Das Heft – Nr. 68

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Vienna calling

Wien ist schon lange ziemlich smart, auch ohne das Label von der „Smart City“. Vielleicht sollte man daher auch dort schauen, wie Daten Städte noch lebenswerter machen können

Es gibt zwei Arten, zu erfahren, was Menschen in einer Stadt so machen. Man kann möglichst viele Kameras an Fassaden schrauben und überall Sensoren installieren, die das Leben aufzeichnen – man kann aber auch einfach mal mit den Menschen sprechen.

In Wien spricht man sehr gern, sowohl miteinander als auch übereinander: Der Wiener Schmäh hat es sogar zum weltbekannten österreichischen Kulturgut geschafft. Dabei ist das Gesagte nicht ganz ernst gemeint, aber eben doch ein bisschen.

Auch die Stadt spricht mit den Bürgern. Unter dem Motto „Wohnpartner unterwegs“ fahren Mitarbeiter der Stadtverwaltung mit dem Rad herum, um die Menschen in den städtischen Wohnungen nach ihren Problemen zu fragen. Wo fehlt es an Möglichkeiten für Jugendliche, sich zu treffen, wie läuft das neue Nachhilfeangebot, und wird das neue Hofcafé auch wirklich genutzt? Auch mithilfe der App „Sag’s Wien“ kann man jederzeit Wünsche und Klagen loswerden. Und auf die Mülleimer hat man in Wien Telefonnummern geklebt. Falls mal einer zu sehr stinkt.

Was Wien macht, läuft anderswo unter dem Label Smart City: Daten sammeln und dadurch die Stadt lebenswerter machen. „Ich war neulich wieder auf einer Veranstaltung zu dem Thema, und alle sprachen ständig nur von Nutzern. Für mich aber geht es um Bürger. Das Soziale ist wichtiger als die Effizienz“, sagt Thomas Madreiter, sogenannter Planungsdirektor der Stadt. Wien will nicht nur Daten von den Bürgern, sondern gibt ihnen selbst welche. Im Rahmen der Open Data Initiative können Bürger auf einer Website alle möglichen Zahlen zum Leben in der Stadt abrufen.

Das angesehene Nachrichtenmagazin „The Economist“ kürte Wien gerade zur lebenswertesten Stadt der Welt. Für das Ranking wurden 140 Großstädte nach Kriterien wie Infrastruktur, Bildung, Gesundheitsversorgung und Kultur miteinander verglichen. Besonders gut gefällt es den Zugezogenen in der Stadt, die für internationale Unternehmen oder die UNO arbeiten. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist Wien von der morbiden Metropole am Rande des Ostblocks zu einer beliebten Großstadt mitten in Europa geworden, die mit vielen Freizeit- und Kultureinrichtungen gerade junge Menschen anzieht, seien es Studenten oder Mitarbeiter von Start-ups.

Noch entscheidender ist allerdings, dass Wiens Einwohner derzeit weniger mit steigenden Mieten und Gentrifizierung zu kämpfen haben als in vielen anderen europäischen Metropolen, wo statt Sozialwohnungen vor allem teure Apartments für eine internationale Kundschaft entstanden sind. In Wien gibt es 220.000 städtische Wohnungen, das ist gemessen an der Gesamtzahl ein Spitzenwert. Der derzeitige Wiener Bürgermeister Michael Ludwig hat bereits als Wohnbaustadtrat erfolgreich dafür gekämpft, dass die Stadt ihren großen Bestand an kommunalen Wohnungen nicht an private Investoren verkauft – wie es etwa in Berlin passiert ist, wo heute 310.000 bezahlbare Wohnungen fehlen. „Von der Wiege bis zur Bahre“ wolle sich die Wiener Stadtregierung um die Bürger kümmern, das versprach sie bereits vor 100 Jahren – ein Leitsatz, der die Kommunalpolitik bis heute prägt und die Bürger anspruchsvoll gemacht hat. „Die Wiener glauben, dass ihnen Genuss und Lebensqualität einfach zustehen“, sagt Lukas Franta von der TU Wien. Allerdings seien für den Erhalt einer lebenswerten Stadt nicht nur die Politiker, sondern auch die Bürger wichtig. Sie sollten ihre Stadt mitgestalten und sich einbringen, so Franta. „Sonst verliert die Stadt das, was sie in den letzten hundert Jahren ausgemacht hat. Diese fast schon übereifrige soziale Organisation.“ Tatsächlich wohnt jeder vierte Wiener in einer Wohnung, die ihm die Stadt vermietet, insgesamt sind das 500.000 Menschen.

