Für Veli Dogan steht eines fest: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist ein Verbrecher, der die Demokratie abschaffen will. „Alles ist in den vergangenen Jahren immer schlimmer geworden. Meine Freunde in der Türkei haben Angst. Freiheit gibt es nicht mehr“, sagt der junge Alevit. Mit knapp mehreren Hundert anderen hat er sich auf dem Heumarkt nahe des Kölner Doms versammelt, um gegen Erdoğan und dessen Politik zu protestieren. Vor allem Kurden, Aleviten und Anhänger der Antifa haben sich hier eingefunden, dazu die Parteijugend von SPD, Grünen, FDP und der Linken.

Sie kritisieren – wie zahlreiche deutsche Politiker und Medien – vor allem die von Erdoğan geforderten „Säuberungen“ infolge des Putsches: Viele Tausende Festnahmen und Entlassungen im öffentlichen Bereich, Repressalien gegen Medien und ein Klima, das Denunziationen und Jagden auf vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung, die von der türkischen Regierung für den Putsch verantwortlich gemacht wird, begünstigt. Den Anspruch Erdoğans, in der Türkei die Demokratie hochzuhalten, hat für sie jede Glaubwürdigkeit eingebüßt. Sie sehen in seiner Politik eine autokratische, fast diktatorische Gangart.

Sie kritisieren – wie zahlreiche deutsche Politiker und Medien – vor allem die von Erdoğan geforderten „Säuberungen“

Aus den Lautsprechern klingen die ewigen Hits der Nazigegner wie „Alerta Antifascista“. Hier haben sich eine junge internationale linke Szene und einige Jungliberale versammelt – Flagge zeigen gegen die zunehmend autoritäre und religiöse Politik in der Türkei. Gleichzeitig protestieren sie gegen den Aufmarsch der rechten Splittergruppe Pro NRW, die wiederum gemeinsam mit Neonazis und Hooligans gegen die Tatsache hetzt, dass Türken und Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund in Köln auf die Straße gehen.

Als am Rand des Heumarkts ein paar Erdoğan-Anhänger mit türkischen Fahnen auf die Straßenbahn warten, die sie auf die andere Rheinseite nach Deutz bringen soll, wo sie auf einem Kirmesgelände an der Kundgebung für den türkischen Präsidenten und seine Politik teilnehmen wollen, wird es kurz brenzlich, eine Rauchbombe fliegt in hohem Bogen auf die Gleise. Protestfolklore ohne Wirkung, die Polizei hat alles im Griff.

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In Deutz zeigt sich ein anderes Bild. Laut Einschätzung der Kölner Polizei sollen bis zum Abend rund 40.000  Menschen auf der Deutzer Werft zusammengekommen sein, um gegen den Putsch und für Recep Tayyip Erdoğan zu demonstrieren, der in der Präsidentschaftswahl 2014 gut die Hälfte der Türken hinter sich hatte.

Komplette Familien sind angereist, sie kommen aus ganz Deutschland und dem angrenzenden Ausland. Viele Organisationen und Vereine haben die Kundgebung unterstützt, zu der die UETD aufgerufen hatte, darunter der Dachverband von rund 900 Moscheegemeinden – die sogenannte Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion DITIB –, mehrere Verbände türkischer Unternehmer sowie Sportvereine wie Galatasaray. Die Kleidung der meisten ist festlich und hat mit dem Gammel-Look deutscher Demonstranten wenig zu tun. Viele der Frauen tragen Kopftücher, aber man sieht auch Miniröcke, offene Haare und Jeans. Die älteren Männer tragen oft Anzüge, die jüngeren kämen in jeden Club hinein. Aber es gibt auch Trachten zu sehen, den von Atatürk – dem ersten Präsidenten der Türkei – als Symbol der Rückständigkeit vor über 90 Jahren verbotenen Fez, einen topfartigen roten Hut, und verschlissene Armee-Uniformen, die von den Alten stolz getragen werden. Alle sind in Feierstimmung. Erdoğans Name und „Takbīr – Allāhu Akbar“ und „Wir sind Deutschland“ klingen über den Platz. Tausende türkische Fahnen wehen im Wind des eher kühlen und nassen Sommertages. Die Menge berauscht sich an ihrer Größe, es ist ein Fest der Selbstvergewisserung und des Stolzes.

Kritik an Erdoğan ist hier nicht zu hören. Die, die hier sind, wollen offenbar, was er ihnen bietet: Führung. „Wir halten zu unserem Präsidenten, egal was er macht“, sagt Özlem Süngü, und so wie sie sehen es viele hier – daran lassen die vielen Transparente und Ausrufe keinen Zweifel. Erdoğan ist ihr Idol, der Mann, der die Türkei wieder groß gemacht hat. Wer ihn kritisiert, ist auch gegen sie. Nach der Verlesung der Namen der Opfer des Putsches fordert die Menge laut die Todesstrafe für die Putschisten. Die Rede von Martin Lejeune, der als radikaler Israelkritiker und Fürsprecher der Hamas bekannt ist, wird laut bejubelt. Lejeune beschuldigt die Deutschen, das türkische Volk zu besudeln. „Hört endlich auf mit eurer einseitigen und tendenziösen Berichterstattung gegen die Türkei, gegen das Volk der Türkei.“

Auch hier fällt das Wort „Lügenpresse“, und mit der mag kaum einer reden

Sein Ton trifft die Stimmung bei vielen Teilnehmern, die in ihrem Misstrauen der Presse gegenüber an Pegida-Aufmärsche erinnert. Auch hier fällt das Wort „Lügenpresse“, und mit der mag kaum einer reden. Doch im Gegensatz zu vielen Pegida-Demos bleibt diese hier friedlich. Jagd auf Oppositionelle, auf Anhänger des Predigers Fethullah Gülen oder Kurden und Aleviten wird nicht gemacht, sie sind hier auch nirgends zu sehen. Wer gegen Erdoğan war, demonstrierte in der Kölner Innenstadt. Deutz gehört in diesen Stunden Erdoğan und seinen Anhängern.

Titelbild und Video: Giorgio Morra