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So ist es, ich zu sein: Profi-Gamer

Marco, 30, ist einer der besten „Age of Empires II“-Spieler der Welt. Hier erzählt er, was er damit verdient und warum nur Zocken nicht reicht

JorDan

Vor zwei Jahren habe ich eine Entscheidung getroffen, die mein Leben komplett verändert hat. Ich habe meinen sicheren Job als Business Analyst aufgegeben, um mich auf meine Leidenschaft zu konzentrieren. Seitdem kennen mich die meisten unter dem Namen „JorDan“ – so nenne ich mich bei „Age of Empires II“ (AOE II), einem Echtzeit-Strategiespiel.

Als Profi-Gamer muss ich trainieren, neue Strategien entwickeln und gegen die besten Spieler der Welt antreten. Dabei bin ich nie alleine, bei Twitch habe ich mehr als 52.000 Follower; Tausende sehen bei meinen Streams zu, live, jeden Tag.

Wer selbst nicht zockt, dem wird mein Beruf sicherlich erst einmal merkwürdig vorkommen. Manche stellen sich vor, ich sitze den ganzen Tag zu Hause und spiele bis zum Umfallen. Solche Gamer wird es geben, ich starte jedenfalls organisiert in den Tag. Mein Wecker klingelt um 5.30 Uhr. Viermal die Woche geht’s dann direkt ins Fitnessstudio, Gewichte stemmen. Danach kaufe ich ein und koche für den Tag. Das muss ich machen: Gesunde Ernährung ist mir wichtig, und ich kann schlecht mitten im Stream offline gehen, um mir etwas zu essen zu machen.

„Nur zocken reicht nicht für einen Profi-Gamer. Würde ich einfach still meine Runden spielen, hätte niemand Interesse, mir zu folgen“

Zwischen 11 Uhr und 14 Uhr starte ich meinen Twitch-Stream und zocke. Meist nicht länger als bis 19 Uhr, um noch Zeit mit meiner Freundin zu haben. Wochenenden gibt es nicht, da finden die großen Turniere statt.

Ich spiele seit fast 20 Jahren. Das zahlt sich heute aus: Ich gehöre zu den acht besten AOE II-Spielern der Welt. Durch das Streaming kann ich vom Gamen leben, das hätte ich früher nicht für möglich gehalten. Ich streame ausschließlich auf Twitch und kassiere Teile der Einnahmen, die meine Zuschauer über Abo-Modelle zahlen. Dazu schenken mir manche während des Streams sogenannte Subs, kleine Spenden von drei Euro oder mehr. Bei Turnieren gibt es Preisgelder zwischen 5.000 Euro und 20.000 Euro. 

Dazu bekomme ich ein Gehalt von der GamerLegion, einer E-Sport-Organisation, bei der ich unter Vertrag stehe. Heißt: Ich trete im Namen der GamerLegion bei Turnieren an, muss eine gewisse Zahl an Stunden im Monat streamen und bei Teamevents dabei sein. Preisgelder eingerechnet, verdiene ich zwischen 45.000 Euro und 65.000 Euro im Jahr. Betriebskosten und Steuern muss man davon abziehen: Als Profi-Gamer bin ich selbstständig.

Das birgt natürlich Risiken. Um Geld zu verdienen, muss ich Turniere spielen – und gute Leistung zeigen. Und Trends können meine Einnahmen beeinflussen: Verliert ein Spiel an Popularität, ist es schwierig, Follower zu gewinnen. AOE II ist ein sehr altes Spiel, das Kultstatus genießt, aber Spiele wie „Counter Strike“ oder „League of Legends“ sind populärer und viel lukrativer.

So ist es, ich zu sein

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Aber ich bin zufrieden mit meinem Jahresumsatz. Ich mache, was mir Spaß macht, und kann mein Equipment finanzieren, das etwa 2.500 Euro kostet: zwei Monitore, ein leistungsstarker PC, Tastatur, Maus, Webcam, Headset. Den Sessel stellt ein Sponsor.

Ich kann mir nicht vorstellen, was anderes als AOE II zu spielen. Das Spiel ist im Mittelalter angelegt. Man muss mit einer Zivilisation möglichst schnell die gegnerische Zivilisation besiegen. Für eine schlagkräftige Armee braucht es aber eine gute Wirtschaft, und da wird es schon kompliziert. Wer gewinnen will, braucht die richtige Strategie und muss fix entscheiden können. AOE II ist wie eine ultraschnelle Version von Schach. Es fesselt mich, weil es so komplex ist und ich mich ständig verbessern muss.

Nur zocken reicht aber als Profi-Gamer nicht. Würde ich einfach still meine Runden spielen, hätte niemand Interesse, mir über längere Zeit zu folgen. Erfolgreiche Streamer interagieren mit ihrer Community. Wenn im Chat Fragen gestellt werden, antworte ich über das Mikrofon – während ich zocke. Es geht darum, sich auf die Leute einzulassen. Spontan in den Urlaub fahren fällt deshalb auch aus: Jede Pause muss ich vorher mehrfach in meinem Channel ankündigen. Einfach länger offline sein würde meine Follower irritieren, schlimmstenfalls entfolgen sie mir.

Titelbild: Renke Brandt

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.