Kiffer haben in bürgerlichen Kreisen oft kein allzu gutes Image. Die diesjährige Hanfparade bietet da eine gute Gelegenheit zur Korrektur. Trotz peitschendem Wind und Starkregen versammeln sich die Aktivisten an einem Morgen Mitte August am Berliner Hauptbahnhof, um Vorträgen und Musik zu lauschen und später durch das Regierungsviertel zu ziehen. Statt Grasgeruch schwebt viel Entschlossenheit in der Luft. Der Student Michael aus Leipzig zieht sich die Kapuze seines Pullovers tiefer ins Gesicht. „Ich bin schon seit Jahren bei der Hanfparade dabei.“ Am meisten stört ihn an der aktuellen Cannabis-Politik „die Ungerechtigkeit mit dem Führerschein“: Selbst wenn jemand nur einen Joint rauche und am nächsten Tag Auto fahre, könne er seine Fahrerlaubnis verlieren. Hinter Michael steht ein junger Mann, an einer Kette um seinen Hals baumelt eine Miniatur-Bong, und nickt.

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Ein Mann mit Cannabisbrille auf der Hanfparade

Dekorativ, aber nur mäßig geeignet, um von verräterischen Indizien – gerötete Augen, erweiterte Pupillen – abzulenken

Nina und Steffi sind extra aus Schwerin angereist. Die beiden haben gerade Abitur gemacht und sind jetzt „zum ersten Mal im Leben bei einer Demo dabei“. Während Nina versucht, ihren klemmenden Regenschirm aufzuspannen, erklärt Steffi: „Wir hoffen darauf, dass Gras legalisiert wird. Das wird sicher nicht sofort passieren, aber wir erwarten so einen langfristigen Effekt.“ Auf der Bühne verkündet ein Moderator das Motto der Parade: „Breiter kommen wir weiter!“ Um den Scherz auf die Spitze zu treiben, sagt er: „Und fetter sind wir netter!“ Doch statt vollständig in den Klamauk abzugleiten, wird er ernst und spricht über „das Wohl der Patienten, für die wir kämpfen“. Mit Humor dem Genuss frönen und mit Ernst die Legalisierung fordern – diesen Spagat muss die Legalize-Bewegung immer wieder aufs Neue üben. 

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Hanfparade am Hauptbahnhof

Von wegen antriebslos: Trotz peitschendem Wind und früher Stunde trafen sich im August Aktivisten am Berliner Hauptbahnhof zur diesjährigen Hanfparade

Seit März dieses Jahres können Ärzte Cannabis zu medizinischen Zwecken verschreiben – ganz legal und ohne Ausnahmeregelung. Zuvor musste eine Erlaubnis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eingeholt werden. Auch wenn viele Patienten über Versorgungsengpässe und Probleme mit den Krankenkassen klagen, ist damit eine erste große Forderung der Aktivisten erfüllt. Einige Städte und Bundesländer wollen die legale Abgabe von Cannabis als Genussmittel vorantreiben; der rot-rot-grüne Berliner Senat zum Beispiel spricht sich für eine Legalisierung aus. Die Deutschen sind Umfragen nach gespalten – die Umfragewerte unterscheiden sich je nach Fragestellung und Institut –, insgesamt waren die Gegner einer kontrollierten und legalen Cannabisabgabe jedoch stets in der Mehrheit (bei Umfragen von infratest dimap mit 68 Prozent im Jahr 2014 und 57 Prozent im Jahr 2015). In einzelnen Wähler- und Altersgruppen gab es aber auch Mehrheiten für eine Cannabislegalisierung, etwa bei jungen Befragten und SPD- sowie Grünen-Wählern. Noch vor einer Dekade waren die Gegner deutlicher in der Überzahl. Könnte also irgendwann das legale Konsum-Gras kommen?

„Es gab im vergangenen Jahr 146.000 Verfahren, die mit Cannabis zu tun hatten“

Für deutsche Cannabisfreunde sind nicht nur einzelne Events wie die Hanfparade wichtig – sondern vor allem die tägliche Arbeit, die von Interessierten, Vereinen und Verbänden gemacht wird. Der Deutsche Hanfverband ist mit seinen etwa 2.400 Mitgliedern und 15 Ortsgruppen bundesweit vertreten. Er koordiniert die recht heterogene Legalize-Bewegung.

