Auf halber Strecke zwischen der Weinstraße und einem Industriegebiet Mannheims, umgeben von Brombeersträuchern und Kiefernwäldern, liegt der Ort, in dem die Durchschnittlichkeit zu Hause ist. Haßloch, 20.000 Einwohner, eine Realschule, ein Gymnasium, sechs Supermärkte, ist so mittelmäßig, dass es schon wieder etwas ganz Besonderes ist.
Alter, Kinder, Familienstand, Einkommen, Arbeitslosigkeit, Kaufkraft, in Haßloch ist das alles nahe am nationalen Durchschnitt. Und genau das macht das Alleinstellungsmerkmal der Gemeinde im Pfälzischen aus. Sie ist Deutschland im Kleinen. Und damit ein perfektes Testlabor. Bis zu 1.500 Produkte werden jährlich auf Marktreife geprüft. Ob eine neue Seife in Serie geht, ein Deo es dauerhaft ins Sortiment der Discounter schafft oder eine Wurst den Weg in die Fleischtheke findet, das entscheidet sich oft in Haßloch.
Schicksal spielen 3.400 Haushalte, deren Einkaufsverhalten mit Hilfe von Chipkarten im Supermarkt gemessen wird. Die GfK, die Gesellschaft für Konsumforschung, wertet die Ergebnisse aus. Die Auftraggeber lassen sich das einiges kosten. Ein Produkttest schlägt schon mal mit einem sechsstelligen Betrag zu Buche. Datenschützer sind freilich wenig begeistert. Der gläserne Konsument ist ein Haßlocher.
Die Prämie, die die Testhaushalte bekommen, ist ziemlich „08/15“: Ein Gratisabo der „Hörzu“ gibt es, die allerdings mit präparierter Werbung versehen ist, und einen jährlichen Zuschuss von 46 Euro für die Gebühr fürs Kabelfernsehen, in das allerdings besondere Werbespots nur für die Haßlocher eingespeist werden. Zum Test.
Ironie der Marktforschungsgeschichte: Auf Haßloch fiel die Wahl Mitte der 1980er-Jahre nicht allein, weil es so durchschnittlich ist. Durchschnittliche Städte gibt es in Deutschland viele. Ausschlaggebend war, dass der Ort auch ein Vorreiter war: Er war 1986 schon weitgehend verkabelt. Es spielten aber auch andere Faktoren eine Rolle. Die guten Einkaufsmöglichkeiten etwa. Wer in Haßloch wohnt, kauft auch dort ein.
Eine Woche verbrachte der Fotograf Christian Protte in diesem Musterdorf des Mittelmaßes. Er dokumentierte dabei nicht nur die alles durchdringende Durchschnittlichkeit, sondern auch die vorsichtigen Fluchtversuche der Haßlocher aus dem Gewöhnlichen.

Über jedem Haßlocher hängt der Normalo-Verdacht? Es gibt sehr verschiedene Strategien, damit umzugehen.
(Christian Protte)
In dem Ort im Pfälzischen leben die am besten vermessenen Konsumenten der Republik.
(Christian Protte)
Manchmal kommt der Durchschnitt auch in schrillen Farben daher.
(Christian Protte)
Alles weichgespült hier: Zum Beispiel ließ der Konsumgüter-Konzern Procter & Gamble in Haßloch das Produkt „Lenor“ testen.
(Christian Protte)
Die 3.400 Testhaushalte sind so ausgewählt, dass sie die deutsche Bevölkerung repräsentieren. Da dürfen auch Senioren mit Wohnmobil nicht fehlen.
(Christian Protte)
Du bist Deutschland. Ob seiner vielen statistischen Mittelwerte ist Haßloch die Bundesrepublik im Kleinen.
(Christian Protte)
Für perfekten Durchschnitt braucht es auch die wohlkalkulierte Abweichung.
(Christian Protte)
Weg damit. 70 Prozent der Produktideen, die in den Supermärkten Haßlochs getestet werden, verwerfen die Hersteller nach einem Jahr wieder. Was in Haßloch durchfällt, heißt es, setzt sich auf dem Markt nicht durch.
(Christian Protte)
Sechs Supermärkte und ebenso viele Drogerien gibt es hier für die Marktforschung. Welche Sorten der Eisverkäufer am häufigsten verkauft, wird hingegen nicht gemessen.
(Christian Protte)
Der Test einer neuen Veranstaltungsreihe? Nee nee, die Jesusnight soll hier seit über 10 Jahren ein Renner sein
(Christian Protte)
Auch er ist eine Zielgruppe. Die GfK wertet das Kaufverhalten aus und erstellt für die Auftraggeber Profile typischer Konsumenten.
(Christian Protte)
Typisch deutsch? Haßloch ist ein nach amerikanischem Vorbild aufgebauter Testmarkt.
(Christian Protte)
Nett ist die kleine Schwester von durchschnittlich: Annegret und ihr Hund.
(Christian Protte)
Die Marktforscher wissen, ob ein Vier-Personen-Haushalt mit niedrigem Einkommen lieber zu Großpackungen greift. Aber wonach hier gegriffen wird, ahnen nichtmal sie.
(Christian Protte)
Was in Haßloch getestet wird, sieht man kurze Zeit später vielleicht überall. Zum Beispiel sehr kurze Krawatten.
(Christian Protte)
Ein Tortendiagramm der Marktforschung? Man kann sich da auch reinsteigern.
(Christian Protte)
Bis zu 200.000 Euro, so viel wie der Preis eines Kleinfamilienhauses, lassen sich Konzerne einen Produkt-Probelauf hier kosten. Das Scheitern des Produktes wäre indes deutlich teurer.
(Christian Protte)
Mittags wird es ruhig auf den Straßen von Haßloch. Denn hier ist es durchaus noch üblich, dass Betriebe Mittags für zwei Stunden schließen.
(Christian Protte)