Pamela Webber ist seit 17 Jahren im Silicon Valley unterwegs. Von den groß gewordenen Start-ups kennt sie viele: Sie hat bei Ebay gearbeitet und bei PayPal. Zwischendurch hat sie ein kleines E-Commerce-Unternehmen gegründet, aktuell ist sie Marketingchefin beim Design-Marktplatz 99designs. Die Frage, warum es so wenige Frauen in der Start-up-Szene gibt, ist für sie einfach zu beantworten: „Die meisten Tech-Firmen werden von Entwicklern gegründet. Da die meisten Entwickler Männer sind, gibt es hier schon mal grundsätzlich mehr männliche Gründer.“
Gräbt man eine Schicht tiefer, stellt sich die Frage, warum auch im hippen Silicon Valley die meisten Entwickler Männer sind – es also keinen Unterschied gibt zu anderswo. Und das, wo man hier doch geldschwere Investoren nebenan im Café trifft und sich angeblich jeder unabhängig von Herkunft und Geschlecht den amerikanischen Traum erfüllen und groß rauskommen kann.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es in den USA vor allem Frauen, die programmierten: Softwareentwicklung galt als Frauenberuf
Die Antwort, dass „Computer-Zeugs“ eben seit jeher eine Männerdomäne sei, führt nicht weiter und ist davon abgesehen falsch. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es in den USA vor allem Frauen, die programmierten: Softwareentwicklung galt als Frauenberuf. So entwickelte zum Beispiel die Mathematikerin und Physikerin Grace Hopper den ersten Compiler (A-0): ein Programm, das Quellcode (Programmcode in für Menschen lesbarer Form) in Maschinencode übersetzte.
Margaret Hamilton schrieb maßgeblich an der Flugsoftware für die Apollo-Mission mit, mit der das Raumfahrt-Team – trotz mehrerer plötzlich auftretender Computerwarnungen – sicher auf dem Mond landen konnte. Als viel interessanter wurde nach den Kriegsjahren jedoch die Entwicklung von Hardware empfunden, hier waren die Männer zu finden.
Die Gründe liegen tief in der Gesellschaft
Heute ist von dieser Geschlechterverteilung nichts mehr zu merken – auch nicht im Silicon Valley. Seit einigen Jahren veröffentlichen viele große Tech-Unternehmen wie Facebook und Google Statistiken zur Diversität in ihrer Firma. So hatte Apple seinem „Diversity Report 2017“ zufolge mit 23 Prozent Frauen in den technischen Berufen noch den höchsten Frauenanteil. Bei Google waren es 20 Prozent, bei Facebook 19 Prozent. Viel ist das nicht. Dabei legen sich gerade die großen Tech-Unternehmen ins Zeug, das zu ändern – zum Beispiel, indem sie mehr bezahlten Mutterschutz anbieten als in den USA rechtlich vorgesehen. Unternehmen wie Google beklagen, dass sie trotz großer Bemühungen wenig weibliche Mitarbeiter finden. Tatsächlich gibt es in den technischen Studiengängen wie Informatik kaum Frauen, die sich anschließend bewerben könnten. Während 1984 in den USA noch 37 Prozent der Informatik-Studierenden Frauen waren, ist der Prozentsatz danach kontinuierlich abgefallen und hält sich nun bei 18 Prozent. Irgendetwas scheint Frauen davor abzuschrecken, Teil der Silicon-Valley-Tech-Welt werden zu wollen.
Die Engländerin Hermione Way glaubt, dass die Weichen schon in der Kindheit gestellt werden. Way war sieben Jahre lang im Silicon Valley unterwegs. Als Journalistin, Gründerin von WayMedia und frühere Angestellte beim Mobile-Dating-Dienst Tinder hat sie tiefe Einblicke in die Strukturen gewonnen. Ein Teil des Problems läge aber sicher außerhalb des Silicon Valley, tief verwurzelt in unseren Gesellschaftsstrukturen. Das ginge schon bei der Erziehung los: Mädchen bekämen Puppen geschenkt, Jungs Werkzeugsätze. Ein echter Vorteil für Männer, weil sie so früh lernen, Probleme zu analysieren und anzugehen: „Das ist gerade in der Tech-Industrie zentral.“
Und noch etwas käme hinzu: Wer keine Investoren überzeugen kann, schafft den Sprung zum Unternehmer meist nicht. Aber auch hier gilt: „Die meisten Risikokapitalgeber in der Tech-Industrie sind männlich. Das führt zu einem Dominoeffekt, weil Menschen in Menschen investieren, die ähnlich sind wie sie selbst. Deshalb gehen die meisten Finanzierungen an Männer.“ Damit verbunden ist der Netzwerkeffekt. Ob jemand Risikokapital erhält, sei stark vom eigenen Netzwerk abhängig und den „Normen“, die in dieser Gruppe gelten. Pamela Webber hat erlebt, dass es für Minderheiten schwierig ist, bei Netzwerktreffen und bestimmten Aktivitäten wirklich hineinzukommen – Minderheiten wie zum Beispiel Frauen. Klassische Netzwerkaktivitäten wären zum Beispiel: Golf, Zigarren- und Whisky-Tastings „Das heißt natürlich nicht, dass Frauen diese Dinge nicht mögen können“, sagt Webber. „Ich bin aber überzeugt, wenn die Männer uns dabeihaben wollten, würden sie etwas anderes machen.“
Der Silicon-Valley-Sexismus
Auch die Arbeitsbedingungen im Silicon Valley sind nicht so rosig, wie Google und Co. das gerne suggerieren. Wie sieht es wirklich aus mit der Work-Life-Balance? Viele der Tech-Firmen bieten zwar flexible Arbeitszeiten an. Trotzdem wird erwartet, dass Mitarbeiter für den Job leben und das in Arbeitsstunden ausdrücken. Dafür ködern die Unternehmen ihre Angestellten mit Sterne-Köchen, gigantischen Müsli-Bars, Sport- und Freizeitangeboten. Viele Frauen mit Kindern oder Kinderwunsch haben trotzdem keine Lust, ihr Leben auf dem Google- oder Facebook-Campus zu verbringen. Auch wenn sie die Kinder da in der Kita abgeben könnten. Katharine Jarmul, die jahrelang als Entwicklerin im Silicon Valley arbeitete, sagte der „Zeit“: „Anstatt jene zu fördern, die den kreativsten Zugang haben, werden häufig die bevorzugt, die am meisten vor Ort sind, und das sind üblicherweise Singlemänner.“
Und dann ist da noch die Sache mit dem Sexismus. Der macht auch vor den Toren des Silicon Valley nicht halt, egal wie fortschrittlich die Branche sich gern gibt oder selbst sieht. Anfang 2017 berichtete die Informatikerin Susan Fowler vom offenen Sexismus beim Fahrdienst-Start-up Uber und der kaum zu glaubenden Machokultur im Unternehmen. Die Vorwürfe reichen von vermeintlichen Kleinigkeiten wie der, dass das Unternehmen allen männlichen Mitarbeitern Lederjacken spendierte, während die Frauen leer ausgingen, bis hin zu Aufforderungen zum Sex mit Vorgesetzten. Erst durch das Interesse der Öffentlichkeit folgten Konsequenzen.
