Thema – Europa

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Friede, Freude, Eurokuchen

Was, wenn nur junge Menschen im Europäischen Parlament sitzen würden? Unsere Autorin war beim European Youth Event in Straßburg und hat ein wenig Wirbel in die salbungsvollen Gespräche gebracht

  • einmal ausreden lassen
EYE 2018

Für Twentysomethings wie mich gibt es viele Möglichkeiten, Internationalität und Europismus hautnah zu erleben – Erasmus, Interrail, Technoschuppen in Berlin. Wirklich mitgestalten lässt sich länderübergreifende Politik aber nur selten. Dabei hätten doch gerade junge Europäerinnen und Europäer große Wünsche, Sorgen und Ideen. Zum dritten Mal lud das Europäische Parlament deshalb Anfang Juni für zwei Tage nach Straßburg zum European Youth Event, kurz EYE, ein. 170 Rednerinnen und Redner und mehr als 8.000 junge Menschen aus allen Teilen Europas kamen angereist, darunter auch ich. In 300 Workshops, Debatten und bei anderen Aktivitäten haben die Teilnehmenden Gelegenheit, gemeinsam Ideen für die Zukunft Europas zu entwickeln, mit europäischen Entscheidungsträgern zu diskutieren und junge Menschen aus allen Ecken Europas zu treffen. Die konkretesten Vorschläge sollen anschließend dem Parlament präsentiert werden. 

„Keine Ahnung, was politisch korrekt ist. Ich bin nur hier, um mein Englisch zu verbessern“

Die ersten drei Stunden verbringen wir in der Schlange zum Eingang – alle 8.000 Besucherinnen und Besucher müssen manuell registriert und durch zwei kleine Eingänge zum Sicherheitscheck geschleust werden. Von oben sehen wir aus wie ein verstopftes Abflussrohr. Ist es hier okay, jemanden nach seiner Herkunft zu fragen? „Keine Ahnung, was politisch korrekt ist. Ich bin nur hier, um mein Englisch zu verbessern“, lacht die 16-jährige Malou aus Frankreich. Ich wundere mich, wie jung viele der Teilnehmenden sind. In dem Alter habe ich mich weniger mit dem Schengenraum, Umweltschutz oder Fremdsprachen als mit mir selbst beschäftigt. 

Die Architektur des Parlamentsgebäudes lässt unsere Schwätzchen schnell abebben und uns ehrfürchtig in die einzelnen Workshops verschwinden. Auf dem Panel zu „Sicherheit oder Freiheit?“ treffe ich Janet, 15. Sie ist aus Großbritannien und hat einen estnischen Pass. „Der Brexit war das Schlimmste, was uns passieren konnte!“, sagt Janet. Sie hat ein paar britische Freunde überredet mitzukommen – zum EYE können sich nur Gruppen anmelden. „Meine Freunde sind traurigerweise allesamt Brexit-Verfechter. Sie besuchen auch nur Panels, bei denen es um den Brexit geht. Der Rest gehe sie ja nichts mehr an.“ Janet hofft, dass ihre Freunde in Straßburg merken, was ihnen in Zukunft entgehen wird.

Offizielle Eventsprache: enthusiastisches Pathos

Das Panel geht los. Wir simulieren eine Sitzung des Parlaments und argumentieren wahlweise für Sicherheit, größtmögliche Freiheit oder einen Kompromiss aus beidem. Alle lassen einander ausreden, jeder greift die Punkte der Gegenpartei höflich auf, Meinungsabweichungen werden akzeptiert, toleriert, zur Not auch mal weggelächelt. Erst als ich vorgebe, eine Sicherheitspolitik nach chinesischem Vorbild zu fordern, kommt ein bisschen Bewegung ins Spiel. Hände schnellen nach oben, aufgeregt werden Argumente vorgebracht, aber rasch wird klar, dass ohnehin alle einer Meinung und gegen restriktive Eingriffe sind. Zum Schluss bedanken wir uns beieinander für das tolle, offene Gespräch. Ergebnis gibt es keines. Das EYE für mich bisher: ein großes europäisches Kuscheln. Offizielle Eventsprache neben Englisch und Französisch: enthusiastisches Pathos.

