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Mit dem Cop durch die Wand

Die Polizeigewalt in den USA ist rassistisch motiviert. Begünstigt wird sie durch eine Polizeiausbildung, die kaum reguliert ist und einem Bootcamp für Soldaten gleicht

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„Ich kann nicht atmen.“ Die letzten Worte von George Floyd wurden in wenigen Tagen zu den wichtigsten einer weltweiten Protestbewegung. Am 25. Mai 2020 hatte der Polizeibeamte Derek Chauvin minutenlang auf dem Hals des 46-jährigen Afroamerikaners gekniet. Als Chauvin endlich abließ, atmete Floyd nicht mehr.

Seitdem protestiert die Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA. Die Demonstranten fordern das Ende rassistisch motivierter Polizeigewalt. Denn George Floyd ist nur ein weiterer Name auf einer langen Liste. Die Namen von Opfern wie Tamir Rice, Eric Garner oder Michael Brown haben sich bereits bei vielen ins Gedächtnis eingebrannt. Im Jahr 2019 töteten US-Polizisten rund 1.100 Menschen, zeigt das Forschungsprojekt „Mapping Police Violence“. Offizielle Zahlen zu tödlicher Polizeigewalt im Land gibt es nicht. 1.100 Fälle, das entspricht drei Todesopfern am Tag. In keiner anderen Demokratie töten Polizeibeamte öfter.

„Emotionale und soziale Intelligenz sind für gute Polizeiarbeit entscheidend, werden aber nicht gelehrt“

Diese Zahl zeigt das Gewaltproblem der US-amerikanischen Polizei. Und sie erzählt von Rassismus: Gemessen am Bevölkerungsanteil werden schwarze US-Amerikaner etwa dreimal so häufig zu Opfern wie weiße – obwohl sie bei den Vorfällen statistisch häufiger unbewaffnet sind als weiße Opfer von Polizeigewalt. „Der Rassismus ist tief in der amerikanischen Polizeikultur verankert“, sagt Frank Rudy Cooper, Professor für Strafjustiz an der University of Nevada in Las Vegas. Den Ursprung des modernen Polizeiapparats sieht er in den Sklavenpatrouillen des 18. und 19. Jahrhunderts: bewaffneten Gruppen, die Sklaven und Minderheiten kontrollieren sollten. Diese Rolle gefalle manchen bis heute: Viele Behörden, sagt Cooper, seien durch weiße Nationalisten unterwandert. Was nicht bedeute, dass Rassismus allein das Problem erklärt: Cooper kritisiert auch eine Polizeikultur, die den Einsatz von Gewalt legitimiert.

Seth Stoughton sieht das ähnlich. „In den meisten Fällen tödlicher Gewalt war es sogar so, dass der Cop genau das tat, was ihm beigebracht wurde“, sagt Stoughton, der lange Polizist war. Heute forscht er zu Polizeiarbeit mit dem Schwerpunkt Polizeigewalt. Und kritisiert vor allem die offizielle Kommunikation der Polizei, die Täter immer wieder als traurige Einzelfälle präsentiert. Das vertusche geschickt die strukturellen Defizite, sagt Stoughton. Denn die entscheidende Frage ist nicht: War es zufälligerweise ein schlechter Polizist? Sondern: Was macht in den USA eigentlich einen guten Polizisten aus?

Die Polizeiausbildung festigt eine „Machokultur“

Ein Blick auf die Polizeiausbildung gibt alarmierende Antworten. Laut der letzten Erhebung des US-Justizministeriums üben Polizeischüler durchschnittlich 71 Stunden am Schießstand. Lernen 97 Stunden Techniken zur Selbstverteidigung. Und arbeiten 49 Stunden an ihrer körperlichen Fitness. Deeskalation und Kommunikation werden in 21 Stunden abgehandelt. „Emotionale und soziale Intelligenz sind für gute Polizeiarbeit entscheidend“, sagt die Kriminologin Maki Haberfeld vom John Jay College of Criminal Justice in New York. „Aber sie werden in den USA einfach nicht gelehrt.“

Eine nationale Ausbildungsrichtlinie für Polizisten gibt es nicht. Dauer und Inhalte können sich von Bundesstaat zu Bundesstaat, aber auch von Stadt zu Stadt immens unterscheiden. „Den Einrichtungen wird eine unglaubliche Freiheit in der Ausgestaltung der Lehrpläne überlassen“, sagt Seth Stoughton. Dazu kommt: Die durchschnittliche Ausbildung für den Streifendienst dauert gerade mal 21 Wochen. Manche Polizisten sind nach neun Wochen Schulung schon im Dienst.

