
Schwarzer Tag
Mindestens 615 Millionen Euro soll der Schaden durch Schwarzarbeit betragen. Geld, das dem Staat fehlt. Geld, das die Spezialeinheit FKS reinholen soll
Die zwei sitzen auf Europaletten in der Einfahrt. Den Döner in der einen Hand, der Ayran neben ihnen. Die Sonne scheint, es ist ruhig: Pause auf der Baustelle. Dann, plötzlich, kommen zehn Einsatzwagen angefahren, wie im Film. Einer nach dem anderen hält, Uniformierte springen heraus und stürmen die Baustelle des schicken Mehrfamilienhauses im Berliner Südwesten. Einige gehen auf die Handwerker zu, auch auf die beiden Landschaftsgärtner mit ihren Dönern, andere versperren die Ausgänge. Ein Wort prangt auf ihren schusssicheren Westen: Zoll.
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, kurz FKS, ist eine Spezialeinheit. Sie bekämpft illegale und nicht angemeldete Beschäftigung, also Arbeit, für die zwar Lohn gezahlt wird, aber keine Steuern oder Sozialabgaben wie etwa an die Krankenkasse. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzt, dass mindestens 3,3 Millionen Menschen in Deutschland schwarzarbeiten, besonders häufig junge Männer. Laut der FKS wurde der Staat so allein im Jahr 2023 um mindestens 615 Millionen Euro betrogen.
Hotspots sind Baustellen und die Gastronomie
Ein paar Stunden zuvor, die Sonne geht gerade erst auf, aber die Gänge eines Backsteingebäudes in Berlin-Tempelhof sind voll. 6.30 Uhr, Dienstbeginn bei der FKS. Zu ihrem Schutz sollen die Namen der Einsatzkräfte geheim bleiben. Nur einer nennt seinen: Ronny Tillmann, 45, Team- und heute einer der Einsatzleiter.
Tillmann ist seit 2009 bei der FKS, er kam fünf Jahre nach ihrer Gründung. In Schutzausrüstung eilt er durch die Gänge, trifft letzte Vorbereitungen für die Prüfung. So heißt der Einsatz in Zollsprache. Heute steht ein besonders großer an: Mit knapp 30 Leuten fährt die FKS auf Baustellen und in Gastronomiebetriebe. Zwei Gewerbe, in denen Schwarzarbeit besonders verbreitet ist.
„Wie immer: Passt aufeinander auf“, sagt Tillmann bei der Einsatzbesprechung im Konferenzraum. Fotos von Hauseingängen und Baustellen laufen über einen Bildschirm. Sie gehen Funkkanäle, Anfahrt und ihre Abläufe durch. Trotz penibler Vorbereitung könne sie alles erwarten, sagt Tillmann: von einer Vorzeigebaustelle über Arbeitsausbeutung bis hin zu Menschenhandel. „Wir sehen manchmal großes Elend.“
Im Jahr 2023 hat die FKS rund 42.600 Arbeitgeber überprüft, im Schnitt 116 am Tag. Allein im Baugewerbe leitete sie mehr als 18.000 Verfahren ein, die mit hohen Bußgeldern oder sogar Freiheitsstrafen enden können.
Am Ende verlieren fast alle
„Schwarzarbeit schadet allen“, sagt Tillmann, „nicht nur dem Staat.“ Den Renten- und Sozialkassen fehlt Geld. Die Steuern für Einzelne können steigen, wenn nicht alle ihre Steuern zahlen. Es werden weniger Arbeitsplätze geschaffen. Betriebe, die ehrlich abrechnen, seien zum Teil nicht wettbewerbsfähig, sagt Tillmann. Und die Schwarzarbeitenden selbst seien großen Risiken ausgesetzt: Sie arbeiten unversichert, haben keine Ansprüche auf Rente oder Mindestlohn. Genau genommen nicht mal auf ihren Lohn, wenn der mal nicht kommt.
Die Döner auf der Baustelle liegen angebissen auf einem Stapel Pflastersteine. Einer der beiden Landschaftsgärtner hat sich eine Zigarette angezündet und ascht in eine Schubkarre. Sein Kollege, ein Azubi, fährt sich immer wieder durch die Haare, schielt herüber. Aber die Zigarette muss warten, er ist noch nicht volljährig. Wie sein Chef heißt, wie viel Urlaub er hat, ob sein Lohn überwiesen wird? Fragt ein Beamter und notiert die Antworten auf einem Fragebogen.
Neben dem Bau, der Gastro, der Logistik- und der Sicherheitsbranche arbeiten vor allem in den häuslichen Dienstleistungen (wie Putzen oder Babysitten) viele illegal. Es drohen hohe Bußgelder oder in besonders schweren Fällen auch Freiheitsstrafen – sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern. Migrantinnen und Migranten können ihre Aufenthaltserlaubnis oder Duldung verlieren.
„Achtet auf die Hände“, zischt Tillmann. Er beobachtet einen Bauarbeiter, der in den Hosentaschen kramt. Die Hände behält er immer im Blick, um auf mögliche Angriffe schnell reagieren zu können. Seinen Beruf lege er nie ganz ab, wird Tillmann später erzählen. Selbst wenn er privat in ein Restaurant geht, zähle er zuerst die Arbeitskräfte und suche den Raum nach Ausgängen ab.
