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Das Ende vom Lied

Warum schließt sich jemand dem sogenannten „Islamischen Staat“ an? Ein funk-Podcast zeichnet nach, wie der Berliner Gangsterrapper „Deso Dogg“ zum Terroristen wurde

Screenshot eines 2014  auf Twitter veröffentlichten Fotos zeigt den früheren Berliner Rapper und Radikalislamisten Denis Cuspert (alias Deso Dogg bzw. Abu Talha al-Almani

Worum geht’s?

Um den ehemaligen Gangsterrapper Denis Cuspert aka Deso Dogg aus Berlin, der ab 2010 Teil der deutschen Salafistenszene war, sich später dem sogenannten Islamischen Staat (IS) anschloss, als Abu Talha al-Almani zu einem der Gesichter der Terrorgruppe wurde – und schließlich 2018 in Syrien umkam.

Worum geht’s wirklich?

Um die Frage, wie sich ein Mensch radikalisiert. Laut Verfassungsschutz sind seit 2011 mehr als 1.150 Personen aus islamistischen Beweggründen von Deutschland nach Syrien und Irak gereist. „Deso – Der Rapper, der zum IS ging“ recherchiert detailliert Cusperts Biografie und zeichnet seinen Radikalisierungsprozess so schrittweise nach: aufgewachsen in Berlin-Kreuzberg, als Jugendlicher gewalttätig, Gefängnisaufenthalte, erfolglose Rap- und Kampfsport-Karriereversuche, die Hinwendung zum Islam und die schleichende Radikalisierung durch islamistische Prediger wie Pierre Vogel. Der Podcast erzählt Cusperts Geschichte dabei auch als die eines Jungen, der immer wieder Rassismus erfuhr (sein Vater stammte aus Ghana) und dem es in Deutschland schwerfiel, sich zugehörig zu fühlen.

Wie wird’s erzählt?

„Deso – Der Rapper, der zum IS ging“ besteht hauptsächlich aus Interviews. Es kommen Hip-Hop-Experten, Rapper, eine Extremismusexpertin, Verfassungsschützer, Investigativjournalisten und Imame zu Wort. Aber auch Cusperts ehemals beste Freundin und sein Halbbruder Jermaine. Durch die Vielfalt an Stimmen, ergänzt durch eine Menge archivierter O-Töne von Cuspert selbst, und die kritische Einordnung der gesammelten Informationen durch Podcasthost Azadê Peşmen entsteht ein Flickenteppich, der ein vielschichtiges Bild von Cuspert zeichnet: der brutale Extremist auf der einen Seite, der hilfsbereite Kümmerer für sein enges Umfeld auf der anderen. Damit ist der Podcast auch ein Gegenentwurf zur teilweise reißerischen Berichterstattung über Cuspert (einige Boulevardmedien nannten ihn „Goebbels des IS“): Er emotionalisiert nicht, ist ruhig erzählt und darum trotz des harten Themas erträglich.

Gelernt:

Cusperts Rolle beim IS ist umstritten, wurde aber laut den Recherchen für „Deso – Der Rapper, der zum IS ging“ in der medialen Berichterstattung größer gemacht, als sie in Wirklichkeit war. Dafür sprechen die Aussagen der befragten Expert*innen und des Verfassungsschutzes. Cuspert war grausam, er posierte unter anderem mit einem abgetrennten Kopf und rief in Videos zum Mord auf. Aber er war laut den Podcastmacher*innen nicht der „Goebbels des IS“, nicht der kluge Stratege im Hintergrund, keine Führungsperson. Er war ein kleines Rädchen im Getriebe der Terrorgruppe, das sich aufgrund seiner Geschichte und seiner vorangegangenen Rap-Laufbahn gut als PR-Maskottchen einspannen ließ, um in Europa für den islamistischen Terror zu werben. Die große Berichterstattung trug erst dazu bei, dass Cusperts menschenverachtendes Gedankengut und seine propagandistischen „Kampflieder“ so viele Menschen erreichen konnten.

Ideal für:

So ziemlich alle. Laut funk ist der Podcast „für Rap-Fans (…) ein Muss, für True-Crime-Hörer:innen sowieso“. Dadurch degradiert das öffentlich-rechtliche Jugendformat die gute investigative Recherche allerdings zu einem bloßen Unterhaltungsformat. Dabei ist „Deso – Der Rapper, der zum IS ging“ eben gerade keine bloße True-Crime-Story für die Hintergrundbeschallung am Vorabend. Es ist vielmehr eine Geschichte des Scheiterns innerhalb der deutschen Gesellschaft, die ein grausames Ende nimmt.

„Deso – Der Rapper, der zum IS ging“ ist unter anderem in der ARD-Audiothek oder auf Spotify zu hören.

Titelbild: picture alliance / dpa 

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.