Was wurde aus den vielen Anzeigen aus der Silvesternacht?

Einer der Täter aus der Silvesternacht hat es zu bescheidener Berühmtheit in den deutschen Boulevardpresse gebracht: der Algerier Hassan T. Die „Bild“-Zeitung verpasste ihm den Spitznamen „Sex-Mob-Grinser“, weil er nach seinem Urteil fröhlich aus dem Gerichtssaal schlenderte: Ein Jahr auf Bewährung hatte Hassan T. vom Amtsgericht Köln bekommen wegen Beihilfe zur sexuellen Nötigung durch eine Gruppe von 15 bis 20 Tätern. Hassan T. soll zum Begleiter seiner Opfer gesagt haben: „Give me the girls. Give the girls. Oder tot“, so schilderten das zwei betroffene Frauen bei der Verhandlung, teils unter Tränen. Er selbst bestreitet das. 

Der Prozess gegen Hassan T. und einen Mittäter im Juli war der erste wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung. Zu vielen weiteren kam es nicht. Insgesamt fällt die Bilanz der juristischen Aufarbeitung der Silvester-Übergriffe eher dürftig aus: Es kam bisher zu 24 Verurteilungen, die meisten davon wegen Eigentumsdelikten (Stand 1. Dezember 2016). Dabei gab es allein in Köln bis Dezember 1222 Strafanzeigen, 513 davon wegen des Vorwurfs des sexuellen Übergriffs. 

Die Kölner Staatsanwaltschaft konnte bei ihren Ermittlungen auf mehr als 1000 Stunden Überwachungsmaterial aus den Kameras am Kölner Hauptbahnhof zurückgreifen. Aber die Bildqualität sei sehr schlecht gewesen, sagte Ulrich Bremer von der Kölner Staatsanwaltschaft gegenüber tagesschau.de. So konnten nur 333 Beschuldigte identifiziert werden. Und selbst dann sei es schwierig gewesen, ihnen konkrete Taten zuzuordnen. Auch die Geschädigten hätten die Täter nur in den wenigsten Fällen wiedererkannt.

Silvesternacht 2015/2016

An den vergangenen Jahreswechsel dürfte vor allem eine Erinnerung bleiben: Männergruppen, die Frauen massenhaft bedrängen, begrapschen und bestehlen. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes (Stand Anfang Juli 2016) wurden in dieser Nacht deutschlandweit etwa 1200 Personen Opfer eines sexuellen Übergriffs. Die meisten Taten wurden rund um den Kölner Dom begangen, aber auch in anderen Städten kam es zu Übergriffen, insbesondere in Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf.

Weil manche Tatverdächtigte zudem zwar identifiziert, aber nicht aufgefunden werden konnten, kam es insgesamt nur zu 267 Verfahren. Davon wurden 124 wieder eingestellt, weil sich „kein hinreichender Tatverdacht begründen ließ“, so die Staatsanwaltschaft. 

Nur etwa 35 Beschuldigte landeten am Ende tatsächlich auf der Anklagebank vor dem Amtsgericht Köln, meist wegen Eigentumsdelikten. Von ihnen sind 24 verurteilt worden. 18 dieser Urteile sind jetzt, knapp ein Jahr nach den Übergriffen, rechtskräftig. Die 820 angezeigten Fälle, in denen gegen unbekannt ermittelt wurde (372 wegen sexueller Übergriffe), wurden mangels weiterer Ermittlungsansätze zum größten Teil vorläufig eingestellt.  

Hassan T. sitzt übrigens inzwischen in Abschiebehaft. Allerdings hat er – mittlerweile unter anderen Personalangaben – Berufung gegen das Urteil eingelegt. In der ARD-Dokumentation „Der Silvester-Schock“ sagt er, dass er die Ereignisse der Silvesternacht als Verschwörung empfinde, um Nordafrikaner schlecht zu machen.

Wie ist die Strategie der Polizei in diesem Jahr?

Die Kölner Polizei wird ihre Einsatzkräfte an Silvester verzehnfachen im Vergleich zum vergangenen Jahreswechsel. Auch in anderen Städten, in denen es zu Großveranstaltungen kommen wird, ist mehr Personal im Einsatz: Hamburg beispielsweise stockt die Sicherheitskräfte auf St. Pauli um 50 Prozent auf. Die Bund-Länder-Projektgruppe „Silvester“ hatte dies nach ihrer Untersuchung empfohlen. 

Insgesamt 1500 Beamte der Landespolizei sollen daher in Köln im Einsatz sein, 2015 waren es etwa 150. Dazu kommen 800 Beamte der Bundespolizei in den Bahnhöfen und Zügen von Nordrhein-Westfalen – fünfmal so viele wie im vergangenen Jahr. Und auch die Ordnungskräfte der Stadt Köln wurden aufgestockt, unter anderem mit privaten Sicherheitsfirmen, auf insgesamt 600 Personen. Außerdem wurde eine Million Euro in die Videoüberwachung investiert. Extra für Silvester montierte Kameras werden das Geschehen auf der Domplatte live in das Polizeipräsidium übertragen. Rund um den Dom selbst wird eine Sperrzone errichtet, in der Böller verboten sind. Außerdem wird Köln dieses Jahr heller werden: Viele öffentliche Plätze werden mit fest installierten Strahlern beleuchtet, die das Sicherheitsgefühl erhöhen sollen und für bessere Bilder in den Überwachungskameras sorgen. 