Das Funkgerät an Tillmanns Brust krächzt: Ein Kollege im Haus kann die Arbeitsverhältnisse eines ukrainischen Bauarbeiters nicht klären. Hinterm Haus befragt ein Zollbeamter auf Polnisch einen Stahlbauer. Er hat einen Mitarbeiter aus Polen mitgebracht ohne die notwendige Bescheinigung. Bisher kommen alle, denen die FKS an diesem Tag ein Vergehen nachweist, aus dem Ausland.
„Bei unserer Arbeit merkt man, dass Migrantinnen und Migranten oft die Arbeiten übernehmen, die andere nicht machen wollen“, sagt eine Zollmitarbeiterin auf der Baustelle. Im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung arbeiten überdurchschnittlich viele Ausländerinnen und Ausländer im Niedriglohnsektor. Außerdem lässt sich ein fehlender Aufenthaltsstatus oder eine fehlende Arbeitserlaubnis relativ leicht nachweisen. Im Gegensatz zum schwarzen Zuverdienst der befreundeten Fliesenlegerin, die am Wochenende das Badezimmer kachelt, oder des Kellners, der seinen Lohn nachts auf die Hand bekommt. Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, dass Schwarzarbeit unter Besserverdienern verbreiteter ist als unter Geringverdienern.
Die Ausbeutung hat System
Hinzu komme noch etwas anderes, erklärt Monika Fijarczyk. „Immer mehr Firmen setzen bewusst auf die Anwerbung aus dem Ausland, um das Unwissen der Beschäftigten auszunutzen.“ Das sei organisierte Arbeitsausbeutung. Fijarczyk ist Juristin und Mitarbeiterin beim BEMA, dem Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit, das mit der FKS zusammenarbeitet. Jedes Jahr kämen mehr Migrantinnen und Migranten in die Beratung, sagt Fijarczyk. Sie erhalten keinen Lohn oder keinen Nachweis über ihre Beschäftigung, stehen nach Arbeitsunfällen ohne Krankenversicherung da oder wohnen bei ihren Arbeitgebern, die einen großen Teil des Gehalts direkt als Miete einbehalten. „Viele von ihnen sind Opfer von Arbeitsausbeutung“, sagt Fijarczyk. Sie seien erst kurz in Deutschland, sprächen kaum Deutsch, kennen ihre Rechte und Pflichten nicht und seien abhängig von ihrem Arbeitgeber, zum Beispiel, weil er ihnen Geld geliehen hat, damit sie einreisen können.
Wer schwarzarbeitet, verstößt gegen das Gesetz. Fijarczyk schlägt vor, die, die sich für die Tat selbst anzeigen, nicht zu bestrafen. Sie könnten zum Beispiel Anspruch auf Weiterbeschäftigung bei dem bisherigen Arbeitgeber erhalten, in Frankreich und Griechenland sei das in bestimmten Fällen bereits möglich. „Außerdem sollte die Zahl der Subunternehmen begrenzt werden“, sagt Fijarczyk. Gerade im Bau und in der Logistik, wo sich viele Unternehmen gegenseitig beauftragen, würde dadurch klarer, welche Arbeitgeber für welche Arbeitskräfte verantwortlich sind.
Die beiden Landschaftsgärtner haben nichts zu befürchten: Sie sind regulär angestellt. Von der Begegnung mit der FKS bleibt ihnen nur ein Band ums Handgelenk, das zeigt, dass sie befragt wurden. Die FKS räumt die Baustelle und fährt weiter. Das Team teilt sich auf: Tillmann fährt in ein Restaurant mit weißen Tischdecken und Weingläsern auf den Tischen, wo er lauter Minijobber antrifft. Die anderen decken einen „Fünfundneunziger“ in einer Pizzeria auf.
Vor dem Laden wird ein schlaksiger Mann in Lederjacke abgeführt. Der Pizzabäcker ist Pakistani mit polnischem Aufenthaltstitel. Er darf in Deutschland weder langfristig leben noch arbeiten. Damit verstößt er gegen Paragraf 95 des Aufenthaltsgesetzes.
Die FKS bringt ihn zur Bundespolizei, um seine Daten und Fingerabdrücke aufzunehmen und Fotos zu machen. Die Lederjacke muss er ausziehen, damit der Beamte seinen Körper mustern kann: Statur, Gesichtsform, Haare, Hautfarbe, Narben und Tattoos, die er nicht hat: Die Bundespolizei überträgt alles in ein Dokument.
Danach werden sie alle gehen: die FKS und der Pizzabäcker. Wie er in die Situation gekommen ist, was mit ihm geschieht, ob er Deutschland verlassen muss, werden Tillmann und sein Team wohl nie erfahren. Für ihre Arbeit ist das nicht entscheidend. „Wir sind wie Schiedsrichter“, sagt Tillmann. Die FKS mache die Regeln nicht, sie sorge dafür, dass alle sie einhalten. Damit hat sie genug zu tun: Im Dienstgebäude in Tempelhof füllt sich der Schrank mit Hinweisen auf illegale Beschäftigungen, und in der Stadt gibt es täglich neue Baustellen.
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Titelbild: Yannis Konstantinos