Vorm Stadion des Chemnitzer FC befindet sich eine Brache. Hinter der Südkurve, der Heimat der Fans. Dort sollte schon im letzten Jahr parallel zum neuen Stadion ein Fanhaus als bunter Ort für alle entstehen. Unter der Schirmherrschaft des Chemnitzer Fanprojekts und des Fanszene Chemnitz e.V., dem Zusammenschluss vieler Chemnitzer Fanclubs. So war es geplant. So wollten es die Stadt und der Verein. Nach dem großen Wollen kam nichts mehr von Stadt und Verein.
Inzwischen recken junge Bäume ihre Spitzen, Gras wächst auf der Brache, aber nicht über die Probleme. Seit am 26. August 2018 der 35-jährige Chemnitzer Daniel H. erstochen wurde, kommen weder die Stadt noch der Verein zur Ruhe. An den Ausschreitungen nahmen Menschen aus ganz Deutschland teil. Aufgerufen zu dem „Trauermarsch“ hatten rechtsextreme Chemnitzer Fußballfans.
Schweigeminute für einen Neonazi
Der nächste Vorfall im März 2019: die Trauerkundgebung für den Neonazi Thomas Haller. Genehmigt vom Verein, begrüßt von der damaligen Fanbeauftragten, moderiert vom Stadionsprecher. Vor dem Spiel gab es eine Schweigeminute, ein weißes Kreuz auf schwarzem Grund und ein Transparent wurden ausgerollt. Auf der Videowall des Stadions wurde ein Porträt von Thomas Haller eingeblendet, seine Verdienste für den Verein in einer Rede gewürdigt. Die Fans in der Südkurve erschienen schwarz gekleidet und zündeten eine Pyro-Show.
Der MDR schrieb: „CFC-Kapitän Daniel Frahn lief nach seinem Tor zur Bank und hielt dort ein T-Shirt mit der Aufschrift hoch: ‚Support your local hools‘. Augenzeugen berichten, der Stadionsprecher habe die Frahn-Aktion als sinngemäß feine Geste bezeichnet.“
In den Tagen danach wurden die Fanbeauftragte, der Stadionsprecher, der Pressesprecher entlassen und im August auch Daniel Frahn suspendiert. Der Spieler verhielt sich durch die im Gäste-Fanblock des Hallenser Stadions offenkundig zur Schau gestellte Sympathie für die führenden Köpfe der rechtsgesinnten Gruppierung Kaotic Chemnitz und die aufgelöste Gruppe NS-Boys massiv vereinsschädigend, hieß es in der Pressemitteilung.
„Der Chemnitzer FC ist himmelblau und nicht braun“
Nachdem der Club sich gegen die eigenen Fans gestellt hatte, boykottierten viele ein Heimspiel. Als der CFC gegen den Thüringer Rivalen aus Jena spielt, war die Kurve wieder gut gefüllt. Sogar der alte Stadionsprecher war zurück am Mikro. Er hielt auch eine kleine Antrittsrede, die von den Chemnitzer Fans stürmisch begrüßt wurde. Darin distanzierte er sich von jeder Art Radikalismus. Die Worte Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus nahm er nicht in den Mund.
Kurz zuvor kassierte die Security des CFC einen Doppelhalter der Jenaer Fans, auf dem „Kein Fußball den Faschisten“ stand. Später fand er auf verschlungenen Pfaden doch den Weg ins Stadion und wurde auch gezeigt. Die Anhänger des CFC standen hinter dem Tor auf der sehr gut gefüllten Südtribüne. Während der ersten Halbzeit kündete ein Banner „Verein(t) leben“.
Für einen neuen Aufbruch und einen zaghaften, aber stärker werdenden Kampf gegen Nazis engagieren sich mittlerweile einige Menschen in Chemnitz. Der im Sommer frisch eingesetzte Fanbetreuer des Vereins, Ralf Bernsdorf, positioniert sich gegen rechts und wünscht sich einen „offenen, toleranten CFC“. Wie auch der im Mai installierte Antirassismusbeauftragte Daniel Maaß, der bereits in der DFL und beim DFB um Unterstützung warb und ein Strategiepapier unter dem Motto „Der Chemnitzer FC ist himmelblau und nicht braun“ erstellt hat. Außerdem will er ein „Netzwerk Fußball gegen Rechtsextremismus und Rassismus“ aufbauen. Er ist einer der wenigen beim CFC, die die Rechtsextremen in der Fankurve auch als solche bezeichnen.
