Am Kottbusser Tor in Kreuzberg fällt Ismail Khoury nicht weiter auf. Er trägt eine graue Daunenjacke, weite Hosen und einen mittellangen Bart. Khoury sitzt draußen vor dem Café Kotti, einer alternativen Bar, in der sich Touristen und Alteingesessene tummeln. Reingehen möchte er nicht, er mag auch nicht erklären, warum. Vielleicht liegt es daran, dass er an diesem bunten Ort mit seinen Ansichten eben doch auffallen würde.
Vor Kurzem erst wurde die salafistische Organisation „Die wahre Religion“ verboten, die in der Öffentlichkeit vor allem mit Koran-Verteilungen in zahlreichen deutschen Städten aufgefallen ist, viele Muslime radikalisiert und für den „Islamischen Staat“ geworben haben soll. „Ich finde es richtig, wenn jemand mit Worten kämpft“, sagt Khoury. „In Deutschland heißt das gleich: Der ist ein Hassprediger. Aber hier darf doch jeder angeblich sagen, was er will.“
Khoury heißt eigentlich anders. Nur anonym hat er sich bereit erklärt, seine Ansichten über seine Religion und das Leben in Deutschland zu äußern, die die meisten Deutschen wohl als ziemlich radikal einordnen würden. Wobei das auch schon wieder so ein Wort ist, das Khoury aufregt. „Wenn uns andere als radikal bezeichnen, ist mir das egal. In Deutschland glauben die Menschen nichts. Die wollen Christen sein, aber sie sind gar nichts.“
Ein Getränk lehnt Khoury ab, wie er sich ohnehin vor dem Café nicht ganz wohl zu fühlen scheint, viel auf dem Stuhl hin und her rutscht. Er sei 22 und gehe seit drei Jahren in eine Moschee. Er habe es damals nicht mehr ausgehalten, „wie schlecht alle in Deutschland über den Islam reden“. Khoury erzählt von einer Talkshow, in der Muslime mit Vorwürfen überhäuft worden seien. Dort habe es geheißen, der Islam sei konservativ und frauenfeindlich. „Für mich bedeutet konservativ etwas Gutes. Wer soll denn die Kinder erziehen? Die Frauen!“
Am Kottbusser Tor herrscht an diesem späten Nachmittag wie immer viel Bewegung, Menschen aller Länder, Ansichten und Religionen machen ihre Einkäufe. Für Khoury ist das aber alles nur Fassade. „Es geht nicht gerecht zu in Deutschland.“ Er erzählt aufgeregt von einem etwas älteren Freund, der immer gut in der Schule gewesen sei, aber jetzt bei einer Versicherung arbeite und noch nicht mal ein Auto besitze. „Er sagt mir immer: ‚Bruder, die lassen uns nicht nach oben. Die gute Arbeit kriegen immer nur die Deutschen.‘“
Einwände mag Khoury nicht so gern. Dass auch viele Deutsche kein Auto besitzen, obwohl sie arbeiten, ist für ihn kein Gegenargument. „Hier bin ich immer nur Ausländer, obwohl ich in Deutschland geboren bin. Dabei war ich noch nie im Libanon, wo meine Eltern herkommen.“
Angesprochen auf den „Islamischen Staat“, erzählt Khoury von einem Bekannten, der nach Syrien habe reisen wollen, um dort für den IS zu kämpfen. Er sei aber in der Türkei gestoppt und nach Hause geschickt worden. „Ich finde es nicht gut, dass der IS so viele Menschen tötet, aber ich verstehe, warum die das machen. Die USA töten schließlich auch viele Menschen, noch mehr als der IS.“
Auf die Frage nach seinem Auskommen reagiert Khoury ausweichend. Er suche gerade etwas Neues. Zuvor habe er Pakete ausgetragen. Auf keinen Fall werde er bei McDonald’s arbeiten. „Ein Freund von mir sagt immer: ‚Diese Drecksarbeit, damit bist du da, wo sie dich haben wollen!‘“
An der Bushaltestelle laufen Mädchen vorbei, sie lachen laut. „Ich bin dafür, dass in Deutschland strenge Regeln gelten“, sagt Khoury. Er macht eine Pause und sagt: „Ich weiß nicht, ob jede Frau immer Kopftuch tragen muss. Aber Respekt vor dem Mann haben, das muss jede Frau.“ Am Kotti wird es mit jeder Minute voller, lauter, bunter. Khoury entschuldigt sich. Er müsse jetzt los.