Krieg ist immer auch ein Krieg der Worte. Die eigene Partei glorifizieren, den Gegner verächtlich machen – diese Praxis ist so alt wie der Krieg selbst. Selten aber waren Worte so wichtig wie heute, da sich terroristische Milizen im Nahen Osten und nördlichen Afrika selbst „Islamischer Staat“ (IS) nennen. Denn diese Bezeichnung ist gleich doppelt falsch. Eine überwältigende Mehrheit der Muslime möchte nicht mit den Verbrechen dieser Milizen in Verbindung gebracht werden. Und: Das soll ein Staat sein? Warum tun wir barbarischen Schlächtern trotzdem den Gefallen, sie „Islamischer Staat“ zu nennen?

Auch hat auch das, was sich heute so nennt, in der Vergangenheit sehr oft seinen Namen geändert. Anfang des Jahrtausends sammelten sich die Terroristen unter dem Namen Jama’at al-Tawhid wa-Jihad (JTJ), was so viel wie „Organisation für Monotheismus und Dschihad“ bedeutet – und ab 2004 de facto ein Zweig von Al Qaida im Irak war. 2006 ging diese Organisation zusammen mit anderen Gruppen von sunnitischen Aufständischen im Dachverband des „Mujahideen Shura Council“ (MSC) auf, bevor dieser „Rat der heiligen Kämpfer“ Mitte Oktober 2006 den „Islamischen Staat im Irak“ (ISI) ausrief. Die Milizen hatten ihre Aktivitäten bereits auf den syrischen Bürgerkrieg ausgeweitet, als sie sich am 8. April 2013 erneut umbenannten in „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS) beziehungsweise „Islamischer Staat im Irak und der Levante“ (ISIL).

Den Namen stets den politischen Bedürfnissen angepasst

Ende Juni 2014 schließlich rief der Milizenführer Abu Bakr al-Baghdadi ein weltweites Kalifat aus – ein Verweis auf jene Einheit aus politischer und religiöser Regierung in der Nachfolge des Propheten, die offiziell erst 1924 mit dem endgültigen Untergang des Osmanischen Reiches zu Ende gegangen ist. In allen offiziellen Botschaften war von nun an nur noch von einem „Islamischen Staat“ (IS) als Reich aller Reingläubigen die Rede.

Die Gruppe hat ihren Namen stets den politischen Bedürfnissen angepasst und darin ihren jeweiligen Anspruch zur Geltung gebracht. Wer das Kürzel „IS“ benutzt, ist der terroristischen Propaganda bereits auf den Leim gegangen. Ein Grund für dieses Dilemma ist unsere Gewohnheit aus friedlichen Zeiten, bei Organisationen oder Marken den Namen zu verwenden, den sie sich selbst geben. Aber enthält ein „Balisto“ wirklich viele Ballaststoffe, wie der Name suggeriert? Und ist die „Alternative für Deutschland“ (AfD) wirklich eine Alternative für Deutschland?

„Für Propaganda dürfen sich die Medien nicht hergeben“

Der Name ist also alles andere als eine Nebensächlichkeit. Gerade angesichts der entsetzlichen Taten des „IS“ sollten westliche Medien darum bemüht sein, objektiv zu bleiben. Zumal die Welt vom „IS“ ohnehin hauptsächlich nur das erfährt, was der „IS“ die Welt über seine Kommunikationskanäle wissen lässt. In einer Rede auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes erklärte unlängst der Experte und Journalist Yassin Musharbash („Die Zeit“): „Wir sind Berichterstatter“, für Erzählungen oder Gegen-Erzählungen – also für Propaganda dürften die Medien sich nicht hergeben.

Nehmen wir den Begriff „IS“ also behutsam auseinander. Ist der „Islamische Staat“ islamisch? Und ist er ein Staat?

Mit dem Islam hat der „IS“ nur insofern zu tun, als er diesen politisch instrumentalisiert und höchstens eine extrem orthodoxe Zuspitzung dieser Religion darstellt – in radikaler Abgrenzung nicht nur von Ungläubigen, sondern auch von der Mehrheit aller gläubigen Muslime. Zwar fordert der „Kalif“ die Gefolgschaft der kompletten und in sich höchst fragmentierten muslimischen Weltgemeinschaft ein. Tatsächlich folgen seinem Ruf – neben professionellen Gotteskriegern aus anderen Kriegsgebieten – vor allem verwirrte junge Menschen, auch aus westlichen Ländern.

