
Alles muss man selber machen
Bürokratie, Bezahlung, Work-Life-Balance: drängende Fragen an sechs Menschen aus dem Handwerk
Katharina Stadtler (37) ist selbstständige Bäckermeisterin im Sauerland

Was braucht man, um deinen Job gut zu machen? Starke Nerven, Frustrationstoleranz, Flexibilität, Kreativität. Wichtig ist auch eine gute körperliche Konstitution. Ich muss 25-Kilo-Säcke stemmen und schwere Brotkästen aus dem Ofen wuchten.
Wirst du fair bezahlt? Das ist als Selbstständige so eine Sache. Ein Meistergehalt kann ich mir nicht auszahlen, und es gibt auch Monate, in denen ich nichts verdiene.
Stimmt deine Work-Life-Balance?Ich kann meinen Job so ausüben, wie ich möchte, das ist mir viel wert. Klare Grenzen zwischen Work und Life gibt es aber nicht: Mal kommen ungeplante Bestellungen rein, mal muss ich spontan einen Krankheitsfall vertreten.
Wer sollte deinen Job mal einen Monat lang machen?Vertretende vom Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung. Die würde ich gerne mal zum Arbeiten zu uns und in eine Großbäckerei schicken. Da erleben sie, was in Großbäckereien als billiger Butter- oder Schokoladenersatz genutzt und wie viel Zucker verwendet wird. Kurz: was unserer Gesundheit angetan wird, um ein paar Cents zu sparen. Und dann sprechen wir bitte über Förderungen, Bürokratieabbau und andere Unterstützungen für kleine Betriebe. Bei mir ist es dauerhaft so knapp, dass ich überlege, ob ich aufgeben muss.
Welches Klischee über deinen Job stimmt?
Alle Bäcker sind müde. Das stimmt: Nachtarbeit ist Horror. Machen wir zum Glück nicht, weil wir nur mit lang geführtem Sauerteig arbeiten. Der ruht über Nacht, und ich kann morgens ein bisschen später anfangen.
Welche Arbeit sollte dir eine künstliche Intelligenz abnehmen? Tatsächlich führe ich schon autonome Filialen mit Brotautomaten. Die werden gut angenommen. Eine KI dürfte mir jetzt gern noch das Kaufverhalten voraussagen und dabei Trends, das Wetter oder Straßensperrungen einbeziehen.
Luca Marie (23) ist im ersten Lehrjahr zur Goldschmiedin
Was braucht man, um deinen Job gut zu machen? Ein Auge für Details. Lust, kreativ zu arbeiten: Ich will mich in die Schmuckstücke einbringen. Was ich noch lernen muss, ist die Geduld. Einen Millimeter von einem Ring runterzufeilen dauert ewig, da krampft die Hand. Am Anfang muss man durch einiges durch. Ich säge und feile mir oft in die Finger.
Wirst du fair bezahlt? In der Ausbildung verdiene ich wenig. Wenn ich nicht noch zu Hause wohnen würde, könnte ich mir das nicht leisten. Auch weil ich ein Auto brauche, um zur Arbeit und zur Berufsschule zu kommen. Später kann man mehr verdienen, wenn man gut ist.
Stimmt deine Work-Life-Balance? Ich gehe supergern zur Arbeit und arbeite danach zu Hause oft noch weiter in der kleinen Werkstatt, die ich mir eingerichtet habe.
Wer sollte deinen Job mal einen Monat lang machen? Menschen, die unglücklich sind in ihrem Job, damit sie sehen, wie erfüllend Arbeit sein kann. Ich habe neulich Ohrringe für eine Kundin gemacht, die sie eines Tages an ihre Tochter vererben will. Tolles Gefühl.
Welches Klischee über deinen Job stimmt? Dass wir perfektionistisch sind.
Welche Arbeit sollte dir eine künstliche Intelligenz abnehmen? Eine, die Masse und Wert des Materials bestimmt. Das müssen wir in der Berufsschule in Mathe machen, und ich checke das einfach nicht.
Welchen Satz kannst du nicht mehr hören? Wenn Kundinnen oder Kunden reinkommen und „mal eben“ was repariert haben wollen. Da fehlt die Wertschätzung: Goldschmiedearbeiten sind aufwendig. Das ist nicht dasselbe, wie Ohrringe für zwei Euro bei Temu zu bestellen.

Miguel Pereira (50) arbeitet seit 30 Jahren als Maurer und kam mit 18 Jahren aus Portugal nach Deutschland

