Ein Kanal in Nicaragua, der den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verbindet, das ist keine neue Idee. Schon im 16. Jahrhundert gab es solche Pläne. Der französische Kaiser Napoleon III. träumte davon. Der US-amerikanische Eisenbahn-Magnat Cornelius Vanderbilt hatte sogar schon eine Streckenführung entwickelt und sich für kurze Zeit die Rechte daran gesichert. Doch nie wurde etwas daraus, und spätestens seit der Panamakanal 1914 seine Schleusen öffnete, schien in Mittelamerika eigentlich kein Bedarf für einen zweiten Wasserweg zu sein, der die zeitaufwendige und gefährliche Passage um das Kap Hoorn überflüssig macht. 

Warum haben der Präsident Nicaraguas und ein Milliardär aus Hongkong das Projekt nun wiederbelebt?

Bisher ist vom angeblich größten Infrastrukturprojekt der Welt nicht viel zu sehen

dunkle kanäle

Nicaragua Kanal (Kaidor)

Über die Jahrhunderte wurden verschiedene Routen für einen Nicaraguakanal vorgeschlagen. Der HKND-Kanal folgt der grünen Route. Jede der Atlantik-Pazifik-Verbindungen durch Nicaragua wäre länger als der orangerot eingezeichnete Panamakanal

(Kaidor), CC BY-SA 4.0

Präsident Daniel Ortega, der zwar demokratisch gewählt wurde, aber wegen seines Regierungsstils oft als autokratisch kritisiert wird, schloss 2013 einen Vertrag mit der Hong Kong Nicaragua Canal Development Group (HKND) für den Kanalbau. Dieses Unternehmen gehört dem chinesischen Milliardär Wang Jing, einem Mann, der nun ebenfalls von Teilen der Öffentlichkeit Nicaraguas und der Welt kritisch beäugt wird.

Es gibt Zweifel an den wahren Motiven der beiden. Nicht zuletzt deshalb, weil von einem Kanal noch immer nicht viel zu sehen ist, obwohl der Bau offiziell schon im Dezember 2014 begann und der Betriebsbeginn für 2020 vorgesehen ist. Offiziell geplant ist er als das größte Infrastrukturprojekt der Welt. 278 Kilometer lang, 230 bis 520 Meter breit und 27 bis 30 Meter tief soll der Kanal werden. Damit wäre er dreimal so lang wie der Panamakanal. Er soll 2020 bis zu 3.576 und 2050 sogar bis zu 5.100 Frachtschiffen und Tankern mit einem Fassungsvermögen von bis zu 400.000 Tonnen die Durchfahrt in 30 Stunden ermöglichen. 

Und auch drum herum soll eine Menge entstehen: zwei Häfen, ein Flughafen, einige Straßen, eine eigene Freihandelszone und Touristenresorts sowie die benötigte Infrastruktur für die Durchführung des Projekts. Kostenpunkt insgesamt: 50 Milliarden US-Dollar.

Und so gibt es viele Spekulationen, ob dahinter nicht noch ganz andere als die offiziell verlautbarten Absichten liegen. Vor allem die Rolle der chinesischen HKND-Gruppe und Wang Jings ist unklar. Margaret Myers, China-Expertin des Thinktanks Inter-American Dialogue, der sich um eine Verbesserung der Beziehung zwischen den USA und Lateinamerika bemüht, sagt: „Das gesamte Projekt durchzieht eine notorische Intransparenz.“

Es könnte sogar sein, dass das Projekt aufgrund der fehlenden Finanzierung bereits begraben sei, auch wenn alle Beteiligten stets das Gegenteil beteuern. Aber so genau wisse das keiner, wie Myers auch anführt. Wang Jing selbst soll 2015 80 bis 85 Prozent seines auf zehn Milliarden Dollar geschätzten Privatvermögens an der Börse verloren haben. Was Zweifel an der benötigten Liquidität für das Projekt nährt. Daher ihre Vermutung, dass er nicht viel mehr als ein Strohmann der chinesischen Regierung sei, für die der Kanal eine geopolitische Bedeutung hätte. Der Fernsehsender Al Jazeera ging den Gerüchten in einer aufwendig produzierten Web-Reportage nach.

