So viele Freundschaftsanfragen wie nach seinem Flug von Buenos Aires nach London am 30. September 2014 hatte Chris Bovey noch nie bekommen. Der 41-jährige Engländer hatte am Fenster gesessen und gefilmt, wie eine Flüssigkeit aus einer Düse am Flügel des Flugzeugs gespritzt wurde. Die Flüssigkeit hatte sich in eine große weiße Wolke verwandelt, die noch lange am Himmel zu sehen war. Das Video, das Bovey auf Facebook postete, wurde 1,1 Millionen Mmal geklickt und 20.000-mal geteilt. Da war er endlich, der Beweis, dass es „Chemtrails“ gibt.
Für alle, die nicht an die Verschwörungstheorie der „Chemtrails“ glauben, zeigt der Film nichts anderes als Kondensstreifen. Die entstehen, wenn Wasserdampf in kalter Atmosphäre aus den Flugzeugtriebwerken austritt. Meteorologisch betrachtet sind sie künstlich erzeugte Zirrus-Wolken: feingliedrige weiße Eiswolken, die an den Rändern leicht ausfransen. Aber rein meteorologisch betrachtet das ein gar nicht so kleiner internationaler Zirkel an Öko-Verschwörungstheoretikern nicht. Um die Kondensstreifen kreisen seit 20 Jahren wilde Komplott-Gerüchte. Die Streifen seien das Ergebnis einer gezielten Wettermanipulation mit technischen Mitteln, vermuten die „Chemtrailer“.
Ihre Annahme: Bei heimlichen Sprühaktionen werden winzige Metallpartikel, Bariumsalze etwa oder pulverisiertes Aluminiumoxid, ausgebracht. Dies sei ein Fall von Geo-Engineering – die Sonneneinstrahlung soll vermindert und der Treibhauseffekt kompensiert werden. Chemtrails, so die Theorie, stoppen die Erderwärmung. An sich eine tolle Sache. Doch: Dahinter stecke die US-Regierung, die ihren industriefreundlichen Kurs nicht einer drohenden Klimakatastrophe opfern will. Es gibt auch andere Theorien um die künstlichen Wolken. Etwa dass die ausgestoßenen Gifte unfruchtbar machen würden, ältere Menschen vergiftet und Staaten damit erpresst würden.
Auch der Handy-Filmer Chris Bovey schürte den Eindruck, dass finstere Mächte an einem Komplott arbeiten. Nach der Landung, so gab er an, sei er acht Stunden von der Polizei verhört worden. Dabei sei auch sein Handy beschlagnahmt worden. Zufällig hatte er den Film jedoch auf seinen Laptop geladen. Den hätten die Behörden wiederum nicht beschlagnahmt.
Naturwissenschaftler, die mit Verschwörungstheorien wenig am Hut haben, kommen zu ganz anderen Ergebnissen: Chemtrails würden die Erde nicht kühler machen. Im Gegenteil: Sie würden sie sogar eher erwärmen. Denn die Partikel in den künstlichen Wolken sorgen für Infrarotemissionen und damit für eine Wärmestrahlung, die die umgebende Luft aufheizt. Auch das Argument, dass es früher viel weniger Kondensstreifen am Himmel gegeben habe, greift zu kurz. Der Flugverkehr hat sich in den vergangenen Jahren vervielfacht. In Deutschland alleine gibt es jährlich rund 2,5 Millionen Flugbewegungen, also Starts und Landungen – etwa viermal mehr als noch vor 30 Jahren.
Aber was ist mit den komischen Formen der Kondensstreifen? Sie sind unterbrochen, mal dick, dann wieder dünn. Und sie bleiben oft so lange am Himmel. Die Luftmassen in dieser Höhe sind nicht homogen, erklären Meteorologen. Temperatursprünge von zehn Grad und Windsprünge von 100 Stundenkilometern sind in den oberen Luftschichten normal. Das verzerrt die Form der Wolken. Ganz zu schweigen von den Kosten, die solche heimliche Sprühaktion bedeuten würde.
Chris Bovey glaubte zu keinem Zeitpunkt, die große Weltverschwörung aufgedeckt zu haben. Er wollte mit seinem Video nur einen Witz machen, sagte er später. Die mysteriöse Flüssigkeit, die aus dem Flügel austrat, war nichts anderes als Kerosin. Das hatte einen einfachen Grund. Die Maschine musste kurz nach dem Start in Buenos Aires in São Paulo notlanden. Um eine sichere Landung zu gewährleisten, musste das Gewicht der vollgetankten Maschine reduziert werden. Deshalb wurde der Treibstoff ausgestoßen. Ein Standart-Procedere in so einem Fall. Als Bovey schließlich zugab, die Geschichte mit der Polizei erfunden zu haben, gab es nicht nur wüste Verwünschungen, es kursierten wieder neue Verschwörungstheorien durchs Netz: Wieviel Geld hat Bovey bekommen, dass er die Geschichte nun dementiert?
Felix Denk hat vor allem ein ästhetisches Verhältnis zu Wolken. Er schaut sie wahnsinnig gerne an. Insofern war er beruhigt, dass das Umweltbundesamt, der Deutsche Wetterdienst, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, aber auch die Weltgesundheitsorgansiation nichts von vergifteten Wolken wissen.