Es war die kommunikativste Reise meines Lebens
Wer mit dem Zug reist, nutzt oft auch in Städten öffentliche Verkehrsmittel. Und da hat man abseits der Touristenhotspots allein keine Chance. Am Strand südlich von Porto in Portugal war eine Bushaltestelle nur durch eine überdachte Sitzbank angedeutet, es gab weit und breit keinen Fahrplan, keine Infos zu Routen, zu Abfahrtszeiten, nichts. Dennoch standen da Leute, die offensichtlich auf einen Bus warteten. Wir fragten sie auf Englisch, wohin die Busse führen. Die Einheimischen ahnten wohl, was unser Anliegen war, konnten aber kein Englisch. Deshalb sprachen sie zehn Minuten lang Leute auf der Straße an auf der Suche nach jemandem, der Englisch spricht. Sie wurden fündig. Dieser junge Mann entpuppte sich als Profi-Basketballer aus Porto. Wir hatten eine schöne Busfahrt mit ihm, redeten über Sport, Politik, Jugendarbeitslosigkeit, darüber, was an Porto schöner ist als an Lissabon. Interrail ließ uns reisen wie Einheimische und brachte uns ihnen ein Stück näher.
Immer mitten im Zentrum
Interrail: Was muss ich da eigentlich beachten?
Grundsätzlich kann jeder Interrail machen. Für junge Leute ist Interrail aber deutlich günstiger. 27 ist die magische Zahl. Wer also schon immer mal Interrail machen wollte und auf die 28 zugeht, sollte sich beeilen. Mit dem „Interrail Jugendliche Pass“ erhält man eine Ermäßigung von bis zu 25 Prozent auf den regulären Erwachsenentarif.
Die wichtigsten Fragen muss man gleich zu Beginn beantworten: Wie viele Länder will ich sehen? Und wie lange will ich unterwegs sein? Wer nur ein Land bereisen möchte, der fährt mit dem „One Country Pass“ gut. Wer kreuz und quer durch Europa fahren will, braucht den „Global Pass“. Mit dem kann man zwischen 15 Tagen und einem Monat unterwegs sein. Für junge Leute können Tickets zwischen 51 und 510 Euro kosten. Außerdem lassen sich noch diverse Extras dazubuchen.
Mit dem Zug durch Europa zu fahren gibt einem ein Gefühl für die Fläche eines Landes, für Distanzen. Es schärft auch den Blick für die wirtschaftliche Situation einer Region. Denn zuallererst nimmt man immer die Landschaft wahr. Ob touristisch erschlossene Küstenabschnitte, Hänge voller Weinreben, karge, vertrocknete und kaum bewohnte Landstriche oder bewirtschaftete Ackerflächen – all das verrät schon ein bisschen was darüber, wie es so einer Region geht. Und bevor man langsam in eine Stadt einfährt, sieht man zuerst die Vororte: Sind sie verwahrlost oder luxuriös? Schotten sich die Reichen ab? Fängt das Ackerland unmittelbar hinter dem Stadtrand an? In der Stadt geht es dann so weiter. Denn Bahnhöfe sind immer im Zentrum des Geschehens. Wir haben uns meistens ein Hostel gesucht, das fußläufig vom Bahnhof zu erreichen war. Soll heißen: Wir wohnten dort, wo die Einheimischen leben. Wir gingen in ihre Bäckereien, auf ihre Märkte und in ihre Restaurants. Und immer wieder erlebten wir Wunderbares: So wurden wir in Marseille auf einem Markt von einem Händler mit Aprikosen und Weintrauben beschenkt – aus purer Freundlichkeit. So haben uns Einheimische dort auch den lebenswichtigen Rat gegeben, vor einer Wanderung zu überprüfen, ob gerade ein Mistral-Tag ist oder nicht. Soll heißen: ob der Wind so heftig bläst, dass wir uns in den Calanques kaum an der Felskante halten können, oder ob entspanntes Wandern möglich ist. Und so brachte mir zum Beispiel ein Kellner in Lissabon den Fisch, von dem ich qua Beschreibung auf der Speisekarte einfach nicht verstand, was es für eine Sorte sein soll, zur Erklärung direkt an den Tisch: in seiner schimmernd glänzenden, 50 Zentimeter langen Pracht.