Geschäftsführer Georg Wurth empfängt mich in den Verbandsräumen in Berlin-Prenzlauer Berg. Neun Aktivisten arbeiten hier in einem kreativen Chaos. Flyer, Broschüren und Bücher stapeln sich auf Tischen und an Wänden. Oft sind sie mit dem Verbandslogo versehen – einem Bundesadler vor einem um 180 Grad gedrehten Cannabisblatt.

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Ein Joint wird auf einem Fyler gebaut

Der Joint da? Gehört mir nicht! Genau genommen ist in Deutschland nicht der Konsum, sondern nur der Besitz von Cannabis verboten. Ersteres ist ohne zweiteres aber praktisch unmöglich

„– Drogenhandel ist da noch nicht mitgerechnet“

Wurth hat kurze Haare, eine randlose Brille und wirkt auf mich insgesamt mehr wie ein Finanzbeamter als wie das deutsche Gesicht der Gras-Legalisierung. Was vielleicht daran liegt, dass er ein ehemaliger Finanzbeamter ist, der auch mal für die Grünen Fraktionsvorsitzender im Remscheider Stadtrat war und sich seit mehr als 20 Jahren mit Drogenpolitik beschäftigt. „Es gab im vergangenen Jahr 146.000 Verfahren, die mit Cannabis zu tun hatten – Drogenhandel ist da noch nicht mitgerechnet“, erklärt Wurth und deutet damit auf ein oft genanntes Argument für die Legalisierung hin: die Entlastung des Justizapparats. Wurth spricht leise und deutlich, er lässt aber keinen Zweifel daran, dass es seiner Ansicht nach überhaupt keine profunden Argumente für die derzeitige Drogenpolitik gibt.

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Teilnehmer der Hanfparade bauen, mehr oder weniger diskret, Joints am Rand der Veranstaltung

Teilnehmer der Hanfparade bauen, mehr oder weniger diskret, am Rande der Berliner Hanfparade Joints

„Natürlich brauchen wir die Legalisierung und guten Jugendschutz. Keiner will Gras am Kiosk“, sagt Wurth. Er begrüße die Impulse der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung, macht aber auch klar: „Das Wirkungsvollste, das ein einzelnes Bundesland in Richtung Legalisierung unternehmen kann, ist ein Modellprojekt.“

Zuletzt – im Juli dieses Jahres – hat die Stadt Münster ein solches Projekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eingereicht. Wenn das Projekt durchkommt, sollen eine Experimental- und eine Kontrollgruppe mit je 100 Teilnehmenden ein Jahr lang kostenlos bis zu zwei Gramm Cannabis pro Woche erhalten. Davor waren Initiativen der rot-rot-grünen Regierung Thüringens und des rot-grünen Senats aus Bremen im Bundesrat gescheitert. Bei den Modellprojekten geht es meistens darum, Cannabis für eine Versuchsgruppe legal verfügbar zu machen, sie wissenschaftlich zu begleiten und anschließend die Ergebnisse auszuwerten. Sie sind jedoch umstritten; nicht nur bei Legalisierungsgegnern, sondern auch bei Befürwortern, die etwa bei dem Projekt in Münster bemängeln, dass das Gras kostenlos abgegeben wird und somit zu einem höheren Konsum angeregt werde, was die Ergebnisse verzerre.

„Geschichtlich gesehen ist die Prohibition ein eher kurzes Experiment“

Um mehr Druck auszuüben, hat der Hanfverband vor der kommenden Bundestagswahl am 24. September eine Petition gestartet. Werden 50.000 Unterschriften erreicht, kommt das Thema „Legalisierung von Cannabis“ im Petitionsausschuss auf die Tagesordnung.

Wurth ist optimistisch, er sieht seinen Verband sowohl historisch als auch international im Einklang mit der Vernunft. „Geschichtlich gesehen ist die Prohibition ein eher kurzes Experiment – wie beim Alkohol in den USA –, sie ist zum Scheitern verurteilt“, sagt er. „Mit Kanada wird denn auch bald das erste große Industrieland Cannabis als Genussmittel legalisieren.“

Kanada hat die Freigabe von Cannabis als Genussmittel für den Juli 2018 angekündigt, in Uruguay ist es schon seit diesem Sommer so weit. Wer sich registrieren lässt, kann pro Woche bis zu zehn Gramm der Droge in der Apotheke kaufen – zu einem staatlich festgesetzten Preis und mit Qualitätsgarantie. Auch in den USA haben einzelne Bundesstaaten Cannabis legalisiert, bald gehört auch der einwohnerstärkste dazu: In Kalifornien darf ab nächsten Januar Marihuana frei verkauft werden.

