Seien wir ehrlich: Der Valentinstag ist fiese, heteronormative Pärchenpropaganda. So mit Rosen und Kerzenschein läuft das ja nur seltenst mit der Liebe. Und man kann der Berlinale wirklich nicht vorwerfen, dass sie die mit den Gefühlen entstehenden Kompliziertheiten nicht auch in all ihren Abgründen abbildet.
Natürlich liebt das Kino die Liebe. Ohne den ganzen Herzschmerz und die großen Gesten würde es die meisten Filme gar nicht geben. All die Geschichten übers Verknalltsein und was darauf folgen kann: endlos lange Chatverläufe, erste Dates, Knutschen, Sex, Zusammensein, Zusammenziehen, Zusammenbleiben. Aber auch Geschichten über unerwiderte Gefühle, Trennungen, Krisen, Eifersucht und Liebe auf Distanz sind klassische Filmstoffe. Genauso wie verschiedene Vorstellungen des Paarseins: Wen will ich eigentlich? Und muss Liebe gleich Beziehung bedeuten?
Liebe hat eben nicht immer einen idealen Spannungsbogen mit Happy End. Gefühle sind nie einfach. Und viele Freiheiten bedeuten nicht selten auch viel Druck, Unsicherheit und ganz unterschiedliche Erwartungen in Bezug auf Liebe. Zum Valentinstag haben wir uns deshalb einige Paare und Konstellationen mal genauer angeschaut.
Tamer Jandali: „Easy Love“
Der Titel ist schon mal ironisch gemeint. Denn easy ist die Liebe in dem Debüt vom Tamer Jandali sicher nicht. Der Film begleitet sechs junge Leute aus Köln: Lenny und Pia sind frisch verliebt und gerade zusammengezogen, doch schon bald fängt es an zu kriseln. Sönke hangelt sich von einem zum nächsten One-Night-Stand, bis er sich unglücklich verliebt. Sophia glaubt nicht, dass sie ihre Liebe findet. Um die Miete zahlen zu können und weil sie dadurch so etwas wie Selbstbestimmung erlebt, hat sie Sex gegen Geld. Stella und Nic sind schon länger ein Paar. Nic will eine offene Beziehung, während das bei Stella große Verlustängste auslöst. Der Film zeigt nach und nach, wie die Großstadt-Lieben an ihre Grenzen stoßen: Alle möchten ihre Freiheit, aber irgendwann sitzen da doch zwei Leute am Küchentisch, die irgendwas definieren wollen. (chs)
Safy Nebbou: „Celle que vous croyez“
Claire ist 50, erfolgreiche Autorin, Mutter, geschieden und oft einsam. Noch etwas unerfahren im Umgang mit sozialen Medien legt sie sich ein Fake-Facebook-Profil zu und gibt sich als die 24-jährige Clara aus. Was als Flirt mit dem 29-jährigen Alex beginnt, wird bald zur Obsession mit weitreichenden Folgen. Claire fühlt sich mehr und mehr wie Mitte 20. Bei Alex entstehen Erwartungen. Die Chats und dann auch die Telefongespräche sind aufregend. Die Realität gerät dabei immer mehr in den Hintergrund. Das Ganze steigert sich, und ohne zu spoilern sei gesagt: Der Film ist indirekt auch ein erhobener Zeigefinger darauf, wie schrecklich anonym das Internetdating ist. Es geht in erster Linie aber um den sehnlichen Wunsch, sich begehrt und geliebt zu fühlen – und zwar in jedem Alter. (chs)
Marie Kreutzer: „Der Boden unter den Füßen“
Ein flüchtiges Streicheln im Meetingraum, eine beiläufige Berührung beim Business-Dinner: Diese Beziehung wird geheim gehalten, denn Lola und Elise arbeiten für dieselbe Unternehmensberatung, genauer: Die rund zehn Jahre ältere Elise ist Lolas Vorgesetzte. So teilen sie ihre seltenen Nächte im Luxushotelbett in Rostock, wo sie gerade eine Messtechnikfirma kleinsparen, und wissen sonst fast nichts übereinander. Lola nicht, dass Elise tablettenabhängig ist. Und Elise nicht, dass Lola eine ältere Schwester hat, die unter paranoider Schizophrenie leidet (die Beziehung der Schwestern ist die Haupthandlung des Films). Schwächen kommen in der High-End-Businesswelt mit ihren 48-Stunden-Nonstop-Schichten halt nicht gut an, und nach dem ersten Streit wird Lola auch erst mal von der Abschlusspräsentation abgezogen. Ist das Liebe? Oder nur eine karrierebedingte Zweckbeziehung? Es bleibt unklar bis zum Schluss. (mbr)