Unsere Generation hat durchaus starke Standpunkte – sie kommuniziert sie nur lieber online

Ein Blick in die interne Facebook-Gruppe aber zeigt: Unsere Generation hat durchaus starke Standpunkte – sie kommuniziert sie nur lieber online. Im Forum wird zum Beispiel hitzig darüber diskutiert, wieso im Goody Bag ein Plastikbecher steckt, obwohl doch so viele Nachhaltigkeitsworkshops angeboten werden. Unter Fragen wie „Warum sollten ausgerechnet junge Leute eine bessere EU-Politik machen können?“ reihen sich laute Protestaufrufe wie „FREE THE INTERNET!!! STOP ARTICLE 13!!“ – gemeint ist der „Uploadfilter“ als Teil der nun letzte Woche vom EU-Parlament ausgebremsten Urheberrechtsreform, der Inhalte vor dem Hochladen auf Urheberrechtsverletzungen prüfen sollte. Auf Facebook zeigen viele klare Kante. Warum nicht auch beim Real-Life-Event?

 

Auf dem Panel zu Urban Ecology fällt mir dann Sofia,18, auf, die mit ihrer eindringlichen Stimme den ganzen Raum erfüllt: „Viel zu selten scheren sich Politiker um junge Wählerstimmen – dabei geht es in der Zukunft vor allem um unsere Generation.“ Als ich sie um ein kurzes Interview bitte, fällt sie mir um den Hals. „Wenn sich Politiker die Zeit nehmen würden, allen Beteiligten und deren Geschichte hier auch nur eine Minute zuzuhören, dann würde das schon viel verändern. Ich bin vielleicht erst achtzehn, aber als Griechin weiß ich, was eine Krise ist.“ Die Jugend in ihrem Land sei vor allem frustriert, weil ihre Ideen nicht gefördert würden. Doch auch wenn es alarmierende finanzielle Probleme in Griechenland gebe, ist Sofias größtes Anliegen der Umweltschutz: „Wenn wir uns nicht der Verschmutzung bewusst werden, zum Beispiel durch den hohen Plastikverbrauch, haben wir irgendwann keinen lebensfähigen Planeten mehr. Dann nützt uns auch all das Geld nichts mehr.“

Fachwissen? Noch ausbaufähig

 

Irgendwann erschlägt mich die Fülle der möglichen Workshops, und ich beschließe, mich einfach der erstbesten Person an die Fersen zu heften. Zusammen mit Claudia, 23, besuche ich die Diskussion „Help, a robot stole my job“. Wie könnte Arbeit in Zukunft aussehen? Wie können wir uns darauf vorbereiten? Das Europäische Jugendforum hat eine Studie zum Thema digitale Revolution in Planung, und wir liefern mit unserem Austausch Denkanstöße. 

„Ich hätte mir spezifischere Themen gewünscht, damit auch gezielt mit Vorwissen diskutiert werden kann. Komplexe Themen konnten so nur kurz angerissen werden“, sagt Claudia nach der Diskussion. Sie studiert International Development in Barcelona, ist hierhergekommen, um sich von den Ideen anderer inspirieren zu lassen, und spricht schließlich aus, was mit großer Wahrscheinlichkeit auch viele andere denken: „Fachwissen nehme ich hier leider nicht so viel mit, dafür aber die Hoffnung vieler Jugendlicher auf ein gemeinsames Europa.“ Und vom Enthusiasmus angesteckt, stoßen wir abends in einer Bar auf ein junges und starkes Europa an, eines, auf das die Briten neidisch sein können. 

Anna Melamed, 22, lebt als freie Journalistin und (eigener Einschätzung zufolge) miese BWL-Studentin zwischen Berlin, Göttingen und dem WWW.

Titelbild: European Union 2018

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.