Was hat der Klimawandel mit Migration zu tun? Sehr viel, glaubt man den sogenannten Maximalisten. So werden seit den 1980ern die Vertreter eines wissenschaftlichen Ansatzes genannt, der Umweltzerstörung als eine Hauptursache für Flucht beschreibt. Demnach beeinträchtigen Umweltveränderungen die Lebensbedingungen vieler Menschen so sehr, dass sie gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Die Gegenseite, die sogenannten Minimalisten, betont hingegen, dass Migration immer vielschichtige Gründe hat: zum Beispiel Krieg und wirtschaftliche Aussichtslosigkeit.
Ein umstrittener Begriff
1985 führte der Naturwissenschaftler Essam El-Hinnawi den Begriff „Umweltflüchtling“ ein. Der Begriff ist allerdings bis heute umstritten, weil es keine allgemein akzeptierte oder rechtlich festgelegte Definition gibt. Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) berücksichtigt Klimaflüchtlinge nicht. Bisher verlangt die GFK für eine Anerkennung als Flüchtling eine Verfolgung im eigenen Staat wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung. Beim Klimawandel gilt das alles nicht, weil die ganze Bevölkerung betroffen ist und unklar bleibt, vor wem genau die Flüchtlinge denn eigentlich Schutz suchen. Die internationale Staatengemeinschaft debattiert aktuell darüber, das zu ändern.
Trotz der Kontroversen lässt sich aber feststellen: Klimabedingte Ressourcenknappheit kann durchaus erheblich zu Migration und Flucht beitragen, ist jedoch selten der einzige Faktor. Das wird am Beispiel des Krieges in Syrien deutlich, vor dem seit 2011 etwa 5,7 Millionen Menschen geflohen sind. Ab 2006 kam es in der Region zu einer Dürreperiode, was die ohnehin angespannte wirtschaftliche Situation dort verschärfte. Eine Reihe von Missernten trieb Tausende Menschen vom Land in die Städte, wo viele von ihnen keine Arbeit fanden. Die Unzufriedenheit wuchs, mindestens ein Drittel der unter 25-Jährigen waren 2011 trotz guter Ausbildung arbeitslos. Im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings waren viele Syrer bereit, gegen die Verhältnisse in ihrem Land auf die Straße zu gehen. Der Protest, der im März 2011 in der südsyrischen Stadt Daraa stattfand, gilt als der Beginn des Konfliktes, der sich zum Bürgerkrieg entwickelte.
Von Klimaflüchtlingen wird in Zukunft sicher noch zu sprechen sein
Während des Krieges wurde Wasserknappheit sogar als Waffe eingesetzt. 2016 zum Beispiel seien 30 absichtliche Unterbrechungen der Wasserversorgung bekannt geworden, sagt Andreas Knapp vom UNICEF-Wasserprogramm in Syrien. 70 Prozent der Bevölkerung haben lange keinen regulären Zugang zu sauberem Wasser gehabt. Daesh, der sogenannte Islamische Staat, erlangte phasenweise Macht über Wasserinfrastrukturen wie Dämme und Pumpstationen und nutzte sie aus, um Menschen gezielt durch Wasserverknappung zu vertreiben. Die Islamisten konnten dadurch auch einen großen Druck ausüben, weil die Machthaber in Syrien und im Irak es zuvor lange versäumt hatten, eine flächendeckende Wasser- und Energieversorgung aufzubauen.
Dennoch: In Syrien ist die lange Dürreperiode, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf den menschengemachten Klimawandel zurückgeht, eben nur eine von mehreren Ursachen für den Krieg und die daraus resultierende Flucht. Andere Nöte wie Ernährungsunsicherheit, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und ideologische Kämpfe haben eine wichtige Rolle gespielt. Weil die Regierung nicht in der Lage war, die Folgen der Dürre abzumildern, wurde der Klimawandel zum Risikomultiplikator. In erster Linie gelten die 5,7 Millionen Menschen, die Syrien seit 2011 verlassen haben, als Bürgerkriegsflüchtlinge.
Von Klimaflüchtlingen im engeren Sinne wird in Zukunft aber sicher noch zu sprechen sein. Etwa wenn der Meeresspiegel durch den Klimawandel wirklich so stark steigt, dass die Bevölkerung ganzer Südseeinselstaaten zur Flucht gezwungen sein wird.