Es geht ihnen nicht um Spiritualität und Sinnsuche

In einem Gespräch mit der „FAZ“ erklärt der Politologe Asiem El Difraoui diesen Zulauf mit psychologischen und familiären Problemen. Den jungen Menschen gehe es „gar nicht darum, Muslim zu werden und in der Spiritualität des Islams auf Sinnsuche zu gehen. Sondern man wird gleich Dschihadist.“ Diese Abkürzung in den Radikalismus entbindet sie demnach von der Mühe, sich ernsthaft mit dem metaphysischen System der Religion auseinanderzusetzen. Laut El Difraoui kommen die Verführer gerade orientierungslosen Jugendlichen noch entgegen, indem sie „die dschihadistische Ideologie mit Elementen europäischer Jugendkultur“ durchsetzen. Das können Schlachtrufe sein, ein martialischer Schick oder einfach das Gefühl, für eine „richtige“ Sache zu kämpfen. Eine radikalere Opposition gegen den Leistungs- und Konformitätsdruck westlicher Gesellschaften ist kaum denkbar.

Demnach wäre es schon falsch, bei einem Attentäter von einem „islamistischen Terroristen“ zu sprechen. Es handelt sich beim „Gotteskrieger“ um einen Verbrecher mit radikalen Methoden und Zielen, das schon. Wer dessen Taten aber im Einklang mit den Geboten des Islam sieht, folgt damit dem rhetorischen Programm des „IS“.

„Terrorist“ reicht völlig, jedes weitere Wort spielt ihnen in die Hände

Es mag sein, dass der religiöse Wahn der eigentlichen Befehlsgeber und Drahtzieher authentisch ist. Unser Zugeständnis, sie handelten „im Namen Allahs“, haben sie sich damit jedoch nicht verdient. Im Gegenteil. Eine Wendung wie „islamistischer Terrorist“ ist keine Verkürzung, sondern eine irreführende Verlängerung und damit Vernebelung des Sachverhalts, zumal damit immer noch ein sprachlicher Bogen zum Islam geschlagen wird. „Terrorist“ reicht völlig, jedes weitere Wort würde ihm in die Hände spielen.

Ähnlich problematisch ist der „Staat“ in „Islamischer Staat“. Der „IS“ hat auf seinem Territorium das, was man ein „Staatsvolk“ nennt, acht Millionen Menschen sollen es sein. Und obgleich sein „Staatsgebiet“ einem Flickenteppich gleicht, erhebt er dort Steuern, sorgt für Strom und volle Märkte, gewährleistet ein Gesundheitswesen, spricht Urteile, fördert und verkauft Rohstoffe. Experten wie der Politologe Volker Perthes sprechen dem „IS“ die Staatlichkeit daher nicht ganz ab. Perthes spricht von einem „dschihadistischen Staatsbildungsprojekt“. Es handele sich um einen totalitären Staat im Entstehen, der ganz auf Expansion angelegt ist. Eine zentrale Stelle in seiner Ideologie nimmt, noch vor der angestrebten Weltherrschaft, die Apokalypse ein – der heilige, endzeitliche Krieg. Ob ein solches Gebilde trotz einiger Parallelen zum modernen weltlichen Staatsgebilde aber „Staat“ zu nennen ist, darf bezweifelt werden.

„Es ist ein Hohn auf Staat und Islam, was IS da betreibt“

Wie also sprachlich umgehen mit der Zumutung des „Islamischen Staates“? Ist es ein „sogenannter islamischer sogenannter Staat“? Fest steht, dass wir ihm einen Gefallen tun, wenn wir ihn weiter „IS“ nennen – mit oder ohne „sogenannt“, mit oder ohne Anführungszeichen. Wir würden die Terroristen auch kaum „LFFM“ nennen, tauften sie sich morgen in „Liga für Freiheit und Menschenrechte“ um.

Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime in Deutschland würde sich gerne mit „Antimuslimischer Staat“ behelfen, denn es sei „ein Hohn auf Staat und Islam, was IS da betreibt“. Eine bessere Lösung könnte „Daesh“ sein, ausgesprochen: Da-esh. Das Wort geht auf die Übersetzung von „ISIL“ zurück (Al-Daula al-Islamija fi-l-Irak wa-l-Scham) und erinnert an die arabische Umschreibung von „Zwietracht säen“.

Die Extremisten treffen, wo es ihnen schmerzt: in ihrem Selbstverständnis

Einer Karriere dieses Namens stand bisher nur die Trägheit westlicher Medien im Weg. Nach den Anschlägen von Paris ging es ganz schnell, seitdem verwenden die französische Regierung und auch US-Behörden offensiv nur noch: Daesh. Um unbescholtene Anhänger des Islam nicht automatisch „mitzumeinen“. Und um die Extremisten dort zu treffen, wo es sie wirklich schmerzt: in ihrem Selbstverständnis.

Im Herrschaftsbereich der Milizen ist es streng verboten, von Daesh zu reden. Wer es dennoch tut, dem wird nach Angaben der Nachrichtenagentur Associated Press die Zunge abgeschnitten.