Die Kinobeleuchtung ist noch nicht ganz abgedimmt, ein paar Schatten drängeln sich durch die Reihen, Gummibärchentüten werden aufgerissen. Auf der Leinwand sieht man einen Breakdance Battle, Jugendliche stehen um einen Ghettoblaster herum und beobachten die Tänzer. "Geile Kiste. Cooler Sound. Auch angemeldet?", fragt plötzlich einer der Breaker den Boombox-Besitzer."Alter, das Ding ist noch nicht mal gekauft!", blafft der nur verächtlich. Der neugierige Frager öffnet daraufhin lässig seine Jacke, darunter kommt eine glänzende HipHop-Kette zum Vorschein - mit der Aufschrift GEZ. Das ganze Kino stöhnt auf. Alles ertappte Schwarzseher, die ihr Gewissen zwickt? Nein, wir stöhnen mit, obwohl wir seit Jahr und Tag Rundfunkgebühren bezahlen. Uns also darüber freuen könnten, wie uns von der Leinwand auf die Schulter geklopft wird. Trotzdem macht Werbung, die unser Moralgefüge anspricht, fast immer schlechte Laune - warum eigentlich? 

Das erste Problem ist der Humor. Bei Werbespots oder Anzeigen, die zu moralisch korrektem Handeln anregen sollen, scheint es eine Art Pointenpflicht zu geben. Ob die Supermarktkassiererin "Rita, wat kosten die Kondome?" durch den Laden brüllt oder Raubkopierer sich auf einer Weide unter einem Kuhkostüm verstecken und am Ende von einem Bullen bestiegen werden - Moral ist scheinbar, wenn man trotzdem lacht. "Comic Relief" nennen Experten den Moment, in dem die Anspannung einer dramatischen Szene von uns abfällt, die Komödie Einzug hält und ein befreiendes Lachen über uns hinwegrauscht. Das funktioniert in Fernsehserien und manchmal auch im echten Leben, wenn man eine heikle Situation mit einem Scherz entschärfen kann. Wenn aber einerseits die Ernsthaftigkeit einer Problematik (Aids, Raubkopien etc.) betont werden soll, gleichzeitig jedoch auf den vermeintlichen Schlusslacher nicht verzichtet werden kann, muss sich niemand wundern, wenn die eigentliche Botschaft nicht ankommt. 
 

Ich bin doch nicht blöd?


Das zweite Problem ist der Ton, in dem die oft jugendliche Zielgruppe angesprochen wird. Nicht nur ist es eine Unverschämtheit, dass sich beispielsweise der Münchner Verkehrsverbund in seiner neuen Kampagne ausschließlich an junge Schwarzfahrer wendet - gerade so, als würde man mit 25 automatisch ein integrer Mensch, der stets ein gestempeltes Ticket bei sich trägt und auch sonst alles im Leben richtig macht. Auf den Plakaten stehen dann auch noch vermeintlich hippe Slogans wie "Schwarzfahren? - Nein d:-)nke!", Zopfmädchen strecken frech ihre Zunge heraus, Jungs mit schräg aufgesetzter Kappe sagen mit der Abgeklärtheit der Straße: "Mir wegen so was die Zukunft verbauen? Ich bin doch nicht blöd."

Als vor sechs Jahren die Werbekampagne gegen das Brennen von MusikCDs unter dem Titel "Copy Kills Music" startete, freute sich der Bundesverband der phonographischen Wirtschaft, wie nah man mit dem "unkonventionellen Slogan" an den "Kids" dran sei:"falsches Englisch mit richtiger Botschaft: knackig, eingängig und irgendwie international". Feico Derschow, der über fünfzig Auszeichnungen als Art Director und Creative Director für Werbeagenturen wie Saatchi & Saatchi gewonnen hat und inzwischen als Leiter der "Masterclass Art Direction" junge Werber ausbildet, zweifelt daran, dass Werbung überhaupt jemanden vom Schwarz-fahren abhalten kann: "Moralische Fragen sind doch eigentlich Fragen der Erziehung", sagt der gebürtige Niederländer mit über 35 Jahren Werbeerfahrung. "Das muss als gesellschaftliches Verhalten vorgelebt werden, draußen oder in der Familie. Momentan wird moralisches Handeln auf demselben Weg beworben wie ein Prepaid-Handy - ehrlich gesagt, finde ich das krank." 
 

Schuldige Konsumenten


Das dritte Problem moralischer Werbung ist die starke Fixierung auf Schuldgefühle - egal ob diese angebracht sind oder nicht. Derschow spricht von einer "Vorverurteilung", der österreichische Medienforscher Wolfgang Pauser bringt es noch präziser auf den Punkt: "Wer mit Moral werben will, kommt an der Anschuldigung des Konsumenten nicht vorbei", schreibt er in seinem Essay Wie moralisch ist die Vermarktung der Moral?. Philipp Keller, bei der Agentur "Zum Goldenen Hirschen" verantwortlicher Text-Kreativchef für die provokante Kampagne "Raubkopierer sind Verbrecher", erklärt: "Die Vorgängerkampagne Copy Kills Music war auf Verständnis ausgelegt - weil sie erklärte ,dass kein Geld mehr für die Förderung kleiner Bands da ist, wenn alle sich die CDs brennen. Aber das hat die meisten leider nicht interessiert." Daher, so der 30-jährige Kölner, sei bei der Kampagne gegen Filmraubkopien die Strategie geändert worden. Statt auf Einsicht werde nun auf Abschreckung gesetzt und die Gefängnisstrafe betont, die Raubkopierern droht :"Argumente wirken leider nur bedingt, die Leute sind mehrheitlich zu egoistisch. Wenn ab morgen Autodiebstahl straffrei wäre, würde ja kein Auto mehr stehen bleiben - obwohl alle wissen ,dass es falsch ist zu stehlen." 

Die Kampagne, die auch mit Gefängniszellen über deutsche Marktplätze reiste und RAF-artige Fahndungsplakate mit (falschen) Raubkopierer-Visagen nutzte, sorgte trotzdem dafür, dass sich viele pauschal und zu Unrecht kriminalisiert fühlten. Das vierte Problem ist die Art und Weise, wie Werbung für moralisches Handeln in die Privatsphäre eindringt. Wir wollen uns ja auch nicht via Werbefilm sagen lassen, wie wir um Verstorbene zu trauern haben oder wie wir mit unserem Partner Schluss machen sollen. Ebenso unangenehm berührt es uns, wenn ein Werbespot für Zivilcourage unser Verhalten bei einer U-Bahn-Pöbelei hinterfragt oder unsere Entscheidung für oder gegen den Besuch eines Wasserzoos plötzlich eine öffentliche Angelegenheit wird. Eine Werbung, die auf intelligente Weise an das Gewissen potenzieller Kunden appelliert, wird derzeit in den USA plakatiert: "Wir sollen Ihnen einen schönen Gruß von Ihrem Mitbewohner aus dem Studium ausrichten", steht da, "und Sie daran erinnern, wie glücklich Sie damals waren, als Sie noch kein Geld hatten." Es ist die Anzeige einer Bank. Schwarzfahren? - Nein D:)nke!