Hit the Road, Jack


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cms-image-000008205.jpg (Foto: Ole Brömme)
(Foto: Ole Brömme)

"The House that Jack Kerouac Built" - so lautet der Titel eines famosen Songs der Go-Betweens, die dieser Tage wieder durch die Konzerthallen touren. Angelehnt an das Kinderlied "The House that Jack Built", bezieht sich dieses Lied nicht nur auf den US-amerikanischen Schriftsteller Jack Kerouac (1922-69), sondern mit seiner letzten Zeile "You're on the road with a bad crowd", auch ganz eindeutig auf Kerouacs berühmtestes Buch "Unterwegs" (im Original: "On the Road").

Kerouac schrieb "Unterwegs" im April 1951 innerhalb von 20 Tagen mit der Schreibmaschine auf einer zusammengeklebten, 36 Meter langen Rolle aus Butterbrotpapier, die 2001 im New Yorker Auktionshaus Christie's für über 2,2 Millionen Dollar versteigert wurde. Erst 1957 veröffentlicht, wurde "Unterwegs" nicht nur das wohl populärste Buch der "Beat-Literatur", die mit der beginnenden Popkultur nach dem II. Weltkrieg eng verbunden ist. Mit weltweit mehreren Millionen verkauften Exemplaren ist es eines der populärsten Bücher eines Genres, das der Originaltitel bereits benennt: Das Genre der "Road Novels" - beziehungsweise der "literarischen Road-Movies", wie diese manchmal in umgekehrter Ableitung vom entsprechenden Film-Genre genannt werden.

"Unterwegs" schildert in einer Sprache, die Jazz, Bebop und Drogen mitbedenkt, das Herumdriften der beiden Freunde Sal Paradise und Dean Moriarty - im wirklichen Leben Kerouac selbst und sein Freund Neal Cassady - auf den Straßen der USA und Mexikos. Getrieben von der Idee, getrieben zu sein, und gezogen von Sex, Rausch, Musik und den freien Freuden bohèmehaften Durchschlagens, lassen sich die beiden Travelers kreuz und quer durchs Land mitnehmen. Diese Anti-Bürgerlichkeit machte "Unterwegs" zum Kultbuch der Beat Generation. Und die Figuren Paradise und Moriarty zu den Beatniks schlechthin - lebenssüchtigen Outsidern, ein Jahrzehnt vor den Hippies.

Zum Genre der Road Novels, das, ebenso wie sein filmisches Äquivalent, in den USA entstanden ist, werden literarische Werke von teils sehr unterschiedlichen Autoren wie John Steinbeck, William Faulkner, John Dos Passos oder Hunter S. Thompson gezählt. Dass dabei meist der unermüdlich herumwandernde oder fahrende männliche Held als zentrale Figur auftaucht, liegt nicht nur an den Ausdehnungen des Landes und an den bequemen amerikanischen Autos, sondern ist auch ein Echo der historischen Rolle, die die Straße - ebenso wie die Schiene - als Symbol des Grenzüberschreitens bei der Kolonialisierung Nordamerikas durch europäische Einwanderer und Einwanderinnen spielte

Auto-Erotik

Dass europäische Road Novels andere Geschichten als solche von Weite und Freiheit erzählen können, zeigt der Roman "Crash" (1973) des englischen Schriftstellers J.G. Ballard, der 1996 von David Cronenberg verfilmt wurde. Ballard, der in einem anderen Roman ("Die Betoninsel", 1973) auch schilderte, wie ein Mann nach einem Autounfall über Monate auf einem von Schnellstraßen umschlossenen Grundstück überlebt, erzählt in "Crash" vom Zusammenhang zwischen Chrom und Sex, zwischen Straße und Lust. Man könnte auch sagen: Ballard erzählt von "Auto"-Erotik. 

In diesem Roman, der vor allem auf den Autobahnen nahe des Londoner Heathrow Airports spielt, finden die Hauptpersonen ihre sexuelle Befriedigung und Faszination in schweren Verletzungen, die sie sich durch absichtlich verursachte Unfälle zufügen. Den direkten Zusammenhang zwischen den Verunstaltungen der Unfallautos und den Narben der Charaktere beschreibt Ballard dabei in einem klinischen, zynischen und sexuell sehr expliziten Stil, der der Freiheit des automobilen "Driftens" eine phantastische Technologie- und Zivilisationskritik entgegensetzt.

Pimp Up My Road Novel

Und was ist mit dem deutschsprachigen "Straßenroman"? Macht es in einem Land, in dem nicht nur die Automobilindustrie schwächelt, sondern sogar ein US-TV-Format wie "Pimp My Ride" in "Pimp My Fahrrad" umgewandelt wird, überhaupt noch Sinn, sich literarisch der Straße zu widmen? Gerade dann, könnte man sagen: Der Berliner Autor und Journalist Jörg-Uwe Albig beschrieb in seinem Roman "Velo" (1999) den Geschwindigkeitsrausch des Berliner Fahrradkuriers Enzberg, der die Stadt wie eine Kampfzone durchstiebt. Das ist ungefähr das genaue Gegenteil von allem, was Sal Paradise und Dean Moriarty so treiben. Kein Wunder also, wenn der im Vergleich zu "Unterwegs" eher angestrengt kontrolliert wirkende Text vonKraftwerks "Autobahn" weiterhin als das auch international wohl bekannteste deutschsprachige "Road Novel" gelten muss.

Martin Conrads lebt auf einer Berliner Betoninsel und ist in einem Alter, in dem man in Texten wie diesem gerne mal die Go-Betweens erwähnt.