In Flensburg scheint das Leben schön zu sein. Das Urlaubsland Dänemark ist nur wenige Kilometer entfernt, zwei Meere liegen quasi vor der Haustür. In der Innenstadt erblickt man Fachwerk, Kopfsteinpflaster und Modeketten. Es sieht nach gesicherten Verhältnissen aus. Der Haushalt der 92.000-Einwohner-Stadt zeigt jedoch ein anderes Bild: Viele Menschen sind hier auf öffentliche Unterstützung angewiesen. In keiner deutschen Stadt ist der Anteil der Sozialausgaben – dazu zählen unter anderem Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe, Renten sowie soziale Sach- und Dienstleistungen – so hoch wie an der Förde. 58 Prozent des städtischen Etats machen sie laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus.
Was ist da los? Zunächst mal ist da viel Arbeitslosigkeit. Die Quote liegt in Flensburg mit 9,6 Prozent im September deutlich höher als der Bundesdurchschnitt, der zum gleichen Zeitpunkt offiziell bei 6,2 Prozent liegt. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist hoch. Was sie für ihre Unterkunft nicht zahlen können, muss zu einem großen Teil die Kommune stemmen. Wenn viele Menschen Hartz IV bekommen – das offiziell Arbeitslosengeld II heißt – ist das auch ein Indikator für eine schwächelnde regionale Wirtschaft und damit auch für geringere Steuereinnahmen im städtischen Haushalt. Die Folge: Der Haushalt in Flensburg ist seit dem Jahr 2000 im Minus, im laufenden Jahr kommen neue Schulden in Höhe von zwölf Millionen Euro hinzu. Doch nicht nur Hartz-IV-Empfänger machen Sozialausgaben aus, auch das steigende Armutsrisiko für ältere Menschen. Denn die Unterstützung für Senioren und Frührentner, deren Geld nicht zum Leben reicht, kostet die Städte ebenfalls Geld. Und das sind nur einige der vielen Kostenfaktoren.
Allerdings sind hohe Sozialausgaben nicht immer ein Zeichen für die Bedürftigkeit in einer Stadt. So hat Flensburg in den vergangenen Jahren einiges Geld in den Ausbau von Kitaplätzen investiert und die Stadt damit als Wohnort und Wirtschaftsstandort attraktiver gemacht. Eine Sozialausgabe kann eben auch ein Investment für die Zukunft sein. Bei all diesen Aufgaben erwarten gerade die wirtschaftsschwachen Kommunen wie Flensburg noch mehr Unterstützung von Land und Bund. Mit jährlich fünf Milliarden Euro, die Union und SPD im Koalitionsvertrag ab 2018 an Unterstützung zugesagt haben, könnte der Bund zum Beispiel seinen Finanzierungsanteil an den Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger von einem auf zwei Drittel steigern. Das würde auch den Flensburger Haushalt entlasten.
Geht es VW gut, geht es Wolfsburg gut – und umgekehrt
Ganz anders stellt sich die Situation in Wolfsburg dar. Dort machen Sozialleistungen nur 17 Prozent des städtischen Haushalts aus, so wenig wie nirgendwo sonst in der Republik. Einzigartig ist allerdings die ganze Situation in dieser Stadt. Wolfsburg und seine Umgebung leben fast ausschließlich von dem Autobauer Volkswagen und seinen Zulieferbetrieben. Wenn es für den gut läuft, was es bis zum jüngsten Skandal um gefälschte Abgastests tat, dann geht es auch Wolfsburg gut.
Laut einer 2013 veröffentlichten Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln ist Wolfsburg die wirtschaftlich stärkste Stadt in Deutschland – bezogen auf die Wirtschaftsleistung je Einwohner – und liegt mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 92.600 Euro pro Kopf noch vor der Finanzmetropole Frankfurt am Main (82.700). 75.000 Menschen pendeln täglich zum Arbeiten hierher. Die Arbeitslosenquote lag im September bei 4,7 Prozent. Doch die Abhängigkeit von nur einem Großkonzern birgt auch Gefahren. Sollte die aktuelle Abgasaffäre dem Konzern wirklich so sehr schaden, wie manche Analysten prognostizieren, würde sich auch für die Kommune Wolfsburg die Lage schlagartig verschlechtern.
Birk Grüling wuchs im niedersächsischen Niemandsland auf, studierte Mathe und Kulturjournalismus in Hannover und verlor dann sein Herz an Hamburg. Als freier Journalist schreibt er aus der Hansestadt für große Tageszeitungen und Magazine über Wissenschaft und Gesellschaft.