Jerzy Owsiak, der Gründer des „Woodstock Festival Poland“, ist derzeit nicht gerade der Liebling der polnischen Behörden. Seitdem die nationalkonservative Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS), zu Deutsch „Recht und Gerechtigkeit“, Ende 2015 bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit gewonnen hat, haben einige Politiker versucht, eine Neuauflage der Veranstaltung „The Great Orchestra of Christmas Charity“ (GOCC) zu verhindern. Das große „Weihnachtsspendenorchester“ treibt landesweit Spenden für Krankenhäuser ein, und wird von jener Stiftung organisiert, die auch für „Woodstock Poland“ verantwortlich ist. Und auch für das größte Outdoor-Musikfestival Europas könnte es eng werden, das Owsiak als Dankeschön für die Ehrenamtlichen des GOCC ins Leben rief.
Warum dieser Widerstand?
Im Laufe seines 24-jährigen Bestehens hat das GOCC mehr als 200 Millionen Euro gesammelt, um für mehr als 650 Neugeborenenstationen in ganz Polen medizinische Ausstattung anzuschaffen. Vieles, was Jerzy Owsiak sagt und tut, passt offenbar nicht ins Konzept der neuen Regierungspartei. Jedenfalls schätzen es einige Beobachter in Polen so ein, dass der Slogan des Festivals „Mach was du willst“ für die neue Regierung nach jenem hedonistischen Lebensstil klingt, gegen den sie sich mit ihrer Politik stellt. Umso mehr dürfte es sie stören, dass Owsiak mit seiner medialen Präsenz einen großen Einfluss auf junge Menschen in Polen hat.
Dieses Jahr fielen die Attacken auf das GOCC besonders bösartig aus. „Wir haben eine Chance alle garstigen Owsiaks und die anderen menschlichen Parasiten loszuwerden,“ schrieb die national-konservativ geprägte Zeitung „Gazeta Polska“ und bediente sich eines Wortspiels, das Owsiaks Namen dem polnischen Wort „owsik“ gleichsetze, was übersetzt „Fadenwurm“ bedeutet. Hinzu kamen mehr oder weniger absurde Anschuldigungen in Richtung Owsiak, etwa dass er für den chinesischen Geheimdienst arbeite. Ein PiS-Abgeordneter, Stanisław Pięta, drohte: „Wenn irgendein Beamter an dem GOCC-Chutzpah („Dreistigkeit“ – Anm. d. Red.) teilnimmt, kann er genauso gut am nächsten Morgen seine Kündigung einreichen.“ Das wiegt schwer, denn über die Jahre haben öffentliche Stellen eine wichtige Rolle bei der Spendensammlung des GOCC gespielt und sie tatkräftig unterstützt.
"Bitte lass uns unseren Job machen. Die Ausrüstung, die wir kaufen, hält Kinder am Leben.“
Jerzy Owsiaks beantwortete den Pieta-Tweet betont unaufgeregt und sachlich: „Ich habe eine Bitte an Mr. Pieta und jeden, der seine Ansichten teilt und unsere Spendenaktion eine Chutzpah nennt: Bitte lass uns unseren Job machen. Die Ausrüstung, die wir kaufen, hält Kinder am Leben.“
Tatsächlich stiegen nach der Drohung des Abgeordneten einige Beamte als Unterstützer des GOCC aus. Doch dann schien es fast, als hätten die Angriffe das Projekt erstmal gestärkt: Das Weihnachtsorchester stellte einen neuen Spendensammel-Rekord auf. Beim 24. „Grand Finale“ waren es gut 4,5 Millionen Euro mehr als im Jahr 2015.
Es geht nicht nur um Musik - und das Herumtollen im Matsch
Nun jedoch könnte die Luft dünn werden für das Festival „Woodstock Poland“, das für die GOCC-Helfer alljährlich als Dankeschön veranstaltet wird. Benannt nach dem legendären amerikanischen Hippiefestival von 1969 fand es 1995 im Zeichen der Befreiung und Demokratisierung Polens zum ersten Mal statt. Seitdem hat es sich prächtig entwickelt: Waren es zunächst 30.000 Besucher, so kamen vier Jahre später schon 200.000 – bis zu dem Zuschauerrekord von 750.000 Menschen im Jahr 2014.
Von Anfang an ging es beim „Woodstock Poland“ nicht nur um Musik (und das Herumtollen im Schlamm), sondern auch um ein Statement für Weltoffenheit. Es gab dort ein „Krishna-Friedensdorf“, ein Fußballturnier namens „Let’s Kick Racism“ oder Vorträge von Intellektuellen, Künstlern, Journalisten und Geistlichen verschiedener Religionen.
Aus der lokalen Bevölkerung hatte es zuweilen Widerstand gegen das Festival gegeben, das immer an verschiedenen Orten stattfindet. Im Jahr 2000 etwa in dem 35.000-Seelen-Städtchen Lębork, wo von einigen Anwohnern ein Komitee zur „moralischen Verteidigung des Dorfs“ initiiert wurde und die lokalen Behörden das Event tatsächlich absagten. Die Festivalbesucher zeigten sich damals unbeeindruckt: Über 1.000 Menschen kamen trotzdem und stellten ein spontanes Rock’n’Roll-Picknick auf die Beine.
Ein Problem seit Jahren: die Sicherheit
Zum Problem könnte für das Festival etwas anderes als das Kulturkampf-Thema „Moral“ werden – auch wenn die Abgeordnete Krystyna Pawłowicz unlängst die Umbenennung in „Satan Woodstock“ vorgeschlagen hat. Die Sicherheit sei das schwierigere Thema, fürchten die Betreiber. Und das hat eine Vorgeschichte. 2006 hat es zwei Todesopfer gegeben und noch 2011 hat die Band „The Prodigy“ mehr Schutzgeländer gefordert.
Gegenwärtig arbeitet die Regierung an einer „Richtlinie zur Organisation von Massenevents“, die Teil eines neuen Anti-Terror-Gesetzes ist. Die Details des Gesetzes sind bisher ebenso unbekannt wie ein Abstimmungsdatum. Umso heftiger wird von den Fans des Festivals derzeit gemutmaßt und geunkt. Da hilft es nicht viel, dass der PiS-Abgeordnete Marek Ast in einem Radiointerview beteuerte: „Es ist nicht unser Ziel, Dinge wie Woodstock zu verhindern“. Aber es könnte dennoch passieren. „Die polnische Gesetzgebung hat sich über die Jahre wegen der EU-Standards insgesamt zum Besseren verändert“, sagt GOCC-Gründer Owsiak. „Aber es gibt eben auch Zeiten, in denen Politiker versuchen, diese Gesetze gegen uns zu verwenden“. Natürlich könnten neue Auflagen für Massenveranstaltungen das Festival sehr behindern oder gar zu seiner Absage führen. Aber bis irgendetwas konkret entschieden ist, gibt sich Owsiak hoffnungsfroh und auch ein bisschen ironisch: „Jüngere Untersuchungen haben ergeben, dass auch unter konservativen Wählern der gesunde Menschenverstand weit verbreitet sei. Obwohl nicht viele von ihnen Rock’n’Roll-Fans sind, befürworten 75 Prozent der Wähler von ‚Recht und Gerechtigkeit’ die Arbeit des GOCC“, sagt er.
Vom 14. bis 16. Juli soll die 22. Ausgabe von „Woodstock Festival Poland“ stattfinden. Jedenfalls wenn es nach Owsiak geht.