Bäder im Moorschlamm aus der Dübener Heide und das schöne Kurhaus im Jugendstil – das sind seit Langem die Attraktionen von Bad Schmiedeberg in Sachsen-Anhalt – aber seit einiger Zeit gibt es in dem 4300-Einwohner-Ort noch etwas anders zu bestaunen: Menschen, die arbeiten. Für echtes Geld! Und eine sinkende Arbeitslosenquote – von 15,6 Prozent im September 2006 auf sechs Prozent innerhalb eines guten Jahres. Anlass genug, dass Reporter seitdem in schöner Regelmäßigkeit über „das Wunder von Bad Schmiedeberg“ berichten. Dass in dem Kurort anscheinend nicht nur Rheuma- oder Arthroseschmerzen gelindert werden, sondern auch die Krankheiten der modernen Volkswirtschaft, ist dem sogenannten Projekt Bürgerarbeit zu verdanken, bei dem vor allem Langzeitarbeitslose eine Stelle bekommen, die es eigentlich gar nicht gibt – die aber durchaus Sinn ergibt. In Bad Schmiedeberg sind das zum Beispiel Tätigkeiten in einem Pflegeheim für Demenzkranke: Zwei Frauen, die früher arbeitslos waren, helfen dort den Patienten bei der Gymnastik, sie gehen mit ihnen spazieren oder bringen ihnen das Essen.

Eigentlich ist für diese Tätigkeiten überhaupt kein Geld da, im auf drei Jahre angelegten Modellversuch werden sie aber vom Bund und durch Mittel des Europäischen Sozialfonds finanziert. Die Idee dahinter: Arbeitslose, die lange erfolglos auf Jobsuche sind, erhalten eine Tätigkeit, die beiden Seiten hilft: den Bürgerarbeitern, bei denen nicht nur das Selbstwertgefühl steigt, sondern auch die Chance, durch die Praxis irgendwann wieder eine reguläre Arbeit zu finden – und dem Staat, der statt Arbeitslosigkeit Arbeit finanziert, die dem Gemeinwohl zugutekommt. Für die Regierung kommt es dabei fast auf dasselbe heraus, ob sie Arbeitslosengeld zahlt oder den Lohn für die Bürgerarbeit: Während der durchschnittliche Brutto-Bürgerlohn für 30 Wochenarbeitsstunden 1085 Euro inklusive der Sozialversicherungsleistungen des Arbeitgebers beträgt, erhält ein Hartz-IV-Haushalt mit allem Drum und Dran Zahlungen in ähnlicher Höhe.

Das alles klingt nach einer humanen Lösung für ein großes Problem, schließlich befinden sich die Langzeitarbeitslosen meist in einem Teufelskreis: Wer lange joblos ist, verliert nämlich nicht nur die Fähigkeiten, die er mal in der Ausbildung gelernt hat, sondern auch zunehmend die Motivation – und fühlt sich am Ende als Deklassierter in einer auf Wertschöpfung getrimmten Gesellschaft. Doch es gibt durchaus Kritiker. Sie wenden ein, dass die Bürgerarbeit das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit nur für eine kurze Phase verdecke und zudem die Jobcenter aus ihrer Pflicht entlasse, den Arbeitslosen eine Stelle auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu beschaffen. Andere befürchten, dass Bürgerarbeit zur Abschaffung regulärer Stellen führe. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, die das Projekt in diesem Jahr auf den Bund ausweitet und 160.000 Arbeitslose zunächst in einer Testphase daran teilnehmen lassen will, spricht hingegen von der „konsequentesten Form des Fordern und Förderns“. Laut Plan der Koalition könnten die Bürgerarbeiter nach einer intensiven Aktivierungsphase ab 2011 in größerem Umfang in den Bereichen Gesundheit, Naturschutz, Landschaftspflege, Sport, Kinder und Jugend tätig werden.

Die Schlussfolgerungen aus den Modellversuchen in Sachsen-Anhalt und Bayern sind nicht eindeutig: Einerseits ist die Arbeitslosenquote in den Modellregionen tatsächlich signifikant gesunken, andererseits hat bei Weitem nicht jeder der geförderten Menschen im Anschluss an die Bürgerarbeit eine reguläre Stelle gefunden. Fest steht aber, dass die Bürgerarbeit bislang der ambitionierteste Ansatz ist, eine Lösung dafür zu finden, dass es für eine stattliche Zahl von Menschen einfach keine Arbeit mehr gibt – und das gilt für alle westlichen Industrieländer. Längst führt Wirtschaftswachstum nämlich nicht mehr wie früher zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern im Gegenteil zu deren Abschaffung. Kurz gesagt: Wenige gut Ausgebildete erledigen auch dank neuer Technologien die Arbeit für viele. „Angesichts des nicht zu behebenden und wachsenden Mangels an Arbeitsplätzen“, so schreibt die französische Publizistin Viviane Forrester in ihrem Buch „Der Terror der Ökonomie“, „ist es lächerlich und grausig, jedem der Millionen zählenden Arbeitslosen eine nachweisbare und ständige Suche nach einer Arbeit, die es gar nicht gibt, zu verordnen.“

Grundeinkommen:

Seine Anhänger wollen das bedingungslose Grundeinkommen für jeden – egal, ob er Arbeit hat oder eine sucht. Sie sehen darin einen Weg zu sozialer Gerechtigkeit, außerdem würden Existenzgründungen und ehrenamtliche Tätigkeiten gefördert. „Wir kommen endlich von unserem bornierten Arbeitsbegriff weg, bei dem Erwerbsarbeit alles und Tätigkeiten in Vereinen, Sozialeinrichtungen und Bürgerinitiativen so gut wie nichts wert sind“, sagt der Sozialwissenschaftler Wolfgang Storz. Kritiker befürchten u.a., dass der Antrieb verloren gehe, sich Arbeit zu suchen.