Ein Google-Mitarbeiter rückte ins öffentliche Interesse, weil er davon sprach, dass Frauen lange Arbeitstage schlechter aushalten könnten
Im Herbst rückte ein Google-Mitarbeiter ins öffentliche Interesse, weil er in einem Memo davon sprach, dass Frauen lange Arbeitstage schlechter aushalten könnten als ihre männlichen Kollegen und überhaupt weniger Kampfgeist besäßen, um in höhere Positionen aufzusteigen. Auch in puncto Gehalt machen sich solche Ansichten bemerkbar: Laut einer Analyse vom Online-Rekrutierungsdienst Glassdoor sind die Gehaltsunterschiede, der sogenannte Gender-Pay-Gap, zwischen Männern und Frauen in technischen Berufen wie Programmierer und Spieleentwickler am größten.
Was Frauen in der Silicon-Valley-Welt in puncto Sexismus noch so erleben, zeigt die Studie „Elephant in the Valley“ auf. Sie wurde schon 2015 von sieben Silicon-Valley-Frauen in Auftrag gegeben, 210 Frauen nahmen teil. Viele von ihnen arbeiten in führenden Positionen bei Start-ups und Tech-Unternehmen. Von den Befragten berichten 60 Prozent von sexuellen Annäherungen ihrer Vorgesetzten und Kollegen. Viele beklagen Diskriminierung in Bezug auf ihre Aufgaben: Die einzige Frau in der Runde wird wie selbstverständlich gebeten, das Protokoll zu führen, Kunden fragen nach männlichen Kollegen, obwohl sie bei der Zuständigen für ihr Anliegen gelandet sind, Kollegen stellen indiskrete und vor allem unzulässige Fragen zur Familienplanung – oft passiert das schon im Vorstellungsgespräch.
Die Entwicklerin Jarmul war vor allem genervt von indirekten Formen des Sexismus: wenn Männer ihr einfach unterstellten, dass sie gerade erst mit dem Programmieren begonnen habe. Wenn sie ihr ständig ins Wort fielen oder ihr den Job erklärten, den sie seit zehn Jahren machte. Erfahrungen wie diese machen Frauen wenig Lust, Teil der Tech-Welt im Silicon Valley zu werden – oder sie verlassen sie wieder. So wie Jarmul, die sich als Beraterin für „Data Science“ selbstständig machte und mittlerweile in Berlin lebt.
Immer mehr Frauen begehren auf
Immerhin, die aktuelle Debatte und die zwar wenigen, aber doch vorhandenen Frauen im Silicon Valley machen Mut: Immer mehr begehren gegen sexistisches Verhalten auf und wollen etwas verändern. Und sie verbünden sich: zum Beispiel mit der 2016 gegründeten Organisation TechEquity Collaborative, die gegen verschiedene Formen von Ungleichheit und Ausgrenzung im Silicon Valley kämpft. Auch das Non-Profit-Unternehmen Project Include hat die Mission, „jedem die faire Chance zu ermöglichen, im Tech-Bereich erfolgreich zu sein“. Verschiedene erfolgreiche Silicon-Valley-Frauen, darunter Ellen Pao, wollen mehr Vielfalt in die Tech-Industrie bringen. Daneben gibt es Zusammenschlüsse wie „Women Who Code“, „Black Girls Code“ oder „Girl Geek Dinners“. Die Hoffnung ist, dass solche Projekte Frauen in einer männerdominierten Industrie stärken, fördern und mit geballter Power bisherige Normen verändert werden. Ausreichen wird das zwar nicht, um festgesetzte gesellschaftliche Rollenbilder aufzulösen. Aber es ist ein Anfang und hilft immerhin, die Frauen zu halten, die sich schon auf die Silicon-Valley-Tech-Welt eingelassen haben.
Wenn es um Gleichberechtigung geht, hat das Silicon Valley übrigens noch einige offene Baustellen. Nicht nur Frauen sind in der kalifornischen Tech-Welt unterrepräsentiert. Von den Angestellten der 75 führenden Unternehmen sind zum Beispiel nur drei Prozent schwarz.
Fotos: Laura Morton