„Macron ist das kleinere Übel“
Matthias Beaufils-Marquet (26) kommt aus der Normandie und macht gerade ein Praktikum in Berlin. Im ersten Wahlgang hat er für Jean-Luc Mélenchon gestimmt:
Es war für mich schon klar, dass Macron gewählt würde – ich hätte nur nicht gedacht, dass er so viele Stimmen bekommt. Bemerkenswert finde ich trotzdem, wie viele Leute sich enthalten oder ihre Stimmzettel ungültig gemacht haben. Macron muss jetzt also aufpassen, die Leute sind nicht hundertprozentig von ihm überzeugt, auch nicht von seinem Wahlprogramm. Die meisten wollten einfach Le Pen verhindern, so wie ich. Am Wahlabend im April war ich enttäuscht, denn Mélenchon hätte es fast in die Stichwahl geschafft. Aber dann habe ich mir in den darauffolgenden Wochen die Debatten angesehen und festgestellt: Macron ist das kleinere Übel. Der Präsident vertritt das Land international – wie hätte das mit Le Pen bloß werden sollen? Macron hingegen ist ein guter Diplomat, das ist schon gut für Frankreich.
„34 Prozent sind immer noch zu viel“
Pierre-Noël Clauzade (23) hat an der Uni Sciences Po in Paris studiert und sich im Wahlkampf für die Parti Socialiste (PS) und Benoît Hamon engagiert:
Uff, ich bin vor allem unglaublich erleichtert, dass Marine Le Pen so deutlich verloren hat. 34 Prozent sind immer noch zu viel, aber letzte Woche habe ich mir angesichts der Umfragen große Sorgen gemacht, dass sie über 40 Prozent kommen könnte. Gegen die extreme Rechte müssen wir alle zusammenhalten. So wie 2002, als Jacques Chirac gegen Jean-Marie Le Pen in der Stichwahl war. Deshalb kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass so viele Leute gar nicht gewählt oder ungültige Stimmzettel abgegeben haben. Es ist falsch, seine Stimme so zu verschenken. Nach der Wahl ist aber auch vor der Wahl: Nur noch ein Monat und vier Tage, dann wird die Nationalversammlung gewählt. Wir als PS müssen jetzt darum kämpfen, möglichst viele Menschen zu überzeugen und so ein möglichst sozialistisches Parlament zu bekommen. Denn Macron braucht die Abgeordneten, um zu regieren. Da können wir auf ihn Einfluss ausüben. Wir teilen mit ihm zwar grundsätzliche Werte und die Idee einer offenen Gesellschaft, aber seine Wirtschaftspolitik halte ich für falsch und zu sehr an den Interessen der Unternehmen orientiert. Da müssen wir die Rechte der Arbeitnehmer verteidigen.
„Ich wünsche mir, dass Frankreich den Kampf gegen den Rechtspopulismus in Europa ab sofort anführt“
Paul Fleurance (22) hat für Emmanuel Macron Wahlkampf gemacht und freut sich natürlich über den Sieg seines Kandidaten:
Für mich gibt es heute Abend zwei ganz wichtige Dinge. Das eine ist: Wir sind natürlich sehr stolz auf das, was uns da gelungen ist. Als ich mich vor einem Jahr „En Marche“ angeschlossen habe, hat uns die Öffentlichkeit noch sehr skeptisch beäugt. Und nun haben wir tatsächlich die Wahl gewonnen! Und das andere ist: Verantwortung. Noch nie zuvor hat der Front National so viele Stimmen bekommen. Wir müssen jetzt sehr große Anstrengungen unternehmen, um unser Land zu reformieren. Nur indem wir das tun und den Menschen so wieder Hoffnung geben, können wir gegen diese rechtsextreme Partei auf Dauer etwas ausrichten. Ich wünsche mir, dass Frankreich den Kampf gegen den Rechtspopulismus in Europa ab sofort anführt. Macron hat die nötigen Fähigkeiten dazu. Der wichtigste Schritt in den kommenden Tagen wird sein, eine Mehrheit in der Nationalversammlung zu organisieren. Die brauchen wir, um diese Politik so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen – mit Unterstützung der Parteien aus dem Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Spektrum. Wobei wir natürlich darauf setzen, dass einige Politiker auch ihre angestammten Parteien verlassen und sich „En Marche“ anschließen werden.
„Beide Wahlmöglichkeiten waren schrecklich“
Camille Chevalier (21) studiert an der Universität Sciences Po in Paris und hat sich im Wahlkampf für François Fillon, den Kandidaten der Republikaner engagiert:
Beide Wahlmöglichkeiten waren schrecklich. Aber der Front National hätte Frankreich in wenigen Monaten in ein Chaos verwandelt. Deshalb habe ich schweren Herzens im zweiten Wahlgang für Macron gestimmt. Dennoch wundert es mich, dass Frankreich mit ihm den früheren Wirtschaftsminister von François Hollande zum neuen Präsidenten gewählt hat. Und obwohl Hollande in den Umfragen ganz unten stand, wählen viele einen Mann, der von denselben Ministern und politischen Partnern unterstützt wird. Aber die Präsidentschaftswahlen bestehen eigentlich aus vier Runden: Macron hat zwar die ersten beiden Runden gewonnen, doch mit den Parlamentswahlen gibt es schon im Juni die nächsten beiden. Unser Ziel ist nun, uns darauf zu konzentrieren und zu versuchen, dass die Republikaner diese Wahlen gewinnen, damit wir zusammen mit Emmanuel Macron eine Cohabitation (Regieren in einer Art Koalition, in der Präsident und stärkste Parlamentsfraktion unterschiedlichen Parteien angehören, Anm. d. Red.) bilden.
Titelbild: Xavier POPY/REA/laif