„Ich stelle Gebrauchskeramik her“, sagt Anita in Aisha Franz’ neuem Comic „Work-Life-Balance“. „Teller, Vasen, so was halt … Das ist quasi Beruf und Hobby in einem.“ Und damit fangen die Probleme schon an in der schönen neuen entgrenzten Arbeitswelt der Freelancer und Prekär-Kreativen, der Start-up-People und Großstadt-Kulturboheme. Anita wurde das alles nämlich zu viel. In einem Burn-out-Wutanfall hat sie fast ihre gesamte Arbeit zerstört – und dazu noch die Skulptur einer früheren Kommilitonin, die es, anders als Anita, nach dem Kunststudium zu Ausstellungen und Anerkennung gebracht hat. Nun sitzt Anita in der psychotherapeutischen Sprechstunde von Frau Dr. Sharifi. „Genervt bin ich schon seit längerem.“ – „Wovon?“ – „Keine Ahnung. Na, wahrscheinlich davon, austauschbaren Krempel auf Etsy zu verkaufen.“ #potterylife #instapotters #ceramiclove
Derartige Probleme mit ihrem Selbstbewusstsein hat Sandra nicht, im Gegenteil. Sie tritt beim Start-up Agileal ziemlich breitbeinig und wenig selbstkritisch auf. Zufrieden mit ihrem Job ist sie trotzdem nicht („Ich bin in so einer undefinierten semiadministrativen Tätigkeit stecken geblieben: Graduate Database Strategist“). Als herauskommt, dass sie einen Kollegen sexuell nötigt, wird sie von ihren Chefs beurlaubt und ihr eine Therapie nahegelegt. So landet auch sie bei Dr. Sharifi.
Hauptfigur Nummer drei, Rex, ist Programmierer, Asthmatiker und mit der Miete im Rückstand. Er sollte für Agileal eine virtuelle Welt für Psychotherapiesitzungen bauen. Nur leider wird ihm nach monatelanger unbezahlter Vorarbeit in einem verkrampft-lockeren Meeting eröffnet, dass man das Ganze nun doch lieber „inhouse“ machen will.
„Work-Life-Balance“ gelingt es, eine kritische und gleichzeitig humorvoll-leichte Geschichte zu erzählen
Schlechte Bezahlung, befristete Verträge, die Frage wie „bullshittig“ der eigene Job eigentlich ist: Das sind Themen, mit denen sich viele, vor allem jüngere Menschen heute rumplagen – und die auch der Autorin von „Work-Life-Balance“ nicht fremd sind: Franz, Jahrgang 1984 und wohnhaft in Berlin, macht schließlich nicht nur Comics (davon kann man in Deutschland nur in den allerseltensten Fällen leben), sie ist auch Illustratorin und hat einen Lehrauftrag an der Kunsthochschule Kassel. Die Patchwork-Arbeitsbiografien ihrer Protagonist:innen stattet Franz dabei mit sehr Gegenwärtigem aus: Die Figuren schauen Marie-Kondo-Aufräum-Sendungen, essen Poke Bowls, trinken georgischen Naturwein und inszenieren sich in Morgenroutine-Videos. Auch Lieferdienste mit quadratischen Rucksäcken und wie Kinderspielplätze anmutende Bürolandschaften kommen vor.
Diese Versatzstücke sind nicht unbedingt originell, zum Teil gar hart an der Klischeegrenze, und dennoch gelingt es Franz, daraus eine kritische und gleichzeitig humorvoll-leichte Geschichte zu formen. Ihr Zeichenstil ist dabei wortwörtlich comichaft: Die Nasen sind knubbelig, die Augen rund, die Hände oft klobig, die Gliedmaßen schlauchartig. Dabei nimmt sich Franz immer wieder den Raum für Details in Großaufnahme und dafür, winzige Handlungen über mehrere Einzelbilder zu strecken – etwa wenn sich die Therapeutin die Hände eincremt und so die ganze Zwanghaftigkeit der Figuren zum Ausdruck bringt.
Es ist dieser Sinn für das Nebensächliche, Absurde, der „Work-Life Balance“ auszeichnet und seinen Hang zum Surrealen noch verstärkt. Der findet sich auch in zahlreichen Rückblenden- und Tagtraum-Sequenzen sowie Dialogen („Pantoffeln?“ – „Wir sind ein schuhfreies Office“) und gipfelt in der sphinxhaften Dr. Sharifi. Bei ihren Sitzungen trägt die wunderliche Therapeutin einen Jumpsuit, glotzt herrlich ignorant in ihr Handy, futtert Chips oder erzählt von ihren eigenen Problemen – und gibt ihren Patient:innen am Ende einfach irgendwelche Tabletten. Sind sie schließlich wieder weg, macht Dr. Sharifi Yoga oder meditiert.
Sie, die Älteste, hat ihre Work-Life-Balance gefunden. Es gibt also noch Hoffnung.
„Work-Life-Balance“ von Aisha Franz (256 Seiten, 29 Euro) erscheint im Reprodukt-Verlag.