„Viele von uns haben erfolgreich studiert – und jetzt null Chancen.“ Kalliopi, 28

Ich komme von einer Insel, die viele Deutsche aus dem Reiseprospekt kennen. Auf Rhodos geht es den Menschen noch relativ gut, weil sie den Tourismus haben. Wer aber andere Jobs sucht, geht fort. Immer zu Weihnachten treffe ich dort vier Kindheitsfreundinnen wieder, die alle ausgewandert sind. Weil sie in Griechenland keine Chancen haben, arbeiten sie als Architektin in den Niederlanden, Wirtschaftsprüferin in London, Physikerin in Cambridge und Sonderpädagogin in Schottland.

Damals, im Frühling 2010, war Griechenland zwar offiziell von der EU und dem Internationalen Währungsfonds gerettet worden, musste aber im Gegenzug harte Sparmaßnahmen umsetzen. Ich studierte damals an der Athener Uni, vor der sich täglich die Demonstranten versammelten. Kriegsähnliche Zustände waren das. Ich bin nach meinem Jurastudium nach Deutschland gegangen, habe Praktika und meinen Master gemacht. Nun versuche ich, im Ausland eine Stelle als Doktorandin zu bekommen. Viele junge Griechen haben erfolgreich studiert und jetzt in ihrem Land null Chancen. Unser Wissen und Können ist im Moment nur außerhalb Griechenlands gefragt. Dabei gibt es keinen einzigen Griechen, der nicht wieder zurück nach Griechenland will. Wir sind eine verlorene Generation.

In der Generation meines Großvaters gab es auch viele Auswanderer. Die kleine Insel, auf der er wohnte, ist heute fast entvölkert, weil viele nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Glück in den USA suchten und dort geblieben sind. Wer damals ein Studium und eine Ausbildung hatte, fand aber zumindest noch Arbeit in Griechenland. Mein Opa konnte als Rechtsanwalt auf der Insel bleiben und sich etwas aufbauen. Was mir wirklich Sorgen macht, ist der Rechtsruck in Griechenland. Die Leute sind wütend auf die linke Regierung und radikalisieren sich immer mehr. Die Krise macht sie rassistisch. Sie sind arm und sehen in den Flüchtlingen, die auf den Inseln ankommen, Feinde, die von der EU angeblich mehr unterstützt werden als sie selbst.

„Ich träume von einem Leben im Olymp.“ Ioannis, 26

In fünf Jahren will ich in einem kleinen Dorf im Olymp- Gebirge leben. Dort habe ich mit fünf Freunden ein kleines Unternehmen gestartet. Auf einer Fläche von 15 Fußballfeldern bauen wir Bergtee an. Eine spezielle Sorte, die es nur in Griechenland gibt. Die Großeltern eines Freundes wohnten früher in dem Dorf. Ihre zwei Häuser und das Land, das dazugehört, sind unsere Ausgangsbasis, von der aus wir expandieren wollen.

Die Arbeitslosigkeit bei den 15- bis 24-Jährigen liegt in Griechenland immer noch bei über 40 Prozent. Auch aus unserer Gruppe sind zwei arbeitslos, die anderen haben gerade Jobs. Wir alle sparen jeden Monat Geld und stecken das ins Unternehmen, um unseren Traum zu verwirklichen. Mein Bruder ist auch dabei. Er schickt uns Geld aus Paris, wo er als Kellner arbeitet. Zurzeit arbeite ich noch im Verkauf und Marketing eines großen Gardinenproduzenten in Thessaloniki. Die richtige Arbeit fängt für mich aber erst nach Feierabend an: Kunden anschreiben, Tee abpacken, ein Marketingkonzept entwickeln. Wir wollen ein soziales Unternehmen sein, uns allen gleich viel Lohn zahlen und alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam treffen.

Dieses Jahr hatten wir unsere erste Ernte. Die war noch sehr klein, weil wir biologisch anbauen und deshalb etwas länger warten müssen, bis die jungen Setzlinge Ertrag abwerfen. In zwei Jahren werden wir unser angestrebtes Produktionsvolumen erreichen, in fünf Jahren wollen wir alle davon leben können. Ich habe viele Bekannte mit ähnlichen Vorhaben: Sie produzieren Olivenöl oder Honig. Wer weiß, wie lange die schlechte Lage noch andauern wird. Da ist es besser, nicht von einem einzigen Arbeitgeber abhängig zu sein, sondern gemeinsam mit anderen etwas aufzubauen und neue Wege auszuprobieren. Das ist unsere Lehre aus der Krise.

