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„Nischt zu tun und leicht einen sitzen“

Über die Dörfer mit unserem Reporter Bartholomäus von Laffert. Teil 5: Gadebusch, Mecklenburg-Vorpommern

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„Der wilde Osten“ steht auf Tommis schwarzem Kapuzenpulli. Das Kulturzentrum KuT steht wie eine alte, mit linken und Anarcho-Stickern verzierte Bastion inmitten der Back- steinstadt. An der Fassade des einstigen Klärwerks ein hingesprayter Spiderman, der ruft: „Mehr Punk in der Provinz!“ Im Hinterhof steht ein Laternenmast, über dem Springerstiefel hängen. Der Legende nach sind es Stiefel verkloppter Nazis.

Um das offene Feuer herum stehen Männer zwischen Anfang 20 und Anfang 30, allesamt mit kurz geschorenen Haaren, in kurzen Hosen mit Band-Pullovern oder solchen von Hansa Rostock. Irgendwo auf dem Körper hat jeder einen Anker tätowiert, sie trinken Köstritzer Bier. Das einzige Mädchen ist nur zu Besuch. Aus den Boxen schallert Feine Sahne Fischfilet: „Meine ganze Generation / Jeder hier kennt die Frage schon / In Dauerschleife diese Zeilen / Gehen oder bleiben!“

Hein ist geblieben und Tommi und Tommis Bruder Jesse und Paul. „Wennde willst, findeste hier Arbeit“, sagt Hein. „Wennde keine Ansprüche hast.“ Er hat das KuT vor 20 Jahren mit erschaffen. Außer dem KuT gibt’s in Gadebusch nur mehr einen Rewe und eine Aral-Tanke, vor der sich die Jugendlichen betrinken, seit die Hafenbar dichtgemacht hat. „Wenn ich Langeweile hab, kann ich immer ins KuT kommen, und jemand ist da“, sagt Tommi, der als Trockenbauer arbeitet. „Nischt zu tun und leicht einen sitzen – und das am besten noch in Gadebusch“, sagt sein kleiner Bruder Jesse und kloppt ihm auf die Schulter.

„Wo nichts ist“, sagt Paul, Facharbeiter für Lagerlogistik, „da kannste Neues erschaffen, wennde die richtigen Leute dazu hast.“ Er, der wegen seines kaputten Knies selbst nicht mehr spielen kann, hat im Nachbarkaff Brüsewitz eine neue Fußballmannschaft zusammengestellt. Und obendrein eine Ultra-Gruppe geschaffen, die jedes Spiel mit 20 Mann begleitet. Es ist so, wie Flori aus Sachsen-Anhalt es erzählt: Für die jungen Ossis ist der Osten mehr als ein brauner Matsch aus Nazis, Arbeits- und Perspektivlosigkeit, sondern vielmehr fruchtbare Erde, die Möglichkeit auf Neuanfang.

Und doch bekomme ich in Gadebusch wieder so ein Gefühl, das mich meine komplette Reise von Bayern bis an die Ostsee begleitet: Land ist etwas zutiefst Maskulines. Von denen, die fortgehen, kommen nur die Männer zurück. Es sind die Männer, die erben, die Männer, die sich kloppen, die Männer, die Fußbällen hinterhergrölen, die Männer, die saufen, als wäre das eine olympische Disziplin. Frauen? „Die haben sich nach dem Abschluss alle verpisst“, sagt Paul. „Die sind alle in die Stadt, wollten was aus sich machen.“ Dann verabschiedet er sich. Brüsewitz spielt morgen Mittag gegen den Poeler SV – und Paul muss früh raus, die Torlinien kreiden.

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