Sie beschäftigen sich seit Langem mit Rechtsextremismus in Jugendkulturen, vor allem mit der Musik. Welche Szenen sind besonders nazilastig?

Wenn man sich die Studien zu rechtsextremen Einstellungen anschaut, findet man diese bei Jugendlichen quer durch die Bevölkerung. Wenn es darum geht, welche Musik besonders im Fokus von Rechten steht, würde ich sagen: gitarrenorientierte Musik. Das definiere ich deshalb so vage, weil letztendlich die verschiedensten Leute betroffen sind: die mit einem Faible für Punkrock, Heavy Metal oder Hardcore. 80 Prozent der extrem rechten Musikgruppen machen Rockmusik in unterschiedlicher Ausprägung, dazu kommen Liedermacher – Rap gibt es kaum, ebenso wie elektronische Musik.

Es ist bekannt, dass sich Rechtsextreme über Musik Zugang zu Jugendlichen verschaffen. Wie funktioniert die Nachwuchsrekrutierung?

Das ist eine allgemeine Ansprache an Jugendliche oder junge Erwachsene ohne einen bestimmten Fokus auf eine Musikszene. Am bekanntesten ist das Beispiel der „Schulhof-CD“ der NPD. Die bietet ein buntes musikalisches Potpourri. Früher fand man darauf eher Liedermacherstücke und Hardrock oder Rock mit leichter Punk-Attitüde – in den letzten Jahren hat sich das verändert. Es gibt auch mal Stücke aus dem Hip-Hop oder Hardcore. Man versucht, junge Leute mit einer erweiterten musikalischen Bandbreite anzusprechen.

Der Heavy-Metal-Szene wird immer wieder der Vorwurf gemacht, Rechtsextreme zu beheimaten. Wieso eigentlich?

Ich komme selbst aus der Metal-Szene der 1980er-Jahre. Sicherlich finden wir auch hier Rassisten oder Antisemiten – aber nicht in einer größeren Häufung als im gesellschaftlichen Durchschnitt. Die Kritik fußt in der Regel auf dem Black Metal beziehungsweise dem Black Metal Underground. Und das ist eine sehr überschaubare Szene. Wir sprechen nicht von Zehntausenden, sondern von deutlich weniger Menschen, von einigen Hundert bis wenigen Tausend. Sie kokettieren in der Regel nicht nur mit der Symbolik des Nationalsozialismus, sondern tragen sie bewusst und übernehmen auch dessen Ideengut.

Es gibt für ein rechtsextremes Subgenre im Metal die Bezeichnung „National Socialist Black Metal“ (NSBM). Ist das eine Bezeichnung von außen oder eine hausgemachte, also eine Selbstbeschreibung von Anhängern dieser Strömung?

Tatsächlich ist NSBM eine szeneeigene Bezeichnung. Sie wird im Black Metal Underground für jene Bands benutzt, die tatsächlich klare nationalsozialistische Positionen beziehen. Aber auch hier ist diese Begrifflichkeit schwierig. Manche Bands innerhalb des Underground würden sich nicht als NSBM-Band bezeichnen, beziehen in ihren Texten oder Interviews aber trotzdem antisemitische Positionen. Es gibt zum Beispiel eine recht bekannte französische Band, die man aufgrund ihrer Verlautbarungen und antisemitischen Texte eigentlich als NSBM-Band bezeichnen müsste – im Underground wird sie aber vorwiegend als Black-Metal- Band mit etwas krasseren Tönen wahrgenommen.

Wie kann man denn als Außenstehender oder Neuling der Szene Textinhalte und Symbolik differenzieren?

Wie in jeder Szene: indem man sich ordentlich informiert. Es gibt in den Szenen Mythen zum Image von Bands, die sich tradieren. Oft hilft es, sich selbst ein Bild zu machen: Mit wem habe ich es zu tun? Warum macht die Band das? Warum benutzt sie solche Symbolik? Als Fan ist es schwierig, immer eine gewisse Kritik zuzulassen. Musik ist eine sehr emotionale Angelegenheit, da will man nicht immer das Hirn einschalten.

Die Trennlinien sind aber doch extrem fließend.