„Nach dem Ende der Diktatur 1974 wollten viele das Land neu aufbauen.“ Katerina, 29

Ich hatte Glück. So wie meine Eltern, die keinen Tag ihres Lebens arbeitslos waren. Seit drei Jahren arbeite ich in einer IT-Firma als feste freie Mitarbeiterin und verwalte die Computersysteme von öffentlichen Einrichtungen wie Unis und Krankenhäusern. Wie die meisten anderen jungen Leute bekomme ich immer nur eine Vertragsverlängerung für sechs Monate. Zwar arbeite ich Vollzeit in dem Unternehmen, bin aber trotzdem offiziell selbstständig. Am eigenen Leib spüre ich, dass Griechenland mittlerweile einen der flexibelsten Arbeitsmärkte in der EU hat. Immerhin kann ich meine Miete selbst zahlen, bin unabhängig von meiner Familie. Meine Schwester wird bald meinem Bruder folgen und im Ausland arbeiten. Auch viele Freundinnen sind weggegangen. Mein Freund und ich sind nicht mehr zusammen, seitdem er auf der Suche nach Arbeit Griechenland verlassen musste.

Als ich aufwuchs, war Griechenland mit einem Neuanfang beschäftigt. Die Menschen wollten ihr Land nach dem Ende der Diktatur 1974 neu aufbauen. Alle freuten sich 1981 über die Mitgliedschaft in der EU und später über den Euro und schauten in den Nullerjahren auf die Olympischen Spiele im eigenen Land. Alle hatten ihre Kreditkarten und die Illusion, eine Menge Geld zu besitzen. Dann kam die große Krise und damit das böse Erwachen. Wir sind eine enttäuschte Generation, die sich den Illusionen der Elterngeneration nicht hingibt. Es gibt sicher viele Gründe, an dieser Situation zu verzweifeln, aber bei mir überwiegt die Hoffnung. 

Es haben sich viele kleine Communitys gebildet, die bei Hackathons (Wortschöpfung aus „Hack“ und „Marathon“, Anm. d. Red.) oder in selbstverwalteten Abendschulen Wissen austauschen und solidarisch miteinander leben. Ich gebe zum Beispiel Programmierkurse und nehme dafür an Yogakursen teil. Es bewegt sich einiges. Griechenland wird langsam erwachsen und rappelt sich Stück für Stück auf.

„Die Krise ist und war Normalität für mich, ich kenne keinen krisenlosen Zustand.“ Theodoris, 17

Als die Krise Griechenland erreichte, war ich neun Jahre alt. Ich kann mich daran erinnern, dass Mit schüler von mir fast in Ohnmacht fielen, weil sie morgens zu Hause nicht genug zu essen bekamen. Die Schule hat daraufhin ein kostenloses Frühstück für Bedürftige eingeführt. Auch meine Eltern hatten von Jahr zu Jahr weniger Geld. 

Wegen der unsicheren Zukunft versuchten sie, so viel wie möglich zu sparen, mein Vater musste als Bauingenieur immer mehr Steuern zahlen. Sie konnten sich den Fußballverein und meinen Musikunterricht nicht mehr leisten. Das alles ist und war Normalität für mich, ich kenne keinen krisenlosen Zustand.

Im nächsten Sommer mache ich mein Abitur. Danach will ich in Thessaloniki Wirtschaft studieren, um später Arbeit zu finden. Am liebsten würde ich später den Betrieb managen, in dem mein Vater arbeitet. Ein guter Freund von mir will in Italien Ingenieur werden. Andere Freunde gehen auch zum Studium ins Ausland. Sie sind der Überzeugung, dass sie mit einem Abschluss aus dem Ausland dann einfacher im Ausland einen Job finden werden. Aber ich will bleiben und mit dafür sorgen, dass es hier wieder aufwärtsgeht.

Titelbild: Dimitris Michalakis , Portraits: privat