çioğlu. Auf der vor kurzem veröffentlichen CD „Beyond Istanbul“ stellt die in München geborene Deutsch-Türkin die Heimat ihrer Eltern vor: Orientalische Rhythmen folgen auf kurdische Protestlieder, osmanische Songs auf anatolischen Pop – die türkische Musikszene ist ebenso vielschichtig wie die türkische Sprache, geformt durch jahrhundertealte Traditionen. In den letzten 80 Jahren kamen so viele Veränderungen hinzu, dass Entwicklungen wie die deutsche Diskussion um eine Rechtschreibreform dagegen bedeutungslos wirken. 

Als Mustafa Kemal Atatürk, der Begründer der modernen Türkei, in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts sein großes Reformprogramm startete, kümmerte er sich nicht nur um den Staat, sondern auch im die Sprache. Er wollte sie vereinfachen, Türkisch sollte nicht mehr nach osmanischer Vergangenheit klingen, sondern bereit für die Moderne. 1928 wurden an Stelle der bis dahin gebräuchlichen arabischen Schriftzeichen lateinische neu eingeführt – das sogenannte „neue türkische Alphabet“. Osmanische Wörter oder Lehnwörter aus anderen Sprachen ersetzte das 1932 eigens dafür gegründete Türk Dil Kurumu, das Institut für die Türkische Sprache und Geschichte, durch neue. Grundlage für die Neuschreibung war der Istanbuler Dialekt. Bei der Übernahme fremder Wörter machte man es sich zum Teil einfach – man schreibt wie man spricht. So entstanden „türkische“ Wörter wie „taksi“ (Taxi), „stüdyo“ (Studio) „kuaför“ (Friseur), oder „sürpriz“ (Überraschung).

Türkisch zählt zu den oghusischen Sprachen, die türkische Grammatik unterscheidet sich in ihrer Syntax deutlich von der indogermanischer Sprachen wie Deutsch, Englisch oder Französisch. Grammatische Formen werden im Türkischen durch an den Wortstamm angehängte Endungen definiert. Dabei spielt die Vokalharmonie eine große Rolle: an einen Wortstamm, in dem etwa der Vokal „ü“ enthalten ist, werden Endungen angehängt, die ebenfalls dieses „ü“ mit sich führen. Für deutsche Ohren kann das recht ungewohnt klingen.

Atatürks Sprachreform war umstritten und funktionierte nicht problemlos. Gegner warfen ihm vor, den Reichtum der Sprache zu verringern. Atatürk selbst soll das Neutürkische gar nicht beherrscht haben, seine Texte ließ er angeblich übersetzten. Reformgegner versuchten immer wieder, eine Rückkehr zum alten osmanischen Türkisch zu erzwingen. Als Symbol dafür kann das Schicksal von Nâzım Hikmet (1902–1963) dienen. Der Dichter etablierte, ganz im Sinne Atatürks, in seinen Gedichten ein neues, modernes Vermaß und gilt heute als Erneuerer der türkischen Literatur. 1938, im Todesjahr Atatürks, wurde Hikmet von Reformgegnern wegen Anstiftung zur Aufruhr zu 28 Jahren Gefängnis verurteilt. Aus dem Haft schrieb er einem Freund: „Auf die allgemeine Aufforderung hin schreibe ich also meine Briefe mit dem alten Alphabet. Möge mir Allah diese leicht reaktionäre Haltung verzeihen. Ich habe das arabische Alphabet so gründlich vergessen, dass ich bei jedem Wort stocke und stöhne.“

Aufhalten ließ sich die Sprachreform dennoch nicht: Die Medien benutzten nur noch Neutürkisch, in den Schulen wurde nichts anderes mehr unterrichtet. Heute kann kaum jemand in der Türkei die alte osmanische Schrift lesen oder schreiben. Vor 1930 geschrieben Bücher kann heute, sofern sie nicht übersetzt wurden, kaum jemand verstehen. Vor allem deswegen bezeichnet der englische Turkuloge Geoffery Lewis die Sprachreform als „katastrophalen Erfolg“.


Einige alte Begriffe sind dennoch erhalten geblieben, ihr Gebrauch bereitet heute mitunter Schwierigkeiten. Erfahrung damit hat Dr. Mehmet Hacisalihoglu ,37, Mitarbeiter am Institut für die Geschichte und Kultur des Nahen Ostens der Universität München: „Wenn ich meinen Studenten etwas zur Geschichte der türkischen Rechtschreibung erzähle, schreibe ich zwei Wörter an die Tafel: ‚yazım’, das neue, gängige Wort für Rechtschreibung, und ‚imla’, das alte, osmanische. Viele meinen dann, es würde nur ein richtiges Wort geben, nämlich das neue.“ In der Türkei werde Sprache politisch verwendet, erklärt Hacisalihoglu die Verwunderung seiner Studenten: Wer eher nationalistisch-konservativ eingestellt ist, verwende die alten Begriffe. Wer eher links ist, gebrauche die neuen. Er selbst versucht, sich keiner politischen Seite unterzuordnen: „In meinen wissenschaftlichen Aufsätzen verzichte ich manchmal sogar auf das türkische Wort und ziehe das englische vor, gerade bei heiklen Begriffen wie ‚Nationalismus’.“ Dass das Spiel mit den alten und neuen Wörtern auch reizvoll sein kann, findet Ipek Ipekçioğlu: „Wenn ich von Gefühlen spreche, kann ich das alte Wort, ‚iltifat’ verwenden, und somit das altertümliche Bedeutungsfeld, in dem es um Komplimente und Gunst geht, aufrufen. Oder ich nehme das neue Wort: ‚aşık’ – dann ist klar, ich bin verliebt.“

Eine besondere Geschichte ist die des Kurdischen, in der es nicht zuletzt um Politik geht. Die wenigen kurdischen Wörterbücher, die es gibt, wurden fast alle außerhalb der Türkei erstellt. Wer früher Buchstaben des kurdischen Alphabets, das über mehr Konsonanten (x, w, q) als das türkische verfügt und deshalb leicht zu erkennen ist, auf einem Plakat zeigte, wurde bestraft. Ähnlich ging es Eltern, die ihren Kindern Vornamen gaben, in denen diese Buchstaben enthalten sind. Zwar hat sich die Gesetzgebung in den letzten Jahren gelockert, aber auch heute noch dürfen auf öffentlichen Dokumenten oder nur Buchstaben des türkischen Alphabets in der Presse gezeigt werden. 

Atatürks Sprachreform sollte neben der Modernisierung des Türkischen auch dazu führen, das Türkische von fremden Wörtern zu reinigen. Heute, rund 80 Jahre später, ist die Sprache dennoch geprägt von anderen Einflüssen. Die meisten Lehnwörter kommen aus dem Arabischen, dem Französischen und immer mehr aus dem Englischen. Natürlich gibt es das Wort „elmek“ – doch fast jeder sagt lieber „e-mail“. Das Türkische ist dem Englischen ähnlich; in beiden Sprachen gibt es kein Geschlecht. „Wenn ich auf Türkisch sage, ich komme mit einem Freund vorbei, kann das heißen, ich bringe einen Jungen oder ein Mädchen mit“, erklärt Ipek Ipekçioğlu. „Das finde ich gut: Der türkischen Tradition wird oft Frauenfeindlichkeit vorgeworfen – wenigstens in der Sprache gibt es Gleichberechtigung.“