
The Kids are Alt-Right
Eine Referendarin, die für ein verbotenes Medium moderiert, eine Zwölfte auf „Rassenfahrt“ und mehr: eine Chronik rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Vorfälle an deutschen Schulen
Rechtsextreme Symbole und Äußerungen sind Alltag an deutschen Schulen: Doch längst nicht alle Lehrkräfte und Schulleitungen melden sie, aus Angst vor Drohungen oder weil es ein schlechtes Licht auf sie oder ihre Schule werfen könnte. Zu wie vielen solcher Vorfälle es genau kommt, weiß also niemand.
Die Statistiken der Bundesländer zeigen, dass die Zahl der gemeldeten Vorfälle steigt, in Sachsen, Hessen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg sogar deutlich. Eine kleine Auswahl derartiger rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Vorfälle findet ihr hier. Passiert sind sie im Norden, Süden, Osten und Westen Deutschlands – und über die Landesgrenzen hinaus.

Willich, Nordrhein-Westfalen, April 2023
Ein Erdkundekurs ist kurzzeitig ohne Aufsicht. Drei Gymnasiasten aus der Oberstufe streamen die „Deutsche Wochenschau“, eine Propagandasendung der Nationalsozialisten, und singen Geburtstagslieder: Es ist ein 20. April, der Geburtstag von Adolf Hitler. Weil die Taten politisch motiviert sind, ermittelt der Staatsschutz. Die Schüler werden vorübergehend vom Unterricht suspendiert, einer muss die Schule später verlassen.
Brandis, Sachsen, Mai 2023
Zwei Achtklässler rasieren einem Mitschüler ein Hakenkreuz in die Haare. Die Oberschule schließt alle drei vorerst mal vom Unterricht aus. Sie müssen eine Hausarbeit zum Thema Nationalsozialismus schreiben, die Eltern werden zum Gespräch einbestellt. Die Polizei ermittelt, die Schule veröffentlicht den Vorfall zunächst nicht, um den Tätern keine Bühne zu bieten. Beide Schüler sollen wieder in die Schule integriert werden.
Heidesee, Brandenburg, Mai 2023
Eine Gemeinschaftsschulklasse verbringt das Wochenende in einer Ferienanlage, um sich auf ihre Abschlussprüfung vorzubereiten. Nachts werden die Schülerinnen und Schüler von teils vermummten Jugendlichen belagert: Sie versuchen, in die Unterkunft einzudringen, und drohen mit Gewalt gegen die „Kopftuch-Mädchen“. Die Klasse reist noch in der Nacht unter Polizeischutz ab, die Polizei ermittelt wegen des Verdachts der Volksverhetzung und Bedrohung.
Solche Vorfälle sind für Lehrkräfte belastend und herausfordernd: Oft ist schwer einzuordnen, ob ein Spruch nur eine Provokation oder schon politische Positionierung ist. Oder ob er noch durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist. Lehrkräfte müssen sich politisch zurückhaltend verhalten, sind aber den demokratischen Grundsätzen und Werten des Grundgesetzes verpflichtet. Keine Form von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus darf in Schulen hingenommen werden. Allerdings werden angehende Lehrkräfte in der Ausbildung kaum auf den Umgang mit extremen Haltungen vorbereitet.
Auschwitz, Polen, Mai 2023
Eine neunte Klasse aus dem sächsischen Leisnig besichtigt das ehemalige NS-Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. In der Jugendbegegnungsstätte zeigen zwei Schüler den Hitlergruß und posten ein Foto davon. Die Schule erstattet Anzeige, informiert die Eltern und kündigt an, den Vorfall aufzuarbeiten. Alle beteiligten Schüler werden vorläufig vom Unterricht suspendiert.
Märkisch-Oderland, Brandenburg, September 2023
Eine Referendarin an einer Grundschule moderiert mehrfach unter falschem Namen und mit Perücke für den Nachrichtenkanal eines Magazins, das der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft. Das Bildungsministerium soll bereits Hinweise haben, stellt die angehende Lehrerin aber erst nach Medienberichten vom Dienst frei. Mittlerweile ist sie aus dem Beamtenverhältnis entlassen worden.
Herrenberg, Baden-Württemberg, September 2023
Auf dem Schulhof einer Realschule sind Plakate ausgestellt. Sie zeigen Porträts von Überlebenden des Holocausts. Ein Zwölfjähriger beschmiert sie mit Hakenkreuzen und Hitlerbärten. Die Schule zeigt den Schüler an, der Staatsschutz wird eingeschaltet.

Hannover, Niedersachsen, Dezember 2023
Im WhatsApp-Chat einer zwölften Klasse gehen Nachrichten rum, die den Nationalsozialismus verharmlosen. Ernst Röhm, ein hoher Offizier der Nazizeit, wird als „Direktor“ angegeben. Aus der anstehenden Klassenfahrt wird eine „Rassenfahrt“, begleitet von einem „Herrn Dr. Höcke“. Der AfD-Politiker wird vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft. Das Gymnasium zeigt den Beteiligten strafrechtliche Konsequenzen auf, kündigt eine „AG gegen Rassismus“ und thematische Elternabende an.
Ribnitz-Damgarten, Mecklenburg-Vorpommern, Februar 2024
Eine 16-Jährige postet rechtsextreme Inhalte, muslimfeindliche Sprüche und einen Slogan der rechtsextremen Kleinpartei Dritter Weg. Der Schuldirektor erhält Screenshots und ruft die Polizei. Die richtet vor Ort eine „Gefährderansprache“ an die Schülerin: Die soll ihr klarmachen, dass die Polizei sie im Blick hat. Medien berichten daraufhin, das Mädchen sei wegen harmloser Posts über Heimatliebe „abgeführt“ worden. An der Schule gehen Hassnachrichten und eine Amokdrohung ein, Fotos des Schulleiters gehen auf sozialen Netzwerken rum und werden mit Gewaltaufrufen versehen. Der Staatsschutz ermittelt.
Güby, Schleswig-Holstein, Mai 2024
Auf einer Party im Privatinternat Louisenlund läuft der Song „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino. Acht Schülerinnen und Schüler singen im Refrain ausländerfeindliche Neonazi-Parolen. Lehrkräfte brechen die Feier ab. Der Staatsschutz wird eingeschaltet. Die Beteiligten werden einige Tage vom Unterricht ausgeschlossen, das Lied von der Playlist für Partys gestrichen. Die Schule kündigt mehr Aufklärungsarbeit an.
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Illustration: Animationseries2000