Ich habe die Uni in England 1992 abgeschlossen, mitten in einer Wirtschaftskrise, oder sagen wir: in dem, was man früher dafür hielt. Ein Jahr später fuhr ich mit drei gleichaltrigen Freunden übers Land, und im Radio lief ein Song, der unser Lebensgefühl ziemlich gut auf den Punkt brachte: „I’m a loser baby, so why don’t you kill me?“ Wir waren sofort wie elektrisiert. Da sang also ein verarmter Leidensgenosse darüber, wie es sich anfühlt, wenn man es einfach nicht schafft, erwachsen zu werden. Nach einer Minute sangen wir alle mit Beck im Chor.

Verglichen mit der heutigen Krise erscheint einem 1992 wie eine rosige Zeit. Momentan wächst eine Generation von jungen Menschen heran, die die beste Ausbildung aller Zeiten haben und dennoch keine Arbeit. Die Anzahl der Unbeschäftigten ist in vielen europäischen Ländern erschreckend. Klar, irgendwann wird es mal wieder besser, aber womöglich nicht für diese Loser. Manche werden ihr Leben lang darunter leiden, ausgerechnet in einer Wirtschaftskrise von der Uni gekommen zu sein.

Die aktuellen Zahlen sind erschreckend. Deutschland ist mit seiner Arbeitslosenrate von acht Prozent bei den 15- bis 24-Jährigen noch der Himmel, in Griechenland sind es über 57 Prozent. In vielen westlichen Industrieländern ist es derzeit ebenso schwierig, einen Job zu finden, wie in Schwarzafrika. Und damit reden wir nur über die Arbeitslosen: Man könnte noch all die jungen Menschen dazuzählen, die trotz bester Abschlüsse Praktikum um Praktikum absolvieren, ohne Geld dafür zu bekommen, oder für ein paar Euro in Cafés die Tische abwischen und Bier zapfen.

Diese europäische Generation steckt fest zwischen Kindheit und Erwachsensein. Kaum jemand schafft es nach Schule und Uni, die nächsten Schritte zu tun: einen Job zu finden, der seinen Qualifikationen entspricht, eine Familie zu gründen, eine Wohnung zu kaufen. Kein Wunder, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO von einem dramatischen Anstieg psychischer Krankheiten in dieser Altersgruppe berichtet: Zehn bis 20 Prozent würden an Depressionen, Angstzuständen, Essstörungen oder autoaggressivem Verhalten leiden.

Plötzlich müssen die Jungen einsehen: Ups, da kommen schon die noch Jüngeren

Am Anfang der Krise richtete sich die Aggression noch gegen die Politiker und Manager, die für die Fehlentwicklung verantwortlich gemacht wurden. Man engagierte sich bei Attac, unterstützte die Occupy-Wall-Street-Initiative und besetzte öffentliche Plätze. Heute sind die Straßen wieder leer. Viele Demonstranten haben resigniert. Vielleicht sitzen sie zu Hause vor dem Computer und pflegen ihre Facebook-Seiten. Heute ist es einfach, sich von der Not abzulenken, sich virtuell zu betäuben.

Auf lange Sicht sind die Perspektiven für diese verlorene Generation düster: Mal abgesehen von ein paar Wagemutigen, die Start-ups gründen oder auf andere Ideen kommen, werden es die meisten schwer haben, ein erfülltes Leben zu leben. Normalerweise ist das Beste, was man nach dem Studium machen kann, zu tun, was man will und worauf man Lust hat. Doch heutzutage gibt es etliche Absolventen, die nach der Universität einen Haufen Schulden haben. Dazu hat auch die Bologna-Reform beigetragen. Die verkürzten Studien sind teilweise so verschult, dass kaum Zeit für einen Studentenjob bleibt. Deshalb müssen viele nach dem Studium alle möglichen Jobs machen, um ihre Schulden abzubezahlen. Jobs, die meist wenig mit ihrer Qualifikation zu tun haben und die sie auch nicht weiterbringen. Wer aber mit Ende 20 nur Aushilfsarbeit in seiner Vita vorzuweisen hat, wird es noch schwerer haben, seinen Traumjob zu finden. Jüngere, die ihren Abschluss während der wirtschaftlichen Erholung machen können, ziehen vorbei. Studien belegen, dass Menschen, die in Rezessionen auf den Arbeitsmarkt kommen, über Jahrzehnte eine Hypothek mit sich herumschleppen. Lisa Kahn von der Yale School of Management bewies mit einer Untersuchung der Lebensläufe von Studenten, die während der Wirtschaftskrise Anfang der 80er Jahre ihren Abschluss machten, dass sie noch 15 Jahre später weniger Einkommen und weniger attraktive Jobs hatten als eine Vergleichsgruppe von Studenten, die ihre Karriere in guten Jahren starteten. Ich habe dieselbe Beobachtung bei meinen Altersgenossen gemacht, die mit mir 1992 die Uni verließen. Sie alle haben Arbeit, aber niemand von ihnen seinen Traumjob.

Die Krise wird eines Tages enden. Aber dann wird es für viele zu spät sein.

Simon Kuper ist unter anderem Autor für „The Guardian“ und die „Financial Times“ in London