie die kulturelle Aneignung der früheren Generation sogar übertreffen. Im Interview erklärt der in Frankreich geborene Englischdozent an der University of Connecticut, warum er das für kolonialistisch hält.

fluter.de: Grégory, du magst Hipster nicht wirklich, oder?

Grégory Pierrot: (lacht) Ich glaube nicht. Aber wir haben viel gemeinsam.

Was denn?

Bei Musik gibt es viele Überschneidungen, wahrscheinlich auch in der Mode. Hipster übernehmen ja irgendwie alles, oder? Es wird also immer irgendetwas geben, das man mag, das sich Hipster aneignen.

Genau das ist es, was du an Hipstern kritisierst, oder?

Das würde ich so pauschal nicht sagen. Ich habe ein Problem damit, wie sich bei vielen Hipstern Konsum vermischt mit Kultur, Politik und einer sehr eigenen Form von Ironie.

„Seit Generationen werden die Sprache und der Stil afroamerikanischer Communitys kopiert. Anerkannt wird das nur ganz selten“

Kannst du das näher erklären?

Für mich ist dieses typische Hipster-Verhalten bis zu einem gewissen Punkt ein Verlust an Aufrichtigkeit. Alles kann man sich einfach kaufen. Man kann sich zum Beispiel für einen Tag eine Hip-Hop-Persona kaufen, ohne sich wirklich mit der Hip-Hop-Kultur zu beschäftigen. Natürlich hängen diese Einstellung und die Art des Konsums, die die Hipster von heute betreiben, auch mit der Globalisierung zusammen und der Tatsache, dass heute vieles so verfügbar ist. Aber es hat eben etwas sehr Oberflächliches: Sie übernehmen Trends eher aus Prestige als aus Überzeugung.

Du forderst in deinem Buch, die Figur des Hipsters zu dekolonisieren. Dabei gelten Hipster als eher progressive Gruppe. Was hat das miteinander zu tun?

Das widerspricht sich nicht. Weder in der Vergangenheit noch heute. Progressive Gruppen führten zum Beispiel die zweite Welle des französischen Kolonialismus im 19. Jahrhundert an, während die Konservativen und der linke Flügel dagegen waren. Wenn überhaupt, lässt sich dabei dieses wirklich perverse Element identifizieren, dass eine ausbeuterische Praxis verdeckt wird durch ein vorgetäuschtes Interesse an anderen Kulturen. Kapitalistische Ausbeutung geht häufig einher mit Rassismus. Das gibt es auch bei Hipstern, aber die Muster dafür sind viel älter.

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Dekolonisiert den Hipster
„Dekolonisiert den Hipster“ von Grégory Pierrot ist bei Nautilus erschienen (136 Seiten, 18 Euro).

Inwiefern ist der Hipster-Lifestyle ausbeuterisch?

Auf ganz unterschiedliche Weise. Zum Beispiel bei Musiker*innen, sagen wir mal Miley Cyrus, Iggy Azalea oder Elvis Presley. Ich kann ihnen natürlich nicht ihre persönliche Aufrichtigkeit absprechen. Aber als kulturelle und wirtschaftliche Phänomene beruhen sie einzig und allein auf der Übernahme von Genres, die als Schwarz gekennzeichnet waren: Bei Elvis war es Rhythm and Blues, der Rock ’n’ Roll heißt, seit weiße Musiker begannen, etwas Ähnliches zu spielen; bei Iggy Azalea ist es Hip-Hop, Miley Cyrus kopierte Schwarze Tanzschritte und Mode, um edgy zu sein, als sie sich von ihrer Disney-Persönlichkeit löste. Seit Generationen werden die Sprache und der Stil der afroamerikanischen Communitys kopiert. Anerkannt wird das nur ganz selten, weil niemand das Gefühl hat, das sei nötig. Ähnliches passiert beim Thema Gentrifizierung: Weiße Großstädter*innen übernehmen bestimmte Viertel, und Schwarze Communitys verlieren dabei häufig ihren Lebensraum. Die kulturelle Ausbeutung ist letztlich untrennbar mit der wirtschaftlichen Ausbeutung verbunden.

Kann man einem Hipster wirklich vorwerfen, ausbeuterisch zu sein, wenn er oder sie einfach nur Schallplatten oder Cold Brew Coffee mag?

Ich bin kein Priester, ich weise den Leuten keine Schuld zu. Es geht darum zu sehen, in welchen größeren Mustern wir als Gesellschaften stecken. Es geht auch um ein gewisses Bemühen. Macht es für uns Sinn, uns zwar mit bestimmten Kulturen oder Kunstformen zu beschäftigen, aber uns nie mit den Menschen auseinanderzusetzen, die sie schaffen? Ist das eine Schuldfrage? Ja, möglicherweise. Ist das etwas, das sich verändern ließe? Ich will es hoffen. Gleichzeitig ist das für uns alle schwer. Wir sind alle in solchen Ausbeutungsmustern gefangen. Und selbst das Bewusstsein darüber führt nicht unbedingt zum Handeln. Die Frage für uns alle, mich eingeschlossen, ist doch: Was tun wir dagegen?