Apropos: Essen, Essen, Essen!
Überall gibt es regionale Spezialitäten zu genießen. So sah unsere Reiseroute in Gerichten aus: Es fing mit Eintöpfen, gegrillten Würsten und Puddingtörtchen in Portugal an, ging mit Paella und Tapas in Barcelona weiter, danach kamen Couscous-Gerichte und guter Käse in Marseille, und den krönenden Abschluss bildete handgemachte Pasta in Genua. Sich durch regionale Gerichte zu futtern, Unterschiede und Gemeinsamkeiten festzustellen, das ist die wohl genussvollste Art, Europa zu entdecken. In Portugal haben wir zum Beispiel Francesinha, ein unfassbar fleischlastiges und fettiges Sandwich, gegessen. Das haben die Franzosen zur Zeit Napoleons nach Porto gebracht, wurde uns erklärt. Mag ja sein, dass das stimmt. Ein bisschen kam es uns aber auch so vor, als suchten die Portugiesen einen Sündenbock für dieses Hunderttausend-Kalorien-Gericht. Denn zwei Wochen später aßen wir in Frankreich das Original, den deutlich fettärmeren Croque Monsieur, der nur noch mit viel Fantasie an die Kalorienbombe aus Porto erinnert.
Von der EU gesponserte Travel-Tickets
Im Sommer sollen 15.000 junge Erwachsene auf EU-Kosten reisen dürfen. Vom 12. bis 26. Juni können sich 18-jährige EuropäerInnen dafür bewerben: alleine oder als Gruppe mit bis zu fünf Leuten. Dafür muss man ein Online-Bewerbungsformular ausfüllen und an einem Quiz teilnehmen. Am Ende wählt eine Jury die Teilnehmer aus, deren Ticket von der EU übernommen wird. Die Reise muss zwischen Juli und September 2018 angetreten werden. Bis zu vier Länder können in einem Monat bereist werden. Für alle anderen Kosten muss man natürlich selbst aufkommen.
Die Menge der verfügbaren Tickets pro Land soll sich nach der Bevölkerungszahl richten. Die EU lässt sich das Programm „DiscoverEU“ zwölf Millionen Euro kosten.
Ach, Europa
Interrail, das ist die Vorstellung vom spontanen Entdecken Europas, vom beliebigen Ein- und Aussteigen. So schön unsere Reise auch war, in den von uns bereisten Ländern war uns schnell klar, dass es vor allem eins bedeutet: frühzeitige Planung. Für viele Züge braucht man in Südeuropa eine Sitzplatzreservierung. Stehen oder auf dem Gang zu sitzen ist für viele Menschen dort unvorstellbar. Schon witzig, dass gerade wir angeblich so durchorganisierten Deutschen in diesem Punkt so locker sind. Auf beliebten Strecken muss man sich am besten an dem Tag, an dem man in einer Stadt ankommt, schon um das Ticket für die Weiterreise kümmern. Und auch bei der Sitzplatzreservierung kann einem Kurioses widerfahren. Auf unserer Fahrt von Barcelona nach Marseille mussten wir allen Ernstes am Grenzbahnhof aussteigen und eine neue französische Reservierung tätigen. „Die Franzosen haben ja ein ganz anderes Buchungssystem“, erklärte uns in Spanien der Mann am Schalter.
Ach. Es gibt diese wunderbare Idee von einem Europa, in dem die Länder an einem Strang ziehen. Im echten Leben kochen sie oft doch ihr eigenes Süppchen. Und manchmal stellen sie sich gegenseitig ein Bein. Das Interrail-Ticket ist in dem Punkt wohl ein Spiegel der großen Politik.
Katharina Häringer ist 2014 mit ihrem Freund in vier Wochen mit dem Interrail-Ticket durch fünf Länder gefahren. Sie waren in Portugal, Spanien, Frankreich, Italien und sind über Österreich wieder nach Hause gefahren.
Titelbild: Oleh Slobodeniuk