Thema – Zahlen

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Was wir nicht wissen

Dunkelziffern nennt man Zahlen, die statistisch nicht erfasst werden können. Manchmal geht es um Kriminalität, manchmal um Plastikmüll. Wir bringen etwas Licht in die Materie

Dunkelziffer

Wie oft werden Frauen Opfer von häuslicher Gewalt?

Einmal im Jahr veröffentlicht das BKA Statistiken zu häuslicher Gewalt in Deutschland. 2020 wurden 148.031 Fälle von Gewalt in bestehenden oder ehemaligen Partnerschaften gemeldet. Die meisten davon, mehr als 80 Prozent, richten sich gegen Frauen. Eine sehr hohe Zahl, zu der man eine noch höhere Dunkelziffer summieren muss. Denn viele Frauen gehen aus Scham, Angst oder anderen Gründen nicht zur Polizei. Wie hoch die Zahl tatsächlich ist, das kann man nur schätzen. Ein paar Anhaltspunkte gibt es aber. Ende 2021 gab das Familienministerium bekannt, dass in Deutschland jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt wird. Etwa jede vierte Frau erfährt körperliche oder sexualisierte Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner.

Laut einer großen EU-Studie aus dem Jahr 2014 meldeten nur 14 Prozent der Betroffenen den schwerwiegendsten Vorfall der Polizei. Hochgerechnet wäre die realistische Zahl also, dass in Deutschland jährlich mehr als 850.000 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt werden. Oder: jede Stunde 97 Frauen.

Wie viel Gas kommt aus Russland?

Wie sich Deutschland von russischem Öl und Gas lösen kann, darüber wird seit Beginn des Ukrainekriegs viel diskutiert. Und immer wieder hörte man in den Medien oder aus dem Wirtschaftsministerium Zahlen, die es zu senken galt: 35 Prozent der Ölimporte kamen 2021 aus Russland (Mitte April 2022: 12 Prozent); 55 Prozent waren es beim Gas (Mitte April 2022: 35 Prozent). Nur dass man beim Gas gar nicht genau weiß, ob die Zahlen stimmen. Im Gegensatz zum Erdöl, für dessen Einfuhr es eine amtliche Meldepflicht gibt, stammen die 55 Prozent ausgerechnet aus einem Bericht des britischen Ölkonzerns BP. Messungen der Durchflussmengen in den Pipelines stützen diese Zahlen zwar, aber ganz sicher scheint es niemand zu wissen, denn die Importzahlen beziehen sich vor allem auf die in den Importverträgen festgelegten Mengen. Kurz gesagt: Deutschland arbeitet an einer Umstellung von riesigem Ausmaß, ohne die zugrunde liegenden Daten genau zu kennen. Bei mehr als 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas (ohne Flüssiggas), die 2020 über Pipelines nach Deutschland gelangten, stünden selbst hinter kleinen Abweichungen riesige Zahlen: Ein Prozent entspräche einer Milliarde Kubikmeter Erdgas. Damit lassen sich ein ganzes Jahr circa 450.000 Einfamilienhäuser heizen.

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Plastikmüll (Foto: Simon Maina/AFP/Getty Images)
Plastiklatschen sind vielleicht für den Verbraucher günstig, aber nicht für die Umwelt (Foto: Simon Maina/AFP/Getty Images)

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Weltall (Foto: aldebaran-s/unsplash.com)
Hält die Galaxie zusammen: Dunkle Materie umgibt uns – auch auf der Erde. Trotzdem ist kaum etwas über sie bekannt (Foto: aldebaran-s/unsplash.com)

Wie viel kostet uns Plastik?

Wie viel ein Produkt im Laden kostet und wie viel es fairerweise kosten müsste, das liegt oft weit auseinander. Besonders beim Plastik bezahlen wir am Ende der Rechnung nämlich sehr viel mehr, wenn man die negativen Effekte auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft hinzurechnen würde. Die Kosten für die Müllentsorgung und die Emission von Treibhausgasen kann man vielleicht noch kalkulieren. Schwerer wird es bei Gesundheitsausgaben und den Schäden in den Ökosystemen der Meere. 90 Prozent der Kosten seien im Marktpreis gar nicht inbegriffen – zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht der Umweltorganisation WWF. Sie hat ausgerechnet, dass allein die Lebenszeitkosten des Plastiks, das 2019 produziert wurde, bei geschätzten 3,7 Billionen US-Dollar liegen. Zur Erinnerung: Eine Billion sind 1.000 Milliarden. Noch unvorstellbarer wird es, wenn man weiter in die Zukunft rechnet: 2040 wären wir bei 7,1 Billionen Dollar, weil sich die Plastikproduktion voraussichtlich verdoppelt und die Meeresverschmutzung durch Plastik verdreifacht haben wird. Das ist dann mehr als das Bruttoinlandsprodukt aus dem Jahr 2020 von Deutschland, Kanada und Australien zusammen.

Was hält unser Universum zusammen?

Der Weltraum, unendliche Weiten, und vom allergrößten Teil haben wir keinen blassen Schimmer. Denn unser kosmologisches Standardmodell hat viele mysteriöse Bestandteile. Neben der uns wohlbekannten Materie – also Atome, Moleküle, Planeten, Asteroidengürtel, Erdschichten – gibt es noch die sogenannte Dunkle Materie. Über sie weiß die Physik erstaunlich wenig, obwohl sie schätzungsweise mehr als 80 Prozent des Universums ausmacht. Kein einziges dieser völlig unbekannten Teilchen konnte bisher direkt nachgewiesen werden. Bemerkbar machen sie sich ausschließlich durch ihre Gravitationskraft. Allein deswegen fiel Physikerinnen und Physikern irgendwann auf: Moment mal, gäbe es nur die sichtbare Materie, müssten Galaxien rein rechnerisch auseinanderfliegen, anstatt sich wie unsere Milchstraße um ein Zentrum zu bewegen. Man kann sich die Dunkle Materie also wie eine Art Klebstoff vorstellen, der alles zusammenhält. Aber was heißt schon alles: eigentlich nur die 15 Prozent, über die wir Bescheid wissen. Im Grunde wissen wir also eigentlich gar nichts. Trotzdem ist die Dunkle Materie immer da: auch hier auf der Erde. Laut einer Theorie rauschen ihre Teilchen ständig durch uns hindurch – etwa in dieser Sekunde 100.000 Stück durch deinen Daumennagel.

Titelbild: Anika Maaß – Jessica Barthel/Connected Archives

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.