Allein im 22. Bezirk der Donaustadt entstanden von 1973 bis 1977 in der Siedlung Trabrenngründe mehr als 2.400 Wohnungen in 59 Häusern. Anfangs sah es so aus, als würde der größten Anlage von Gemeindebauten das Schicksal vieler Hochhaussiedlungen drohen, also hohe Kriminalität und die niederdrückende Anonymität einer Schlafstadt. Aber durch kluges Stadtteilmanagement wurde gegengesteuert. Heute gibt es in der meistens nur kurz Rennbahnweg genannten Siedlung viele Schulen und Kindergärten, Sportflächen und Geschäfte. Die meisten Anwohner fühlen sich wohl.

Fast 50 Jahre später ist es nun wieder der Bezirk Donaustadt, wo die Stadt Wien die Zukunft des Zusammenlebens ausprobiert. In der sogenannten Seestadt Aspern entsteht bis 2028 ein ganzer Stadtteil – mit 10.500 Wohnungen für 20.000 Menschen, dazu Büro- und Ladenflächen, damit dort auch tagsüber Leben ist – und nicht nur, wenn die Menschen von der Arbeit nach Hause kommen.

Und hier findet tatsächlich vieles statt, was unter dem Begriff Smart City zusammengefasst wird: Die energiesparenden Häuser werden ressourcenschonend gebaut, die Sensoren in den Häusern sollen die Wassernutzung messen, den Stromverbrauch und den Kohlendioxidgehalt in der Luft. Zuständig ist „Aspern Smart City Research“, ein Gemeinschaftsunternehmen der Stadt Wien und Siemens. Eine sogenannte Public-private-Partnership – also eine jener Kooperationen von öffentlichen Institutionen und Konzernen, die oft dafür kritisiert werden, dass die Unternehmen mit Steuergeld ihre Ziele vorantreiben. Und gerade das Konzept der Smart City wirft die Frage auf, wem die erhobenen Daten gehören. In Aspern sollen sie den Bürgern gehören. Ob das wirklich so kommt, bleibt abzuwarten, schließlich sind die Daten der Mieter viel Geld wert. Wer sie freiwillig teilt, könnte irgendwann finanziell dafür belohnt werden.

Die Seestadt ist an den ziemlich günstigen Nahverkehr mit U- und Straßenbahn angebunden, eine App zur Parkplatzsuche soll es in Wien nicht geben, schließlich will man den privaten Autoverkehr langfristig komplett abschaffen. Eines der bereits fertigen Häuser dort ist das Technologiezentrum Seestadt, dessen Fassaden begrünt werden können, auf dessen Dach Solarzellen installiert sind und bei dem sogar die Wärme aus den Serverräumen der Firmen für die Raumkonditionierung genutzt werden soll. Wenn es gut läuft, produziert das Haus am Ende mehr Strom, als es verbraucht. Ein anderes Vorzeigeprojekt im Viertel ist das höchste Holzhochhaus der Welt (84 Meter), bei dessen Bau durch den weitgehenden Verzicht auf Stahl und Beton 2.800 Tonnen CO2 gespart wer- den sollen.

Die Hälfte der Flächen in der Seestadt soll öffentlicher Raum bleiben; breite Gehsteige sind geplant, Stationen für Leihräder,geteilte Garagen, Plätze, auf denen man sich gern aufhält. Denn auch im neuen Viertelgeht es im Grunde genommen um eine uralte Aufgabe der Stadtpolitik. „Die Frage nach der Smart City ist nur scheinbar eine technische“, so Planungsdirektor Madreiter. „In Wahrheit ist es die Frage, wie wir das soziale Zusammenleben organisieren.“

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