Sollte man überhaupt mit Neonazis reden? Unsere Autoren streiten
Die Rechten seien in der Kurve nicht in der Mehrheit, sagt Markus Müller, der Vorsitzende der Fanszene e.V. „Sie haben aber das Gewaltmonopol. Das wird auch ab und zu mal demonstriert.“ Der harte Kern seien vielleicht 20 Leute, schätzt man in Chemnitz. Die Strukturen, die die Hoonara (Hooligans, Nazis, Rassisten, von Thomas Haller in den 1990er-Jahren mitbegründete Hooligantruppe) und die NS Boys (Nachfolger der Hoonara, beide angeblich aufgelöst) schufen, sind noch vorhanden. Diese Leute gehen nach wie vor ins Stadion. Von Thomas Haller ist die Aussage überliefert, dass es sie offiziell nicht mehr gäbe, wenn er aber die Leute anriefe, wären alle in einer halben Stunde da. Die Gruppen Kaotic Chemnitz und NS-Boys sind, so der Präsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, „rechtsextremistisch organisiert und ideologisiert“.
Im „Pub a la Pub“, der einstigen Kneipe Hallers in unmittelbarer Stadionnähe, stehen nach wie vor dieselben Leute, umringt von Mitläufern und Neugierigen, die wissen, wenn sie hier ihr Bier vor und nach dem Spiel trinken, ist das auch eine Ansage: „Ich gehöre dazu.“
„Wir versuchen, uns öffentlich gegen rechts zu positionieren, nach dem 9. März haben wir das getan. Wenn es notwendig ist, stellen wir das ganz klar heraus“, sagt Markus Müller. Doch das sei manchmal gar nicht so einfach: „Als nach den Vorfällen in München (antisemitische Rufe eines einzelnen Fans) vor ein paar Wochen die Chemnitzer Vereinsvertreter die gesamte Kurve in die rechte Ecke stellten, hätte man als Zuschauer, als Tribüne, als Stadion auch mal sagen können: Wir lassen uns nicht in die rechte Ecke drängen. Dann muss es aber Leute geben, die das organisieren.“
Eine sehr simple Form politischen Engagements ist beispielsweise, im Stadion Flagge zu zeigen. Die Chemnitzer Fangruppe Sektion Vielfalt trug diesen Protest ins Chemnitzer Stadion. Die junge Gruppe ist aktuell am mutigsten mit ihrem Protest. Einer von ihnen sagt: „Wir denken, viele Leute sprechen sich nicht gegen Rassismus und Rechtsextremismus aus, weil sie Politik nicht im Stadion haben möchten.“ Dazu komme: Wer sich gegen Rechtsradikale und Rassismus ausspreche, ziehe den Hass der Extremisten auf sich.
„Wenn man sich in Chemnitz im Stadion aktiv gegen Rechtsextremismus stellt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, bedroht zu werden“
Aktuell sei es noch nicht möglich, im Stadion für einen toleranten, vielfältigen CFC aufzutreten. Das hat die Gruppe selbst erfahren: „Wir haben wegen einer Zaunfahne, auf der die Worte Vielfalt, Weltoffen und Tolerant stehen, schon Drohungen erhalten. Wenn man sich in Chemnitz im Stadion aktiv gegen Rechtsextremismus stellt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, bedroht zu werden. Aus diesem Grund trauen sich eben auch die wenigsten, sich dagegenzustellen. Das macht es den Extremisten im Stadion natürlich leicht. Hooligangruppierungen und Rechtsextreme haben großen Einfluss im Umfeld des CFC. Sie versuchen, Angst zu verbreiten und so ihre Interessen durchzusetzen.“
Der Verein versucht der Sektion Vielfalt zu helfen: „Wenn wir Spruchbänder anfertigen, wird das finanziell vom Chemnitzer FC getragen. Allerdings fehlt uns ein wenig die Unterstützung, wenn es hart auf hart kommt. Ich denke da zum Beispiel an die Bedrohung gegen uns wegen unserer Fahne nach dem Pokalspiel gegen den HSV. Wir hatten das Gefühl, vom CFC damit alleingelassen zu werden, denn so wirklich was passiert ist seitdem nicht. Nicht mal ein offizielles Statement, dass man solche Bedrohungen nicht dulden wird.“
Chemnitz gewann das Spiel gegen Jena nach furiosem Finale mit 3:2. Das Stadion jauchzte. Auf der Brache hinter der Südkurve zwitscherten derweil die Spatzen.
Fotos: Johannes Heinke