In deinem Buch schreibst du, dass Hipster „die jüngste Ausprägung einer jahrhundertealten kulturellen Tradition“ seien, nämlich der kulturellen Aneignung. Was ist kulturelle Aneignung für dich?

Für mich ist es die Übernahme kultureller Ausdrucksformen, ohne anzuerkennen oder zu erklären, woher sie kommen. Elvis Presley ist natürlich nicht der Einzige, aber alle wussten damals, welche Art von Musik er nachmachte. Er profitierte davon, als Weißer Schwarze Musik zu machen. Das machte seine ganze Karriere aus, so wurde er reich. Und das ist für mich ein echtes Problem. 70 Jahre später blicken wir auf Rock ’n’ Roll zurück, als wäre es die Musik aller gewesen. Aber damals war das nicht so. Elvis wusste also genau, was er tat. Es war kein Ausleihen, sondern Diebstahl.

„Es geht darum, sich anzustrengen und gemeinsam etwas aufzubauen, statt sich gegenseitig zu bestehlen“

Andere argumentieren, dass sich Kulturen gegenseitig beeinflussen müssen, dass es gar keine so strikten Grenzen gibt. Und die Ursprünge von Kunst und Kultur sind ja meistens gar nicht so klar.

Das stimmt. Ich denke, alle Kulturen haben sich gegenseitig beeinflusst. Und ich glaube nicht, dass alle Kulturen voneinander stehlen. Es geht mir in diesem Zusammenhang um kommerzielle Netzwerke wie die Musikindustrie. Es geht um Leute, die als Musiker*innen für ihre Musik hätten bezahlt werden müssen, stattdessen verdienten andere Leute Unmengen von Geld mit dem, was sie produzierten. Ein ganz berühmtes Beispiel: Led Zeppelin, eine Band, die ich liebe. Ihre Musik basiert auf der Musik von Schwarzen. Es gab auch Plagiatsstreitigkeiten zu einigen ihrer Songs. Wurden sie also beeinflusst? Ja, natürlich. Haben sie die Musik, die sie inspiriert hat, verändert? Ja. Aber trotzdem war das kulturelle Aneignung, denn sie haben Geld verdient und so getan, als ob sie niemandem etwas schuldig wären.

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Aber du liebst sie trotzdem?

Ja, natürlich. Ich bin mit ihnen aufgewachsen. Ich kann mich davon ja nicht lösen. Aber ich weiß, was sie getan haben.

Du könntest ja auch aufhören, ihre Musik zu hören.

Ich denke, wir können uns solcher Prozesse bewusst sein, ohne so tun zu müssen, als ob es Led Zeppelin nie gegeben hätte. Ist diese Musik problematisch? Ja. Kann sie gut sein? Ja. Ich denke nicht, dass das im Widerspruch zueinander steht.

Schon im 20. Jahrhundert gab es die Figur des Hipsters, es gibt sie aktuell, und ein ähnliches Phänomen wird vielleicht wieder auftreten. Was kann sie dann besser machen?

Ich schreibe im Buch, dass ich kein Rezept habe. Es wäre zu einfach, wenn wir genau wüssten, wie wir vorgehen sollen. Ich will nicht zu naiv und idealistisch klingen, aber es geht um echten Austausch und nicht um Ausbeutung. Es geht darum, sich anzustrengen und gemeinsam etwas aufzubauen, anstatt sich gegenseitig zu bestehlen. In jeder Hipsterwelle gab es Menschen, die es anders gemacht haben. Sie haben dazu beigetragen, dass wir uns all der Probleme bewusst geworden sind, über die wir hier sprechen. Die Sache ist: Hipster, die es anders machen, sind nicht das, was ich Hipster nennen würde. Alle Leute, die meiner Meinung nach dafür infrage kommen – Mick Jones von The Clash, Duck Dunn und Steve Cropper von Booker T. & the M.G.’s –, sind eher Musiker als Hipster. Das ist vielleicht die letzte Pointe dieses Buches, wenn es denn eine gibt: Machen, nicht nehmen!

* Übrigens schreiben wir „Schwarz“ groß, um zu verdeutlichen, dass es keine Eigenschaft ist oder Kategorie, in die man Menschen einordnen kann. Der Begriff ist eine politische Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer Herkunft, deren Erfahrung durch Kolonialismus und Rassismus geprägt ist.

Titelbild: Dagmar Schwelle/laif

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