Was braucht man, um deinen Job gut zu machen? Sorgfalt. Ich habe schon Klinkerpfeiler fertig gemauert und am nächsten Tag wieder eingerissen, weil sie nicht ordentlich waren.
Stimmt deine Work-Life-Balance? Nein, der Druck ist enorm: Überall fehlt es an Handwerkern. Ich arbeite auch nach Feierabend und samstags. Auf den Baustellen sind wir nach den Tiefbauern die Ersten. Da sitzen dir die Zimmerleute, Fensterbauer und Elektriker im Nacken, weil sie auch ranwollen. Aber ein Maurer arbeitet nicht gut unter Druck.
Wirst du fair bezahlt? Wir arbeiten oft für Leute, die viel mehr Geld haben. Stört mich auch nicht, wenn die sich riesige Häuser bauen. Das ist ja Arbeit für mich. Was mich aber stört: wenn die, die Geld haben, unsere Arbeit dann schlecht bezahlen wollen.
Wer sollte deinen Job mal einen Monat lang machen? Die, die in ihren Büros sitzen und denken, eine Türlaibung sei mal eben in zwei Stunden gemacht. Die sehen gar nicht, was da alles zugehört. Wenn schon Laminat liegt und Fenster drin sind, musst du erst mal alles abkleben. Und trocknen muss es auch.
Welche Arbeit sollte dir eine KI abnehmen? Die kann die schweren Zementsäcke tragen.
Jonas Winkler (33) hat eine Tischlerei und mehrere Hunderttausend Follower
Was braucht man, um deinen Job gut zu machen? Leidenschaft. Ohne Liebe für das, was man macht, kann man seine Arbeit nicht gut machen. Und wenn’s Spaß macht, geht die Arbeit viel leichter von der Hand. Die Erfahrung habe ich erst in der Werkstatt gemacht.
Wirst du fair bezahlt? Mit eigenen Unternehmen variiert das. Aber ich bin sehr zufrieden. Und kann es mir leisten, viel Zeit in meine YouTube-Tutorials zu stecken. Social Media fressen etwa 75 Prozent meiner Arbeitswoche.
Stimmt deine Work-Life-Balance? Ich versuche, genauso viel Zeit mit meiner Familie zu verbringen wie im Job. Aber man unterschätzt bei der Balance den „Life“-Anteil: Ich habe zwei Kinder und zwei Hunde. Da ist immer viel los.
Wer sollte deinen Job mal einen Monat lang machen? Ich schmeiße die Tischlerei, habe ein Tattoostudio und einen Onlineholzhandel. Bei so vielen Jobs nebeneinander würde ich niemandem raten, mit mir zu tauschen.
Welche Arbeit sollte dir eine künstliche Intelligenz abnehmen? Verträge prüfen, alles andere mache ich gerne selber.
Bester Baustellenspruch? „Meintest du Millimeter oder Zentimeter?“

Nadia Miaoui (44) ist Friseurin. Sie führt seit fünf Jahren einen Salon mit vier Angestellten

Was braucht man, um deinen Job gut zu machen? Kreativität und Lust, mit Menschen zu arbeiten. Die meisten Kundinnen und Kunden schütten mir ihr Herz aus. Ich kann noch so gut Haare schneiden: Wenn der Vibe nicht stimmt, kommen die nicht wieder.
Wirst du fair bezahlt? Kein Stück. Als Selbstständige und alleinerziehende Mutter komme ich gerade so über die Runden. Neulich waren zwei Kolleginnen zwei Wochen krank. Ich musste Termine absagen. Da suchen sich die Leute ganz schnell einen anderen Salon.
Stimmt deine Work-Life-Balance? Da hat mich die Selbstständigkeit tatsächlich gerettet. Ich hatte in den vergangenen Jahren gefühlt immer ein Kind mit Fieber. Die konnte ich einfach mitnehmen, hier im Laden steht eine Couch. Welcher Arbeitgeber hätte das mitgemacht?
Wer sollte deinen Job mal einen Monat lang machen? Alle, die Berufe wie meinen herunterspielen. Die meinen, sie seien etwas Besseres. Bei mir sitzt die ganze Gesellschaft, von der Ärztin bis zum Bürgergeldempfänger. Wenn ein Bänker heiratet, muss er zum Friseur. Wenn ich einen Kredit brauche, muss ich zum Bänker. So einfach ist das.
Welche Arbeit sollte dir eine KI abnehmen? Meine Termine koordinieren.
Welchen Satz kannst du nicht mehr hören? Die Bezeichnung Friseuse geht gar nicht. Und wenn jemand einen Termin will und sagt: „Geht auch ganz schnell. Ist doch nur ein Haarschnitt.“
Dimi Dalkeranidis (56) hat seit bald 30 Jahren eine Autowerkstatt
Was braucht man, um deinen Job gut zu machen? Neben technischem Verständnis auch die Oberarme: Ich muss ganz schön was wegwuchten, allein so ein Reifen ist nicht leicht.
Wirst du fair bezahlt? Ich verdiene gut, vor allem seit ich selbstständig bin. Ich bezahle auch meine Mitarbeiter fair.
Stimmt deine Work-Life-Balance? Ja, obwohl ich an Werktagen bis zu zwölf Stunden arbeite. Das Gute ist: Als Kfz-Mechaniker kannst du keine Arbeit mit nach Hause nehmen. Nach Feierabend habe ich Ruhe.
Wer sollte deinen Job mal einen Monat lang machen? Büromenschen. Viele, die den ganzen Tag am Computer sitzen, haben Bock, mal was mit den Händen zu machen.
Welches Schrauberklischee stimmt nicht? Dass Kfz-Mechaniker ein bisschen unterbelichtet sind. Bei mir kriegen die Kunden auch mal einen Crashkurs in griechischer Philosophie.
Welche Arbeit sollte dir eine KI abnehmen? Ersatzteile bestellen. Da sitzt du ewig am Computer und klickst rum.
Welchen Satz kannst du nicht mehr hören? Ich bin oft echt platt, und dann kommt ein Kunde und sagt: „Sei doch froh, dass du Stress hast. Stell dir vor, es wäre anders.“
Dieser Beitrag ist im fluter Nr. 95 „Handwerk“ erschienen. Hier geht es zum kompletten Heft.

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