In Filmen wird unentwegt gereist. Der Film selbst ist ein touristisches Medium, man schaut mal vorbei im Leben anderer Leute – warum nicht dasselbe vor exotischer Kulisse? Noch vor dem Roadmovie der 1960er, das das Reisen selbst zum Thema machte, zog vor allem Hollywood mit diesem touristischen Blick in die Welt. Im alten Europa hatten die USA gerade einen Krieg gewonnen, also ging Gregory Peck nach Rom und gewann in "Ein Herz und eine Krone" (1953) das Herz von Audrey Hepburn; Hitchcock fand seinen Thrill "Über den Dächern von Nizza" (1955), der gesamte Mittelmeerraum wurde, von einheimischen Regisseuren wie Fellini oder Rossellini längst erkundet, zur Sehnsuchtsmetapher des Dolce Vita. Aber auch der nahe Osten war nicht tabu, an Schauplätzen wie Kairo oder Istanbul wurde die ganze Welt zum orientalischen Basar. Die amerikanische Neugier mit ihrem grenzenlosen Optimismus berauschte sich an den kolonialen Hinterlassenschaften, mit der Kamera konnte der westliche Blick hier noch immer eindringen und fand, was das Herz begehrt.

Dieses Sightseeing-Kino mit seinen Stereotypen wird es immer geben. Woody Allen ("Vicky Cristina Barcelona", 2008) hat sogar eine zweite Karriere daraus gemacht. In der Heimat ungeliebt, bereiste er als Regie-Globetrotter London, Paris und Rom und fand damit späte Anerkennung, vielleicht sogar ein bisschen Glück. Ist es das, was die Filmreisenden suchen?

Abhauen und verschwinden

Seit den 1990ern suchen sie noch etwas anderes. Und – das ist neu – sie scheitern daran. "Thelma & Louise" (1991), von dem der britische Autor Mark Simpson schreibt, Ridley Scott habe die 90er damit erfunden, ist ganz klassisches Road Movie. On the road, wie im Romanklassiker von Jack Kerouac, befreien sich die Heldinnen von ihren gesellschaftlichen Rollen als Ehefrauen, vom Zwang zum Konsum, der dem Reisen stets innewohnt, und damit auch von sich selbst. Doch der Freiheitsdrang, die Selbsterfindung als freie Individuen endet in der freiwilligen Selbstzerstörung, dem Sprung über die Klippe als ultimativem Protest gegen gesellschaftliche Fesseln, die es anders gar nicht zulassen. Damit war die Marke gesetzt.

Der Basar der Begehrlichkeiten

Einer wie Richard, der vollmundige Thailand-Tourist in "The Beach" (2000), weiß es nur noch nicht. Gespielt vom jungen Leonardo DiCaprio, sucht er nach dem einsamen Paradies als dem letztmöglichem Kick, und findet die Hölle in sich selbst. Danny Boyles vielgescholtene Romanverfilmung, der Backpacker-Film schlechthin, hat viel gemein mit Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now" (1979) – Coppolas wuchtiger Vietnamfilm, in dem das Reisen zum Krieg wird und umgekehrt, nach Motiven von Joseph Conrads Buch "Herz der Finsternis". Tatsächlich scheint der Fall des Eisernen Vorhangs um 1990 einen Pessimismus freigesetzt zu haben, der nach dem Vietnamkrieg in den 70ern noch Episode blieb. Jetzt, da die ganze Welt scheinbar offenstand, erwies sich gerade dieser Traum als Illusion. Jenseits der Trampelpfade offenbarte sie ihr finsteres Herz, ob in Südostasien oder im nahen Osten, wo selbst ein James Bond sich nicht mehr so frei bewegen konnte wie zuvor noch ein Indiana Jones – der Basar der Begehrlichkeiten war geschlossen, ein für allemal.

Das heißt, er hat unter anderen Bedingungen wieder aufgemacht. In "Same Same But Different" (2009), eine "The Beach"-Version von Detlev Buck, stößt der junge Abenteurer aus Deutschland in Kambodscha auf die düstere Wahrheit von Armut, Ausbeutung und Sextourismus. Es sind Folgen der Globalisierung, mit denen sich zuletzt auch Dokumentarfilmer wie Michael Glawogger ("Whore's Glory", 2011) und Ulrich Seidl ("Paradies: Liebe", 2012) auseinandersetzten. Das Reisen hat seine Unschuld verloren.

Nur Filmemacher, die selbst Exoten sind wie Wes Anderson, glauben noch an die heilende Kraft des Reisens. In "Darjeeling Limited" (2007), sicher einer der schönsten Reisefilme der letzten Zeit, finden drei verfeindete Brüder auf ihrem Indien-Trip das, was jeder Tourist dort sucht: Erleuchtung. Das hätte ihnen auch bei Woody Allen passieren können, doch Andersons Ironie ist melancholischer und feiner: Der Weg zum inneren Buddha führt über jede Menge bewusstseinserweiternder Substanzen – ein Klischee hebt das andere auf.

Einfach leben …

Der emblematische Reisefilm der letzten Jahre ist dagegen todernst, doch auch in "Into the Wild" (2007) führt der Weg nach innen. In den Weiten Alaskas sucht der Aussteiger Christopher, nach dem realen Vorbild Christopher McCandless, nicht einfach Freiheit oder Glück, sondern "die Wahrheit". Der Weg ist das Ziel, natürlich, doch Regisseur Sean Penn pflastert ihn mit Ambivalenzen: Christopher findet die Wahrheit in einem alten stillgelegten Bus, einsames Zivilisationszeichen im Nichts, der ihm zur letzten Zuflucht wird. Er stirbt an einer giftigen Pflanze, verliert den Kampf mit der Natur, mit der er doch eins werden wollte. Eine Selbstauslöschung, aber gänzlich unfreiwillig, eher das Resultat einer selbstverliebten Innerlichkeit. Die Jungs aus "Y tu mamá también – Lust for Life" (2001), dem mexikanischen Roadmovie, wussten es besser: "Die Wahrheit ist cool, aber unerreichbar". Denn so ist das eben. Durch seine Anwesenheit zerstört der Reisende das, was er sucht; und findet er es doch, ist es zu spät. Reisen bildet, aber es ist bisweilen auch verdammt gefährlich.