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Verloren in der Legokiste

Was erschaffen Menschen, wenn sie alles erschaffen können? Das Playstation-Game „Dreams“ gibt einen kleinen Einblick

  • 6 Min.
Dreams, Game, Play Station, Zombies

Videospiele werden oft schon Jahre vor dem Release beworben. Fans verlieben sich – ohne zu wissen, in wen oder was genau. Denn das Wichtigste kann keine Werbung wirklich zeigen: was in dem Spiel getan wird und wie sich das anfühlt. Kurz: Die Interaktion ist für ein erfolgreiches Spiel entscheidend. Viele Spiele bauen Brücken zu den Spielern, indem sie sich schon vorab in sehr spezifische Nischen einsortieren.

„Dreams“ ist anders. Grundsätzlich ist das Spiel ein Baukasten – ein Titel, mit dem vor allem interaktive Inhalte erstellt werden. Eigentlich steht es in der Tradition von „Minecraft“ und „Roblox“ – und von „LittleBigPlanet“, dem Do-it-yourself-Jump ’n’ Run, das das Studio Media Molecule vor „Dreams“ entwickelt hat. Im Gegensatz zu all diesen Beispielen ist „Dreams“ aber sehr offen: wie es gesteuert wird, was damit erstellt wird, wie die Kreationen aussehen. Das wirkt einerseits inspirierend, andererseits ist es eine Herausforderung.

So viel Freiheit, dass es schon wieder anstrengend wird

 

„Dreams“ kann unglaublich viel. Man kann es nicht nur spielen, sondern damit auch Songs, Bilder, Skulpturen und Filme erstellen und teilen. Es bricht sogar eine relativ komplexe Software zur Musikkomposition so herunter, dass sie am Gamepad der Playstation 4 steuerbar wird. Mit dem Spiel lassen sich komplexe 3-D-Objekte gestalten und animieren. Die Logik lässt sich frei programmieren. Das klingt alles einfach – wer aber ohne konkretes Ziel startet, der bekommt schnell den Eindruck, sich in einer riesigen Legokiste ohne Bauanleitung zu verirren. Schon der Wust an Tutorials ist eine Überforderung. Alles vom ersten 3-D-Würfel bis zu komplexer Programmlogik wird erklärt. Die Einarbeitung kann Tage dauern.

 
Dreams Tutorial

 

Die meisten Spieler dürften sich die Mühe sparen. Das Spiel hat vor dem offiziellen Erscheinungstermin am 14. Februar eine Betaphase durchlaufen und ist mit einer gut gefüllten Traum-Mediathek plus einem mehrstündigen Demospiel gestartet. Hier durch die Werke zu surfen fühlt sich im besten Sinne wie ein YouTube-Abend an: Banales und Provisorisches wechselt sich mit Geistesblitzen und weit entwickelten Spielen ab.

Die besten Träume werden mit einem Preis ausgezeichnet

Einen Einblick in die Bandbreite ihres „Traumiversums“ hat Media Molecule mit einer liebevoll dilettantischen Galashow gewährt: Teammitglieder hampelten dafür vor einem Greenscreen herum und prämierten außerordentliche Werke mit dem sogenannten Impy Award – von dem ausgetüftelten Rätselspiel „Cubric“ bis zur Low-Fi-Horrorparodie „Witchy Woods“.

Traum des Jahres wurde „Pig Detective: Adventures in Cowboy Town“, ein altmodisches Grafikadventure mit absurdem Humor. Das in „Dreams“ erstellte Spiel wird von einem deutschen Paar entwickelt und ist Teil einer Reihe von Adventures. Es profitiert von der Stärke der Community: Spieler helfen einander online; viele spezialisieren sich und komponieren etwa Musik für die Träume anderer. Oder sie geben Ratschläge für die Programmierung. Jeder Inhalt aus anderen Träumen darf kopiert, sogar als Baustein oder Blaupause für ein anderes Spiel verwendet werden.

Dreams, Game, Play Station, Bernie Sanders

 

Wer selbst Inhalte in „Dreams“ erstellt hat, der wird von vielen der Werke beeindruckt sein. Das ist die eine Wahrheit. Die andere ist: „Dreams“ zeigt den tiefen Graben zwischen der rudimentären Umsetzung einer Spielidee und dem Niveau, auf dem auch kleine Indie-Studios heute operieren. Die Träume wirken häufig wie ein Do-it-yourself-Abklatsch professioneller Spiele.

Eigenständige Trends sind auf der Plattform auch nach der Betaphase kaum zu erkennen. Am populärsten sind Nachahmungen. Charaktere von Donald Trump bis Sonic the Hedgehog bevölkern die Traumwelt, bisher ohne schnelle Eingriffe bei Rechtsverstößen. Noch schielt das Publikum vor allem auf das handwerkliche Niveau: Am besten bewertet sind detailliert ausgearbeitete Spiele und Welten. Wer etwa politische Inhalte oder Botschaften sucht, der landet bei einigen wenigen Witzen über Bernie Sanders’ Aussehen oder Donalds Trumps Ernährungsgewohnheiten.

Kritische Inhalte? Ne, bloß nicht die Laune verderben

Politische Themen passen offenbar nicht in das Traumiversum. Werden sie in Träumen wie „Politics Fest ’20“ oder „The End Result Of All Politics“ angesprochen, klingt uninformierte Verdrossenheit durch. Höchstens der Traum „Minimum Wage“ findet eine einfache Metapher dafür, wie entwürdigend Lohnarbeit sein kann. Dabei beweist die Indie-Szene seit Jahren, dass abstrakte politische Diskurse in Spielen ganz konkret werden können – ob Automatisierung und Gig Economy in „Neo Cab“ oder Einwanderungspolitik in „Papers, Please“. Vielleicht pflegt ein zu großer Teil der Gaming-Industrie die Ansicht, dass Politik ein isoliertes Thema sei, das man weglassen könne, um die gute Laune nicht zu verderben.

Doch die eine oder andere gesellschaftliche Einordnung und politische Bezugnahme könnte die Gaming-Welt noch gut vertragen. Politische Themen können auch Stoff für gute und unterhaltsame Spiele liefern. Witze und Parodien sind auch deswegen eine tragende Säule des Traumiversums, weil sie auf eine kurze Spieldauer ausgelegt sind. Aber dafür gibt es gefühlt unendlich viele, eine schnell wachsende Auswahl immer besserer Werke. Es ist durchaus möglich, dass hier noch große Träume entstehen.

„Dreams“ ist für 40 Euro auf der Playstation 4 erhältlich.

Stills: Sony / Media Molecule

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.