Ein Raum mit geballter DDR-Nostalgie: eine braun-beige Sofagarnitur, ein Pressspan-Tisch mit Häkeldecke, ein steinalter Röhrenfernseher im Schrank, daneben ein Leuchtglobus. An der Wand schmunzelt stumm ein alter Staatschef aus dem Bilderrahmen: Erich Honecker, der Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und vor der Auflösung der DDR jahrzehntelang ihr allgewaltiger Herrscher. Die Tür fällt ins Schloss, und urplötzlich ist das Szenario noch ein bisschen bedrohlicher. Ich fühle mich eingesperrt.

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Das ist jetzt keine echte „Room Escape Challenge“: Ein bisschen schwerer wird es einem da denn doch gemacht (Foto: Matthieu Lavanchy)

Das ist jetzt keine echte „Room Escape Challenge“: Ein bisschen schwerer wird es einem da denn doch gemacht

(Foto: Matthieu Lavanchy)

Aus dem Radio knistert „Auferstanden aus Ruinen“, die DDR-Nationalhymne, dann unterbricht Nicolas Niggemeyer via Funk die Zeitreise abrupt. „Willkommen in Honeckers Albtraum!“, tönt es durch die Lautsprecher. Wer hier wieder rauswill, muss sich durch eine Kombination aus Rätseln und Denkspielen knobeln. Er muss Hinweise finden und richtig zusammensetzen. Wer binnen einer Stunde den Schlüssel für die Tür findet, darf ausreisen. Wer im Dunkeln tappt, kriegt über ein Walkie-Talkie ein paar hilfreiche Tipps. Denn in der Tradition von Horch und Guck haben Niggemeyer und seine Mitarbeiter per Überwachungskamera an der Zimmerdecke alles im Blick.

Ein Raum, ein Rätsel, ein Countdown. Was früher die Adventure-Gamer an den Heim-PC gebannt hat und bis heute unter den Browserspielen und Apps beliebt ist, wird zurzeit auch als analoger Zeitvertreib populär. Die Leute lassen sich freiwillig in Räume, Bunker und Tunnel einschließen und zahlen für das prickelnde Unbehagen, ihrer Freiheit beraubt zu werden. Die ersten dieser so genannten Escape Challenges gab es ab Mitte der Nullerjahre in Japan, dann verbreiteten sie sich in anderen asiatischen Ländern, in den USA und in Europa.


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Ganz so plump wie läuft die Suche nach versteckten Hinweisen auch nicht ab (Foto: Lee Materazzi)

Ganz so plump wie läuft die Suche nach versteckten Hinweisen auch nicht ab

(Foto: Lee Materazzi)

In Leipzig war Nicolas Niggemeyer der Erste, der sich diesen Real Life Escape Games gewidmet hat. „Ich konnte von den Spielen auf dem Smartphone einfach nicht genug kriegen“, erzählt der gebürtige Paderborner in seiner Überwachungszentrale. „Ganze Nächte habe ich mit Rätselraten verbracht. Und dann dachte ich mir: Wieso ist der Spaß eigentlich auf Computerspiele beschränkt?“ Also hat Niggemeyer mit seinem Bruder im August vergangenen Jahres ein paar Räume angemietet und eingerichtet.

Das war im August 2014, als es außer der Room Escape Challenge Leipzig nur zwei andere Angebote dieser Art in Deutschland gab. Inzwischen sind es schon über 100. Die Lust am Klaustrophobischen lässt die Branche nun auch in Deutschland boomen.

Und tatsächlich: Die Ausweglosigkeit hat etwas. Sie fühlt sich zunächst spannend an. Bald jedoch fällt mir das ungewohnte Um-die-Ecke-Grübeln schwer. Vielleicht ist meine Geduldsschwelle durch die heutige Google-Routine auch schon zu niedrig zum Rätseln. Ich starre auf die Hinweise, die zu Schlüsseln führen sollen, mit denen man die Fächer öffnen kann, die weitere Rätsel verbergen. Ich finde aber keine Schlüssel, und allmählich macht sich galgenhumorige Verzweiflung breit. In Omas Sofa versunken, verfliegen die Minuten. Schweres Nachdenken ist schon etwas anderes als das Anpusten von Zierbommeln an einer Stehlampe, hat Max Goldt einst gesagt. Dann plötzlich der Einfall, einfach das zu tun, was man im Film nie und im Computerspiel nur versehentlich tut: Ich durchsuche dieselbe Stelle zweimal  – und der entscheidende Hinweis ploppt auf, als die Zeit des Rekordhalters längst verstrichen ist.


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Nette Spielchen, aber trotzdem muss man sich da nicht wirklich einen Kopf machen (Foto: Lee Materazzi)

Nette Spielchen, aber trotzdem muss man sich da nicht wirklich einen Kopf machen

(Foto: Lee Materazzi)

Wertvolle historische Erkenntnisse über die DDR treten dabei gleichwohl nicht zutage. Das mehr oder weniger stimmige Ambiente bildet nur den atmosphärischen Hintergrund für Knobeleien, die auch in einem ganz anderen Kontext stehen könnten. „Wir haben am Anfang versucht, in die Rätsel historische Fakten mit Bezug zur DDR einzubinden“, sagt Niggemeyer. „Aber da fehlte jüngeren Besuchern und Touristen aus dem Westen oft das nötige Hintergrundwissen. Deshalb haben wir das wieder verallgemeinert.“ Man muss es den verschiedensten Menschen recht machen, denn die Zielgruppe ist laut dem Betreiber denkbar buntscheckig – von Schulklassen über Firmenfeiern bis zu Junggesellenabschieden und Rentnerreisegruppen aus ganz Deutschland.

Seit Niggemeyer die Room Escape Challenge Leipzig eröffnete, haben sich trotz Preisen von 40 (2 Personen) bis 80 Euro (6 Personen) pro Raum Tausende Gäste an den Rätseln versucht. Bei Tripadvisor liegen diese kleinen Fluchten aus der Langeweile inzwischen auf Platz eins in der Freizeitsparte der Stadt. Und deshalb expandiert auch Niggemeyer. „Es läuft gerade ziemlich gut, also basteln wir einfach an neuen Ideen“, sagt er. Vielleicht initiiert er bald ein Rätsel quer durch die Stadt. So eine Art Schnitzeljagd. Oder er baut Rätsel in unterbuchte Hotelzimmer ein. Vorerst bleibt Niggemeyer aber seiner ursprünglichen Idee treu. Leerstand in Fabrikhallen gibt es in Leipzig schließlich genug, Restbestände alter DDR-Möbel ebenso. Der neueste Escape-Raum nennt sich „Honeckers Rache“.

Philipp Brandstädter ist freier Journalist in Berlin und großer Fan von Freiraum. Er erwischt sich oft dabei, Belanglosigkeiten im Internet zu suchen, anstatt sich dem Reiz des Denkens hinzugeben.