Quer durch das Land bieten fast 700 verschiedene Akademien und Schulen Trainings an, die auf den Polizeidienst vorbereiten sollen. Fast die Hälfte der Schüler lernt in Einrichtungen, die als „stress-based“ eingestuft sind – hier orientieren sich die Form und der Inhalt des Trainings an Militärakademien. In dieses Bild passt, dass viele Soldaten nach Dienstende auf den Streifendienst umsatteln, so wie Derek Chauvin, der mutmaßliche Mörder von George Floyd.

Natürlich sehen das auch viele Polizisten. Gruppen wie das Police Executive Research Forum (PERF), eine Forschungsgruppe um Führungskräfte der US-Polizei, üben seit Jahren Selbstkritik. Die Experten werben für eine Polizeikultur, die Deeskalation, Vorsicht und Rücksprache mit Kollegen nicht als Schwäche auslegt.

Für Frank Rudy Cooper erklärt der PERF-Befund genau, warum Polizisten für schwarze US-Amerikaner so oft zur Gefahr werden: Der Imperativ zum schnellen, entschlossenen Handeln bringe im mit deutlicher Mehrheit männlichen Polizeiapparat eine hypermaskuline Dominanzkultur hervor. „Die stößt sich besonders an schwarzen jungen Männern“, sagt Cooper, „weil sie für weite Teile der Gesellschaft die sinnbildliche Gefahr sind.“ Daher müsse Widerspruch und kleinsten Respektlosigkeiten mit Gewalt begegnen, wer als Polizist nicht das Gesicht verlieren will. Wo diese rassistischen Vorurteile auf die antrainierte „Machokultur“ treffen, können schon banale Situationen wie eine Verkehrskontrolle leicht eskalieren.

Dass ein Wandel möglich ist, zeigen einzelne reformwillige New Yorker Polizeibehörden: Dort endeten weniger Einsätze gewaltsam, wenn zuvor beim Training Wert auf Deeskalationsstrategien gelegt wurde. „Ich bin davon überzeugt, dass wir bereits weniger von Polizisten getötete Schwarze beklagen müssten, wenn diese Art der Ausbildung flächendeckend umgesetzt würde“, sagt Cooper.

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Momentan scheint das die kleinteilige Organisation der rund 18.000 Polizeibehörden im Land zu verhindern. Mit dem Slogan „Defund the police“ fordern zwar viele Black-Lives-Matter-Demonstranten die Kürzung der Polizeimittel. Die großen Etats verwalten aber vor allem Polizeidirektionen in Städten, nicht die kleinen, lokal finanzierten Dienststellen in ländlichen und strukturschwachen Regionen, die den Großteil des US-Polizeiapparats ausmachen. Ihnen fehlt oft schon das Personal für die Streifenwagen – und dazu die Mittel, um in Aus- und Weiterbildung zu investieren. Wenig überraschend ist die Rate tödlicher Polizeieinsätze in Gemeinden unter 10.000 Einwohnern am höchsten.

Immer wieder kommt es deshalb vor, dass Polizeibehörden mit besonders schlechtem Ruf aufgelöst und in größere Einheiten eingegliedert werden. Nach dem mutmaßlichen Mord an George Floyd droht dieser Schritt auch dem Minneapolis Police Department. Andere lokale Polizeibehörden wie in New York oder Los Angeles haben derweil schon Reformen angestoßen – und beispielsweise den Würgegriff verboten.

Dieses Verbot findet sich auch in einem Gesetzentwurf, den das US-Repräsentantenhaus gerade verabschiedet hat. Die darin skizzierte Polizeireform soll neben solchen Griffen auch die Immunität von Polizisten einschränken, um sie nach gewalttätigen Einsätzen leichter juristisch verfolgen zu können, und den Einsatz von Körperkameras bei Polizisten etablieren. Dem Entwurf werden im mehrheitlich republikanischen Senat aber wenig Chancen zugestanden. Und ein Blick auf jüngste Reformen zeigt, dass solche Korrekturen schnell verpuffen, wenn sich an der grundlegenden Polizeikultur nichts ändert. Landesweite verpflichtende Ausbildungsstandards wären eine mögliche Lösung. Die aber hält Maki Haberfeld für politisch nicht gewollt. „Ich und andere Experten plädieren seit über zwanzig Jahren dafür“, sagt Haberfeld. „Aber ich glaube nicht, dass das hier jemals passieren wird.“

Die Fotos (Laif) zeigen die New Yorker Polizei.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.