Die Trennlinie zum NSBM ist nicht fließend. Wer sich innerhalb der Szene mit dem Black Metal beschäftigt, bekommt relativ schnell mit, wer wirklich eine NS-Black-Metal-Band ist. Wer bei Sätzen wie „Auschwitz rules“ den Kopf noch benutzt, merkt, dass da was nicht passt. Im Subgenre des Pagan Metal ist es tatsächlich schwieriger. Wenn eine Band die Tyr-Rune benutzt: Hat das dann was mit dem Abzeichen der Reichsführerschule zu tun? Oder sind das Leute, die früher zu viele „Was ist was“-Bücher über Wikinger gelesen haben und die nur cool finden? Das ist eine Ebene, auf der man einen kritischen Zugang zur Musik und den Bands braucht.

Wie muss man sich das konkret vorstellen: Keimt Rechtsextremes von innen auf, zum Beispiel durch diesen Bezug auf nordische Mythologie, oder passiert eine bewusste Vereinnahmung von außen?

Der Ursprung liegt tatsächlich in der Szene selbst. Die Begeisterung für Nationalsozialismus ist in der Black-Metal-Szene aufgekeimt und letztendlich in ihr groß geworden – ohne das Zutun von Neonazis. Heutzutage zeigt sich, dass auch ein Interesse von außen aus dem neonazistischen Spektrum an der Musik und den Leuten existiert. Zum Beispiel gibt es Neonazis, die eine Black- Metal-Band gründen – auch die NPD hat schon mal eine entsprechende Black-Metal-Gruppe zu einer ihrer Veranstaltungen eingeladen. Hier wird versucht, die verschiedenen Spektren zusammenzuführen.

Wie erkennt man Rechtsextreme in den Subgenres?

Heutzutage kann man ja schwer sagen: „Der da sieht aus wie ein Nazi.“ In der Metal-Szene gibt es ein ganz einfaches Erkennungskriterium: das Band-Shirt. Das gilt eigentlich immer. Wer Fan ist, teilt seine Vorliebe über das T-Shirt mit.

2010 war die Diskussion um die Band Varg so groß, weil der Sänger ein Shirt einer rechtsextremen Band trug und sich später wieder von dieser Aktion distanzierte.

Genau, das war ein klares Statement. Man kehrt seine eigene Identität und Präferenz mit dem Band-Shirt nach außen.

Zum größten Metal-Festival in Wacken kommen 80.000 Fans, die Veranstalter bekennen sich auf ihrer Website klar gegen Rechts. Bleiben Nazis deshalb draußen?

Solche Statements sind immer ein wichtiges Signal in die Szene hinein. Wichtig ist aber, dass vor Ort dann tatsächlich auch zu zeigen. Das „Party.San Open Air“ in Thüringen hat beispielsweise schon sehr früh darauf geschaut, welche Verkäufer sich bei ihnen auf das Gelände stellen. Sie wollten eben nicht, dass irgendwelche dubiosen Black-Metal-Sachen verkauft werden.

Sie beobachten die Black-Metal-Szene schon seit Jahrzehnten. Hat sich der rechte Rand verändert?

Man findet heute seltener Bezugnahmen auf den Nationalsozialismus und rassistische, antisemitische Äußerungen als vor zehn Jahren. Vielleicht liegt es auch ein wenig daran, dass wir mit unserem Buch 2005 Tabula rasa gemacht haben. In der Metal-Szene ist es auf Interesse gestoßen, im Black Metal Underground hat es damals gekracht. Dieses Gefühl „wir können machen, was wir wollen“ ist dort tatsächlich durch, zumindest in dem Umfang von früher. Sicherlich, es gibt neonazistischen Black Metal noch, aber seine Hochphase scheint vorüber.

Martin Langebach (43) weiß, wovon er spricht: Er war jahrelang selbst in der Metal- Szene und widmet sich als Soziologe dem Forschungsschwerpunkt Jugend- und Kultursoziologie sowie Rechtsextremismus. 2005 schrieb er unter dem Pseudonym Christian Dornbusch gemeinsam mit Hans-Peter Killguss das Buch „Unheilige Allianzen. Black Metal zwischen Satanismus, Heidentum und Neonazismus“.