Auf den ersten Blick ist nichts Besonderes an der Neusser Straße in der Kölner Innenstadt. Gemütliche Cafés reihen sich an Supermärkte, Bäckereien und Apotheken. Wer weiter nach Norden fährt, bemerkt dann ein Schild, das zwischen den Häuserreihen über den Verkehr gespannt ist. „Klimastraße“ steht dort in großen Buchstaben. Der Kellner einer Eckkneipe zuckt mit den Schultern und verweist auf „Fischbuden-Andi“ von nebenan. Und der weiß tatsächlich, was das mit dieser Bezeichnung auf sich hat: „Das ist ein Projekt, mit dem die Stadt Energie sparen will.“ Aha.

Und so werden in Köln Ladestationen für Elektroautos und E-Bikes sowie LED-Laternen aufgestellt. Auf einem großen Monitor sollen die Bürger außerdem sehen können, wie viel Energie sie jede Minute verbrauchen und wie viel eingespart wird – um damit mehr Bewusstsein dafür zu entwickeln. Köln will smart sein. Eine Smart City.

Intelligent, nachhaltig, vernetzt – so lauten einige gängige Übersetzungen des recht schwammigen Begriffs, der seit einigen Jahren immer häufiger in schicken Broschüren von Städten und großen Konzernen auftaucht. Sie werben mit Verkehrsleitsystemen, die Staus verhindern und die Parkplatzsuche erleichtern, oder mit Stromnetzen, die Energiespeicher einbinden können. Insgesamt soll unser Leben sicherer und besser werden, auch wenn zunehmend mehr Menschen zum Leben und Arbeiten in die Städte strömen.

Sensoren wissen, wo dein Auto steht. Oder wann der Mülleimer voll ist

Weltweit gibt es viele Beispiele dafür, was eine Smart City ausmachen kann: Auf Radwegen in Kopenhagen leiten grüne LED-Lämpchen und Zeitangaben an Leuchttafeln die Fahrer, damit sie nicht so oft an roten Ampeln halten müssen und schneller vorankommen. In der nordspanischen Stadt Santandermelden Sensoren den städtischen Betrieben, wo Pflanzen zu trocken sind und Mülleimer überquellen. Und in Rio de Janeiro wird das öffentliche Leben seit knapp fünf Jahren in einer Zentrale kontrolliert, die so aussieht, als ginge es um eine Weltraummission der NASA: Auf einer riesigen ­Monitorwand laufen Wetter- und Verkehrsinformationen ein sowie Echtzeitbilder von 800 Überwachungskameras, die überall in der Stadt verteilt sind. Hunderte Mitarbeiter werten die Daten 24 Stunden am Tag aus. Die Behörden erhoffen sich davon, direkter auf Verkehrsinfarkte, Naturkatastrophen oder auch Unruhen reagieren zu können.

Wie Köln bereitet sich auch Wien auf Wachstum vor. In 20 Jahren werden in der österreichischen Hauptstadt mehr als zwei Millionen Menschen leben, 300.000 mehr als heute. Stadtplanerin Ina Homeier macht sich deswegen keine Sorgen. Sie leitet das Projekt „Smart City Wien“ und hat an einer Strategie mitgearbeitet, die die Stadt auf den Bevölkerungsboom einstellen und dabei helfen soll, die Klimaziele der Europäischen Union zu erfüllen.

„Einige Vorhaben greifen schon jetzt“, betont Homeier. So versucht die Stadt konsequent, ihren Bürgern das Auto abzugewöhnen. Die Jahreskarte für den ­öffentlichen Nahverkehr kostet gerade mal 365 Euro, ein Schnäppchen im Vergleich zu anderen westeuropäischen Städten. Auch das etablierte Car- und Bike-Sharing zählt dazu, wenn es darum geht, eine Smart City zu etablieren. „Äußerlich wird sich Wien nicht sehr stark verändern“, versichert die Stadtplanerin. Sie denkt auch an Dinge wie Nachbarschaften, die sich selbst organisieren. Statt umständlich in die Shopping-Mall zu fahren, sollen die Menschen alles in ihren Wohnbezirken finden – auch mithilfe von Smartphones und sozialen Netzwerken, die lokale Anbieter und Konsumenten miteinander verbinden.

