In diesem saftgrünen Salatblatt steckt das Wissen aus zehn Jahren, Sorte: Teufelsohren. Peter Janoth steht im Dreck, der bis vor wenigen Wochen noch ein Gemüsebeet war. Es ist ein novembergrauer Nachmittag, der Sommer längst vorüber. Der Garten sieht jetzt aus wie eine Sumpflandschaft, über die sich ein paar Rundzelte und Gewächshäuser verteilen. Darin stehen noch ein paar Büschel Zitronenverbene, es gibt Navetten, eine Rübenart, die wie Kohlrabi schmeckt, nur intensiver, und Bete, gelbe, rote und rot-weiß marmorierte. Das Salatblatt hat Janoth gerade von einer der letzten Pflanzen gezupft, die hier im Freien noch wachsen. 

»Sehen Sie«, sagt er, während er das Blatt mehrmals faltet, »nur wenn es jedes Mal knackt, hat das Blatt die Qualität, die ich mir vorstelle.« Bei jedem Knick entsteht ein Geräusch, als würde man einen Zahnstocher in zwei Hälften brechen. Janoth wirft das Blatt mit einem zufriedenen Grinsen zurück in den Dreck. Seit über einem Jahrzehnt betreibt er »Naturally Good«, den Einmannbetrieb mit ein paar Aushilfskräften in Groß Kreutz, gelegen im Niemandsland zwischen Berlin und Brandenburg. Und genauso alt ist sein Anspruch, nur Gemüse auf dem Höhepunkt seiner Reife zu verkaufen. »Ich lasse den Dingen eben genug Zeit zum Wachsen«, sagt er.

Peter Janoth, 47 Jahre alt, Fünftagebart, die Zähne gefärbt von Selbstgedrehten, ist Frischgemüsefreak, seit er mit Anfang zwanzig als Fahrer für Hamburgs Sterneköche arbeitete, manchmal 20 Stunden am Tag, von morgens fünf bis nachts um eins. Von ihnen schaute er sich nicht nur die Leidenschaft für Gemüse an sich ab, für Frische, Farbe und Fantasie bei der Verarbeitung, sondern auch den Blick fürs Außergewöhnliche, für Sorten, die es sonst nirgendwo zu kaufen gibt. Heute hat er beispielsweise 15 verschiedene Tomatensorten im Angebot: kleine gelbe Zitronentomaten, große grüne und rote in Form eines Herzens. Die Samen dafür hat er aus allen möglichen Quellen, etwa von der eigenen Großmutter, die ihm einst erzählt hatte, dass es im ehemaligen Jugoslawien nicht nur rote runde Tomaten zu kaufen gab.

Ende der Neunzigerjahre kam Janoth nach Groß Kreutz, um sich in den Anlagen einer ehemaligen DDR Gärtnerei selbstständig zu machen. Er siebte die Erde und installierte ein Bewässerungssystem. Heute wachsen bei ihm insgesamt 100 Gemüse- und Kräutersorten; zehn Sorten Salat, zehn Sorten Kürbis, verschiedene Wildbeeren und etwa 50 Kräuterarten. Es gibt blaue Karotten und den Roten Meier, eine alte Spinatsorte. In der brandenburgischen Provinz nennen sie ihn den Kräuterpeter. Wenn er durch den Wald spaziert, auf der Suche nach Kräutern, an denen andere achtlos vorbeilaufen, rufen ihm die Leute zu: »Lass den Vögeln auch etwas übrig.« 

Er weiß genau, welcher Salat wann den Kopf hängen lässt

Zweimal pro Woche steigt Janoth in seinen Lieferwagen, um das Gemüse nach Berlin zu bringen. Damit der Ware unterwegs im Sommer nicht zu warm und im Winter nicht zu kal wird, hat er quer durch die Fahrerkabine einen mit Alufolie ummantelten Schlauch gelegt, der die Klimaanlage mit dem Laderaum verbindet. Er weiß aufs Grad genau, welcher Salat bei welcher Temperatur den Kopf hängen lässt. 

Seine Kunden sind Restaurants mit gehobenem Anspruch, manche auch mit gehobenem Preisniveau. Zum Beispiel das Edelrestaurant »Margaux« unweit des Brandenburger Tors. Mit seiner gedämpften Atmosphäre, den Kellnern, die nur flüsternd von dem Gemüse sprechen, das Janoth bei sich anbaut, und einer Speisekarte, auf der zum Beispiel »eine kulinarische Reise durch den Tomatengarten« ab 60 Euro angeboten wird, könnte die Welt des »Margaux« von der des Peter Janoth nicht weiter entfernt sein.
Was Michael Hoffmann, den Küchenchef des »Margaux«, und Janoth aber verbindet, ist die Leidenschaft für Gemüse und dafür, dass alles seine Zeit hat. »Wenn man das ganze Jahr über alles im Supermarkt kaufen kann, geht Vielfalt, Wissen und Geschmack verloren«, sagt Janoth. Zusammen mit den Küchenchefs »etwas auf die Beine zu stellen«, wie er es nennt – daran hat Janoth Spaß. Sie rufen ihn an und wollen wissen, was gerade bei ihm wächst, oder erzählen ihm, was sie gern auf die Karte nähmen, und fragen, ob er dazu ein passendes Kraut hat. Er antwortet ihnen dann, was Saison hat. Was dem Kunden nicht gefällt, fliegt wieder aus dem Sortiment – was ihm nicht gefällt, kommt gar nicht erst rein.

Gemüse anzubauen, zu dem er keine Beziehung aufbauen kann, kommt nicht infrage. »Da hab ich keinen Bock drauf«, sagt er und dreht sich an der Theke seines Gewächshauses, an der im Sommer das Gemüse geputzt und geschnitten wird, eine Zigarette, so luftig, dass sie nach dem zweiten Zug schon wieder aus ist. Zum Ende dieses Jahres wird er die Türen seiner Anlage ein letztes Mal hinter sich abschließen. Seine Frau hat einen Job in Bremen gefunden, in Janoths alter Heimat. Weil sie jahrelang seiner Leidenschaft wegen in Groß Kreutz blieb, ist nun er an der Reihe, ihr zu folgen. Als Janoth seinen Köchen die Nachricht überbrachte, hätten manche Tränen in den Augen gehabt, erzählt er. An wen er »Naturally Good« verkaufen wird, steht noch nicht endgültig fest. Er sieht sich die Kandidaten sehr genau an. »Man muss einen Tick haben und das machen wollen.« So wie es der Kräuterpeter zehn Jahre lang gemacht hat.

Unser Autor Kai Schächtele hat das Gemüse probiert und versucht sich jetzt selbst an einem Beet auf seinem Balkon, wo bisher gar nichts wächst außer Unkraut.