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Florian Rister vom Deutschen Hanfverband

Bekifft auf Arbeit? Kein Tabu für Florian Rister. Er ist stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbands

Während Hanffreunde vor allem die Entkriminalisierung sowie die breite gesellschaftliche Akzeptanz feiern, beobachten andere die Legalisierungsbestrebungen mit Sorge. Einer der profiliertesten Cannabisgegner Deutschlands ist Rainer Thomasius. Er ist ärztlicher Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Was die Bundesrepublik betrifft, verweist er vor allem auf „Espad“, eine europäische Studie zu Drogengebrauch bei Schülern, nach der „eine liberale Drogenpolitik zu deutlich höherem Gebrauch führt.“ Überdies treffen Sucht und gesundheitliche Schäden infolge des Cannabismissbrauchs laut Thomasius vor allem die sozial Schwachen, sodass neben der psychischen und der physischen Komponente auch die soziale klar gegen eine Legalisierung spreche. Zu den wissenschaftlich belegten Folgen von biografisch frühem, regelmäßigem, langjährigem und hochdosiertem Konsum von Cannabis gehören zum Beispiel ein erhöhtes Risiko für Psychosen und eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Gehirns.

„Cannabis ist vor allem im Jugendalter eine sehr gesundheitsschädigende Substanz“

Thomasius findet Deutschlands Drogenpolitik im internationalen Vergleich gut gelungen, auch wenn seiner Meinung nach in der Prävention mehr getan werden müsste: „Cannabis ist vor allem im Jugendalter eine sehr gesundheitsschädigende Substanz.“

Wie steht es um die öffentliche Debatte? Für den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung nahmen die Parteien zu dem Thema Stellung. Von den im Bundestag vertretenen Parteien positioniert sich die CDU/CSU klar gegen eine Legalisierung von Cannabis zum freien Konsum. Die Union betrachtet Cannabis als eine Einstiegsdroge, deren Legalisierung „fatale Auswirkungen vor allem auf Kinder und Jugendliche“ habe. Auch die SPD ist gegen eine Legalisierung, findet aber, „dass die strafrechtlichen Folgen von geringfügigem Cannabiskonsum nicht den Lebensweg von jungen Menschen zerstören dürfen“. Mehrheitlich für eine Legalisierung sind die Grünen und die Linke, die für Erwachsene eine kontrollierte Möglichkeit zum legalen Erwerb wollen und auch bei der Berliner Hanfparade mit eigenen Wagen vertreten waren.

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Die Parade zieht am Bundestag vorbei

Um mehr Druck auszuüben, hat der Hanfverband vor der kommenden Bundestagswahl eine Petition gestartet. Werden 50.000 Unterschriften erreicht, kommt das Thema „Legalisierung von Cannabis“ im Petitionsausschuss auf die Tagesordnung

In der Realität zeigen sich viele Menschen von alldem unbeeindruckt. Wer zum Beispiel in Berlin durch den Görlitzer Park spaziert, dem zieht der süßliche Geruch von Gras mit größter Wahrscheinlichkeit schon nach ein paar Metern durch die Nase – ungeachtet dessen, dass der Besitz verboten ist. Unter CDU-Innensenator Frank Henkel war 2015 angeordnet worden, im „Görli“ auch den Besitz kleinster Mengen strafrechtlich zu verfolgen – worauf trotz rechtlicher Grundlage in der Praxis häufig verzichtet wird –, nachdem Anwohner sich zunehmend über die Dealer beschwert hatten und es zu mehreren Gewalttaten von oder an Dealern gekommen war.

Inzwischen hat die Landesregierung die Null-Toleranz-Politik in dem Park aber für gescheitert erklärt, die Polizei hat die Verfolgung von Kiffern wieder heruntergeschraubt. Und wenn heute darüber gesprochen wird, wo im Rahmen eines Modellversuchs der erste deutsche Coffeeshop eröffnet und der erste legale Grasrauch aufsteigen wird, dann wird am häufigsten eine Gegend genannt: die um den Görli.