Thomas Moritz Helm: „Heute oder morgen“
Frisch verliebt sind Maria und Niels nach fast zwei Jahren Beziehung nicht mehr, eher ein eingespieltes Team. Vor allem Niels ist das Sexleben sehr wichtig. Mehrmals überredet er Maria, Fremde anzusprechen und aus dem Nichts zu einem Dreier einzuladen. Als sie dabei Chloe kennenlernen, verändert sich für Maria alles – sie verknallt sich in die Engländerin, die für ihre Doktorarbeit in Berlin ist. Niels, der Chloe ebenfalls „megaheiß“ findet, begreift zuerst nicht, welche Konsequenzen das für seine Beziehung haben wird. Was als Abenteuer zu dritt beginnt, fördert bald Eifersucht, verletzte Gefühle und Ansprüche zutage. So schlicht die Story sein mag, wie die drei Figuren miteinander und umeinander ringen, verleiht dem Film Tiefe. „Heute oder morgen“ ist ein typischer „Ein Sommer in Berlin“-Film, in dem es viel um Sex und Sehnsüchte geht, aber eben auch um die vielen Arten von Liebe, die sich mal in einem Blick, einem Kuss, aber auch in einem Glas Cola mit Eis oder einer geklauten Torte zeigen. (sa)
Abends IMAX, morgens Arsenal
Außergewöhnliche Kinostoffe auf die große Leinwand bringen, das verspricht die Berlinale, und diese hier ist besonders riesig:
Satte 500 Quadratmeter Projektionsfläche hängen im IMAX-Kino am Potsdamer Platz (eine der kleinsten Leinwände des Festivals ist gleich gegenüber im Arsenal, die ist gerade mal zehn Quadratmeter groß). Die winzig erscheinenden Menschen unten sind Regisseur*innen aus Neuseeland, Australien, Samoa und Indonesien, sie alle sind mit Kurzfilmen bei der Berlinale vertreten, die im Rahmen der Sonderreihe „NATIVe – A Journey into Indigenous Cinema“ laufen. Die widmet sich dieses Jahr der Pazifikregion, setzt sich dort unter anderem mit Themen wie Umweltzerstörung und postkolonialem Erbe auseinander, mit einem Fokus auf die weibliche Perspektive. Dafür ist die allergrößte Leinwand des Festivals doch ein guter Platz. (mbr)
Die Jungs von der Mafia
Getränke darf man nicht mitnehmen in den Berlinale-Palast, in dieses temporär zum Kino umgebaute Musicaltheater, das die Weltpremieren des Wettbewerbs zeigt. Nicht mal Leitungswasser, darauf muss die Einlasserin bestehen. Ich trinke also schnell noch meinen Becher aus, bevor ich mir „La Paranza dei Bambini“ anschaue, den italienischen Wettbewerbsbeitrag über Jungs aus Neapel, die zu einer Mafiabande werden.
Die Romanvorlage des Films stammt von Roberto Saviano, der berühmt wurde durch Enthüllungsreportagen über die Machenschaften der Camorra in Neapel. Seitdem muss er mit Morddrohungen leben und steht seit vielen Jahren unter Personenschutz. Auch in Berlin hatte er Bodyguards dabei – war aber durchaus volksnah. Nach dem Film gab er mehreren Zuschauern Autogramme, machte Selfies mit ihnen, und weil ich ziemlich weit vorne saß, stand er auf einmal direkt vor mir. Also wirklich direkt, einen Meter entfernt vielleicht. Keine Ahnung, wie die Bodyguards mich noch hätten aufhalten wollen, hätte ich eine Waffe im Rucksack gehabt. Der wurde nämlich nicht kontrolliert beim Einlass. Aber nass spritzen hätte ich Roberto Saviano nicht können, dafür war gesorgt. (mbr)
Titelbild: CASQUE film