Klar ist aber, dass das Recht immer internationaler wird. Und manchmal fast zu global, um überhaupt noch jemanden zur Rechenschaft ziehen zu können. Fragen an den Fachmann Christoph Möllers

Der Lebenslauf von Christoph Möllers liest sich, als würde er Universitäten sammeln: Begonnen hat er sein Jura-Studium an der Universität Tübingen, über München, Chicago und die TU Dresden landete er schließlich als Professor auf dem Lehrstuhl für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ach ja: An der New York University war er zwischendurch auch noch. Er dürfte also einiges darüber zu sagen haben, wo in Zeiten der Globalisierung welches Recht gilt.

fluter: Ein großer Teil des für uns in Deutschland geltenden Rechts wird mittlerweile in Europa gemacht. Können Sie verstehen, dass das manchen Menschen Angst macht?

Möllers: Ach, Angst finde ich übertrieben. Man muss sich klar machen, dass Europa auch wir sind. Es gibt eigentlich keine europäische Rechtssetzung ohne die Bundesrepublik Deutschland. Wir haben einen veritablen Einfluss auf das von rund 500 Millionen Einwohnern bevölkerte Gebiet. Das ist zu bedenken, bevor man anfängt sich zu beklagen, was Europa ist.

Deutschland wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen seiner Praxis gerügt, Gefangene nach dem Verbüßen ihrer Haftstrafen in nachträgliche Sicherungsverwahrung zu nehmen.

Das ist ein Fall, in dem der politische Prozess eindeutig versagt hat. Da haben sich in Deutschland Medien und Politik gegenseitig hochgeschaukelt, um ein populäres Bedürfnis zu befriedigen – und damit ist man letztendlich gescheitert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einer nicht ganz so überraschenden Weise zugeschlagen und festgestellt, dass Deutschland gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. Es ist ein gutes Zeichen, dass das so kontrolliert wird.

Gibt es in unserer globalisierten Gesellschaft eigentlich noch so etwas wie rechtsfreie Räume? Das Internet wird ja immer als ein solcher Raum bezeichnet.

Nein, so etwas gibt es per Definition eigentlich nicht. Umgekehrt könnte man aber auch sagen: Jeder geregelte Raum ist potenziell frei. Regeln gelten zwar überall, aber sie haben immer eine eingeschränkte Bedeutung. Sie determinieren nicht alles, sondern lassen viel Luft. Im Internet haben wir ganz sicher keinen rechtsfreien Raum. Dort gelten Strafregeln und Grundrechte. Wir haben aber ein Problem damit, Straftaten zu verfolgen oder alte Grundrechtsgarantien wie den Schutz der Telekommunikation auf neue Techniken zu übersetzen. Das ist ein ganz normaler Vorgang, der mit jedem technologischen Schub wieder passiert.

Gilt das Recht eigentlich nur für Menschen, oder wird es sich ausweiten auf Tiere oder Roboter? An der Uni Würzburg gibt es ein Forschungsprojekt, das unter anderem die Schuldfähigkeit von Maschinen untersucht.

Wenn wir Organisationen wie zum Beispiel der Deutschen Bank Rechte geben, können wir theoretisch auch anderen Lebewesen und Maschinen Rechte geben. Wir tun es ja bis zu einem gewissen Grad auch bei Tieren. Ein Hund kann nicht klagen, aber wir haben ein sehr ausgefeiltes Tierschutzrecht. Man könnte sich vorstellen, dass Maschinen eines Tages so komplex werden, dass sie im Grunde anthropomorph sind. Dann stellt sich die Frage, inwieweit wir den Maschinen auch gewisse Rechtspositionen einräumen müssen. Ich denke, das wird passieren, wir können es uns aber gegenwärtig noch nicht wirklich vorstellen.

Wie simultan entwickelt sich denn das Recht weltweit? Kann man an einzelnen Ländern überhaupt noch so etwas wie Rechtskulturen festmachen?

Die Unterschiede sind immens! Wenn man sich zum Beispiel die Verwaltungsorganisation in Frankreich ansieht, dann kann man schon verzweifeln. Das Experimentieren mit und das Interpretieren von Recht verläuft weltweit sehr unterschiedlich. In Indien werden Dinge mit Grundrechten gemacht, die es bei uns so nicht gibt: Anwälte klagen für Gefangene, die selbst nicht lesen und schreiben können, und von der Klage nichts wissen. Das ist faszinierend, und davon können wir noch etwas lernen.

Den zweiten Teil des Gesprächs lest ihr auf Seite 40