Die Vorfälle dürften sich nicht wiederholen, das sagte der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies bei der Vorstellung des neuen Sicherheitskonzeptes Anfang Dezember. Er hat kurz nach der Silvesternacht Wolfgang Albers im Amt beerbt. Der ehemalige Präsident der Kölner Polizei war in die Kritik geraten, weil seine Behörde am 1. Januar 2016 eine Pressemeldung herausgegeben hatte, in der eine friedliche Bilanz für den Einsatz während der Silvesternacht gezogen wurde. Außerdem musste er sich gegen den Vorwurf wehren, die Polizei habe die Herkunft vieler Verdächtiger zurückgehalten – unter ihnen waren vor allem Asylsuchende aus dem nordafrikanischen Raum. 

Die Gewerkschaft der Polizei bewertete die geplanten Maßnahmen des Konzeptes als „gut und ausreichend“. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter wies jedoch darauf hin, dass in diesem Jahr im Vorfeld ermittelt werden müsse, ob sich größere Gruppierungen zum Feiern an einem bestimmten Ort verabreden. Eine ist bereits bekannt: Die NPD hatte eine Demonstration für die Silvesternacht angemeldet: Zwischen 22 und 4 Uhr morgens, direkt auf der Domplatte. Die wurde aber von der Polizei mittlerweile aufgrund von Sicherheitsbedenken verboten. Die kurz darauf für denselben Ort angemeldete Versammlung der AfD wurde am 29. Dezember ebenfalls untersagt. Es gehe darum, „belegbare und jetzt schon erkennbare Gefahren für Versammlungsteilnehmer und Unbeteiligte abzuwehren“, erklärte Polizeipräsident Jürgen Mathies. 

Wie hat sich die Situation von Asylsuchenden verändert?

Wenige Tage nach Silvester war klar: Unter den Tatverdächtigen waren viele Asylsuchende. Auf die Silvesternacht folgte eine der heftigsten politischen Debatten des Jahres. In der zweiten Januarwoche stellte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft einen Maßnahmenkatalog vor, in dem es auch um Integration ging: Die Kommunalen Integrationszentren sollen die Wertevermittlung an Migranten wahrnehmen und koordinieren. Außerdem wurden 3600 zusätzliche Plätze in Basissprachkursen versprochen. 

Dass es diesen Dezember Aufregung um die Abschiebung von 34 Personen nach Afghanistan gab, liegt nicht nur daran, dass viele das Land für nicht sicher halten. Es zeigt, dass nach der Silvesternacht sowohl in der öffentlichen Diskussion als auch in der Politik der Fokus schnell auf eine ganz andere Frage gelegt wurde: Was zu tun ist, wenn das mit der Integration nicht klappt – wenn sie in den Augen vieler Deutscher als gescheitert gilt. Unter den 34 abgeschobenen Afghanen waren solche, die zuvor in Deutschland straffällig geworden waren. Und gegen die hat sich der Wind nach Silvester schnell gedreht: Bereits elf Tage nach der Silvesternacht hatten Innenminister de Maizière und Justizminister Heiko Maas erklärt, kriminelle Ausländer in Zukunft schneller ausweisen zu wollen. „Das ist eine harte, aber richtige Antwort des Staates auf diejenigen, die glauben, obwohl sie hier Schutz suchen, Straftaten begehen zu können, ohne dass das Auswirkungen auf ihre Anwesenheit in Deutschland hat“, so de Maizière im Januar.

Die Verschärfungen wurden im März beschlossen, zusammen mit dem Asylpaket II. Sie gelten auch für Flüchtlinge im Asylverfahren, für Heranwachsende und auch, wenn eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt ist – wie bei Hassan T.   

Welche Bilanz ziehen Frauenverbände?

Unterm Strich eine eher positive, denn: Die Debatte, die in Deutschland nach den Übergriffen in der Silvesternacht geführt wurde, hat etwas in den Köpfen verändert. Unter dem Hashtag #einearmlaenge wurde über Täter mit Migrationshintergrund diskutiert und über das alltägliche Problem sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Alle sind dadurch sensibler geworden, sagte Irmgard Kopetzky von der Kölner Initiative gegen Sexualisierte Gewalt gegenüber dem Deutschlandfunk. Das liege auch daran, dass die Medien opferfreundlich berichtet hätten und dass die Resonanz riesig war. Bei vielen Betroffenen sei so die Hemmschwelle gesunken, Anzeige zu erstatten. Auch die Diskussion um das verschärfte Sexualstrafrecht, die durch die Vorfälle in der Silvesternacht zusätzlich angeheizt wurde, haben Frauenverbände begrüßt – wenngleich auch sie sehr hitzig war. 

Dagegen sollte noch mehr getan werden, und zwar auf eine grundsätzliche Weise: Ein Zusammenschluss von Kölner Frauenverbänden forderte die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker in einem offenen Brief im Mai dazu auf, ein Gesamtkonzept gegen Gewalt an Frauen vorzulegen. Kurzfristige Aktionen wie ein Security Point für Frauen im Karneval würden nicht reichen, heißt es darin. In der Silvesternacht wird es den aber trotzdem geben: Ein Beratungsmobil soll Anlaufstelle sein für Frauen, die sich trotz der großen Polizeipräsenz in der Silvesternacht nicht sicher fühlen.

Titelbild: Karsten Schoene/laif