Das ganze ist natürlich auch ein Riesengeschäft

Die vermeintlich schlaue Stadt ist nicht nur ein Lieblingskind vieler Stadtplaner, es ist auch ein Milliardengeschäft, das von der Politik durch Fördermittel angeheizt wird. Bis 2020 wird die Industrie weltweit ein Marktpotenzial von etwa 1,5 Billionen US-Dollar mit Technologien und Dienstleistungen für Smart Citys erschließen können, prognostiziert die Beratungsfirma Frost & Sullivan. „Es gibt einen großen Hype um das Thema“, sagt Martin Powell, der das Geschäftsfeld bei ­Siemens von London aus leitet. „Tatsache ist aber, dass die Nutzung großer Datenmengen, vernetzter Technologien und von Automatisierungen die Infrastruktur in Städten weltweit verändert.“

Neben den beiden US-Unternehmen IBM und Cisco zählt der Münchner Konzern zu den größten Technikanbietern weltweit. Entsprechend selbstbewusst sind die Prognosen und Versprechen, die Siemens verkündet. „Verbunden mit guter Politik in den Städten kann Technologie alle Formen von Verkehrsstaus, Energieausfällen und Umweltverschmutzungen lösen“, sagt Powell.

Eher als in Köln oder Wien lassen sich solch kühne Visionen derzeit beispielsweise in New Songdo Citynachvollziehen, 40 Kilometer südwestlich von Südkoreas Hauptstadt Seoul gelegen. Wo noch vor wenigen Jahren Wasservögel in Ruhe nisteten, stehen jetzt Hochhäuser, die vollgepackt sind mit Technologie. Energie, Müll, Transport – all das wird von Supercomputern gesteuert und von den eher wohlhabenden Bewohnern mit Chipkarten bedient. Bis 2020 sollen etwa 400.000 Menschen in dieser Modellstadt leben und arbeiten, 2013 waren es 67.000 Bewohner.

Was ist mit Senioren? Und was ist mit den Hackern?

Kritiker wie der US-amerikanische Autor Adam Greenfield warnen davor, solche städtebaulichen Vorstellungen auf Städte zu übertragen, die nicht am Reißbrett, sondern über viele Jahre und Jahrhunderte entstanden sind. In seinem Pamphlet „Against the Smart City“ wirft er Unternehmen vor, ihre Ideen in hochtrabender Marketing­sprache dort zu verkaufen, wo sie nicht gebraucht werden und nicht funktionieren. Die Stadt als Spielwiese der Industrie. Für Jens Libbe vom unabhängigen Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) geht dieser Vorwurf etwas zu weit. „Ich sehe im gegenwärtigen technologischen Sprung durchaus eine Chance. Wir müssen aber aufpassen, dass die Städte und ihre Bürger nicht fremdbestimmt werden. Geschätzte 30 Prozent der Bevölkerung kommen mit der rasanten Entwicklung nicht mehr mit.“ Libbe befürchtet Nachteile vor allem für ältere Menschen, von denen einige beispielsweise schon mit modernen Fahrkartenautomaten Schwierigkeiten hätten. Was wird aus ihnen, wenn sie plötzlich von Computern mit ungewohnten Benutzeroberflächen umzingelt werden?

Umstritten ist auch die Frage, wie sicher all die Daten, die Sensoren und Kameras in den Schlaustädten rund um die Uhr sammeln, vor Hacker-Angriffen sind – und wie leicht sie von Unternehmen zweckentfremdet werden können. „Es könnte zum Problem werden, dass immer mehr Daten privatisiert werden, wenn sie von den unterschiedlichsten Anbietern eingesammelt werden, die auf den Markt drängen“, sagt Difu-Experte Libbe.

Datenschützer warnen, dass die unterschiedlichen Unternehmen zu viele private Informationen ihrer Kunden erhalten und sie für kommerzielle Zwecke ­nutzen. In den USA, Kanada und Großbritannien kämpfen seit einiger Zeit Initiativen gegen sogenannte Smart Meter: Stromzähler, die die Energieversorger jederzeit über das ­Nutzerverhalten der Verbraucher informieren. Die helfen zwar beim Stromsparen, allerdings können Unternehmen im Extremfall sogar erkennen, welche Fernsehprogramme die Nutzer schauen.