Wer weniger als sechs Monate im Jahr arbeitet, muss eine Strafsteuer zahlen: Seit Wochen sind in Belarus (auch „Weißrussland“ genannt) deshalb Tausende Menschen gegen die sogenannte „Sozialschmarotzer-Steuer“ auf die Straße gegangen. Präsident Alexander Lukaschenko hat zwar erklärt, dass das „Sozialschmarotzer-Dekret“ ausgesetzt und überarbeitet werden soll, doch die Proteste gehen weiter. Mittlerweile haben sie sich auch auf andere Forderungen ausgeweitet.

Der seit 1994 autoritär regierende Lukaschenko – Kritiker sprechen von Belarus als „letzter Diktatur Europas“ und junge Belarussen nennen ihre Heimat „Lukaland“ – ließ am Wochenende hart durchgreifen: Bei den Demonstrationen in Minsk sind laut Angaben von Menschenrechtlern mindestens 700 Menschen festgenommen worden – 600 davon sind mittlerweile wieder auf freiem Fuß.

Das die Steuer festlegende „Dekret Nummer Drei“ unterzeichnete Lukaschenko bereits im April 2015. Weil erst am 20. Februar dieses Jahres die Zahlungsfrist für die Steuer endete, kam es zu den aktuellen Protesten. Jedes Jahr gibt es außerdem am 25. März den traditionell von der Opposition landesweit gefeierten Freiheitstag; die Demonstrationen wurden dieses Mal erst kurz vor Beginn verboten.

Fünf junge Demonstranten haben uns erzählt, warum sie protestieren und was sie über die politische Situation in Belarus denken.

Ignat (22), Musiker

Ich bin zum ersten Mal auf die Straße gegangen, um zu protestieren. Ich sehe mich eigentlich nicht als Oppositionellen – aber ich konnte einfach nicht mehr tatenlos zusehen, was im Land passiert. Insbesondere die „Sozialschmarotzer-Steuer“ hat mich verärgert. Das Dekret bestraft Arbeitslose und Menschen, die keine ständige Arbeitsstelle haben. Dass sich die Politik dafür nicht schämt!

Auch ich selbst bin von diesem Dekret betroffen. Ich bin Musiker. Ich habe ein Soloprojekt und spiele Gitarre, singe und schreibe Gedichte und Lieder. Mein Protest richtet sich aber gegen die allgemeine Situation im Land. Die Menschen in Belarus werden von der Politik nicht ernst genommen, angelogen und erniedrigt. Ich bin gegen diese Gewalt und Willkür der Polizei, wie wir sie auch heute bei den Verhaftungen gesehen haben.

Ich finde, wir Bürger müssen einfach noch enger zusammenhalten. Dann wird es dem Regime irgendwann unmöglich sein, uns auseinanderzutreiben.

Viktoria (26), Software-Testerin

Ich war von Anfang an bei den Protesten gegen die Steuer dabei. Im Februar hat es aber noch keine Repressionen gegeben. Ganz anders als heute. Auch ich selbst habe Angst, festgenommen zu werden. Schon bei den letzten Protesten haben sie einige Leute mitgenommen und für 15 Tage eingesperrt. Einfach so.

Es ist so schwer, in diesem Land einen Job zu finden, der dir einen normalen Verdienst und ein würdiges Leben ermöglicht. Wenn du arbeitest und dafür 300 Dollar (umgerechnet etwa 277 Euro, Anm. d. Red.) im Monat bekommst, kannst du dich schon glücklich schätzen. Dabei kann ich mir schwer vorstellen, wie die Leute davon leben können. Meine Lage ist besser, ich arbeite als Software-Testerin. Die IT-Branche in Belarus ist weniger von der Krise betroffen, weil wir für den westlichen Markt produzieren.

Vor zwei Jahren, als die „Sozialschmarotzer-Steuer“ eingeführt wurde, war ich selbst arbeitslos. Somit bin auch ich unter die Kategorie der „Schmarotzer“ gefallen. Jetzt habe ich Arbeit, aber die Steuer wird auch für die vergangenen zwei Jahre erhoben.

Die Politik ist ganz klar darauf ausgerichtet, die Menschen zu unterdrücken, damit sie in ständiger Angst leben. Ich protestiere, um meine Unzufriedenheit darüber auszudrücken. Ich möchte einfach, dass die Menschen in diesem Land ein würdiges Leben führen können. Warum können wir nicht so leben wie in Polen oder Litauen?

Jaroslaw (24), Fotograf, und Violetta (22), Wirtschaftsstudentin

Wir wollen zeigen, dass wir gegen die Politik des Präsidenten Alexander Lukaschenko sind. Unter ihm gibt es keine freie Meinungsäußerung, keine freien Wahlen. Wir wollen keine Kolonie von Russland, sondern stolz auf unser Land sein, auf unsere eigene Sprache, unsere eigene Kultur und unsere Nation.

Dennoch sehen wir uns nicht als Teil der Opposition. Wir sind einfach unzufrieden mit der Lage im Land. Wir sind jetzt zum ersten Mal auf die Straße gegangen. Als es die letzten großen Proteste gegeben hat (im Dezember 2010 nach den Präsidentschaftswahlen, Anm. d. Red.), waren wir noch zu jung, um zu demonstrieren. Heute hatten wir große Angst, zu den Demonstrationen zu gehen.

Wenn wir ehrlich sind, dann werden wir wohl nicht in Belarus bleiben. Wenn sich eine Möglichkeit eröffnet, werden wir ins Ausland gehen. Vielleicht nach Polen.

Kirill (25), Schauspielstudent

In Belarus gibt es kein politisches Gleichgewicht. Die gesamte Macht ist in den Händen eines einzigen Menschen konzentriert. Und der kümmert sich herzlich wenig um die Meinung der Menschen. Das hat auch die heutige Demonstration gezeigt: Wir haben friedlich protestiert, niemand war bewaffnet. Und trotzdem hat das Regime so schwere Geschütze aufgefahren. Es ist offensichtlich, dass es zu allem bereit ist. Das war eine Machtdemonstration, wie effektiv es einen Protest zerschlagen kann.

Eigentlich bin ich ja der Meinung, dass Kunst die bessere Möglichkeit ist, seine Unzufriedenheit auszudrücken. Ich studiere Schauspiel am Belarus Free Theatre (ein vom Regime nicht anerkanntes Untergrundtheater, Anm. d. Red.). Aber diesmal hatte ich das Gefühl, dass ich etwas machen muss. Also habe ich an den Protesten teilgenommen. Einfach auch, um mein Gewissen zu beruhigen. Obwohl es eine verbotene Aktion war und das natürlich gefährlich ist. Vier meiner Kollegen aus dem Theater sind heute verhaftet worden. Drei wurden inzwischen wieder freigelassen, aber einer ist noch im Gefängnis.

Die „Sozialschmarotzer-Steuer“ ist nur ein Tropfen im Ozean. Es gibt so viele unsinnige Gesetze, die man aufheben sollte. Zum Beispiel, dass sich nicht mehr als eine Handvoll Leute versammeln dürfen. Die Steuer war nur der Aufhänger, der eine große Anzahl von Menschen mobilisiert hat.