Auch die „South China Morning Post“ beteiligte sich an solchen Spekulationen. Ohnehin vergrößert das Reich der Mitte seinen Einfluss in Lateinamerika schon seit Jahren. Der Aufschwung Brasiliens etwa ist eng mit stetigen Investitionen aus Fernost verknüpft.

 

Ein zweiter Kanal in Zentralamerika würde China als Handelspartner unabhängig vom Panamakanal machen, der seit seinem Bau eng mit den USA verwoben ist. So haben die Vereinigten Staaten noch heute ein Interventionsrecht, das ihnen erlaubt, den Kanal unter bestimmten Umständen zu schließen. Spekulationen, China würde mit dem Bau eines neuen Kanals geostrategische Ziele verfolgen, wurden von offizieller Seite stets dementiert, das Land ist aber dafür bekannt, sich in solchen Angelegenheiten sehr bedeckt zu halten.

Spekuliert wird: China könnte Interesse an einem zweiten Kanal in Zentralamerika haben

Wang Jing selbst bestreitet ohnehin, dass es irgendein staatliches Engagement gebe, und betont immer, er sei ein Privatmann, der ein privates Unternehmen betreibe. In einem seiner seltenen Interviews sagte er der BBC, er würde statt Worte Taten sprechen lassen. Und bald schon würden die alle Zweifler überzeugt haben.

Auf dem Internetportal von Bloomberg wurde derweil gemutmaßt, dass der Kanal selbst nie gebaut werden soll. Vielmehr gehe es der HKND-Gruppe hauptsächlich um die exklusiven Rechte an den Subprojekten, also an den Häfen und Resorts, für die der Kanal demnach nur einen Vorwand hergeben soll. Denn sie erfordern weitreichende Enteignungen, die sich mit dem Argument des Kanalbaus besser durchsetzen ließen – auch für Präsident Ortega.

Ihm wird obendrein vorgeworfen, unter anderem von seinem früheren Vizepräsidenten Sergio Ramírez, sich durch Enteignungen im Rahmen des Projekts möglicherweise auch selbst bereichern zu wollen. Aus juristischer Sicht könnte der Vertrag zwischen der Regierung und der HKND-Gruppe mit allen Steuerbefreiungen und sonstigen Vorteilen womöglich auch weiterbestehen, wenn der Kanal nicht fertig gebaut würde.

Viele Menschen in Nicaragua sind für den Bau des Kanals

Die große Mehrheit der Bevölkerung Nicaraguas steht immer noch hinter dem Projekt, das zeigen Umfragen wie die von Al Jazeera zitierte von M&R Consultants. Doch dort, wo bald die Bagger anrollen sollen, steht an vielen Hauswänden „Chinesen, haut ab“, und die meisten Wahlplakate Ortegas, der im November dieses Jahres wiedergewählt werden will, sind mit schwarzer Farbe übermalt. Der Vertrag zwischen der Regierung und HKND sieht vor, dass für die benötigten Ländereien für den Kanalbau nur der im Grundbuch eingetragene Preis gezahlt werden muss, was nach Ansicht von Experten nur fünf Prozent des Marktpreises entspräche. Und Umweltschützer warnen vor allem vor den Folgen der geplanten Vertiefung des Cocibolca-Sees, dem zweitgrößten Süßwassersee Lateinamerikas mit einem sehr empfindlichen Ökosystem, der zudem 200.000 Menschen mit Trinkwasser versorgt. 

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Nicaragua See (Foto: Alex Garcia/ReduxRedux/laif)

Ganz schön da, an der Pazifikküste von Nicaragua: Noch wird hier gebadet, aber bald sollen die Bauarbeiten für den Kanal begonnen werden

(Foto: Alex Garcia/ReduxRedux/laif)

Selbst eine Studie, die das international tätige Beratungsinstitut ERM im Auftrag der HKND erstellt hat, kommt zu dem Schluss, dass das Projekt von „Risiken und Unsicherheiten durchzogen“ ist.

Nur wenn die Finanzierung gesichert sei und internationale Standards eingehalten würden, könne Nicaragua langfristig profitieren, heißt es da. Sonst wäre es für das Land besser, „nichts zu tun“. Dort, wo Wang Jing den ersten symbolischen Spatenstich vollzog, um den Kanalbau feierlich zu eröffnen, grasen jetzt erst mal doch wieder Kühe. 

Titlbild: NurPhoto/NurPhoto via Getty Images